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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Briefwechsel "zweyer der edelsten Männer Deutschlands," wie die Herausgeber
Garde und Zollikofer bezeichnen, über Kassel lesen, scheint ja König Arome ein
in. Vierteljahrhundert später das Feld gut vorbereitet gefunden zu haben.


Das Jubiläum der Klosterschule Noßleben.

Man sagt, daß jeder
Franzose seine alte Schule haßt, weil ihm das Internat als eine Zwaugsanstalt,
ein Gefängnis, seine Lehrer als Zuchtmeister, als Feinde erschienen sind. In Eng¬
land und Deutschland ist das anders. Jeder Engländer, der Eton oder Winchester,
Harrow oder Rugby besucht und dort in den weiten, spätgotischen Hallen, auf den
saftigen grünen Rasenplätzen nnter hohen alten Bäumen, fern von dem Lärm und
der Unrast der Großstadt sich fröhlich getummelt und ernsthaft gearbeitet hat,
denkt mit Freude an diese Jahre zurück, die ihn zu einem Manne des Herren¬
volks erzogen haben, und mit Stolz schmückt jede Schule ihre Säle mit den Bildnissen
der bedeutenden Männer, die sie erzogen hat. In den höhern Schulen Deutschlands
ist es insofern ähnlich, als auch hier das Gefühl der Dankbarkeit und Anhänglich¬
keit überwiegt, da doch die Lehrer den Schülern in der Regel menschlich nahe ge¬
treten sind und ein inneres Interesse an dem Einzelnen gezeigt haben. Am nächsten
aber kommen den englischen xudlie seluwls die in Deutschland bekanntlich seltnen
Internatsschulen, also außer den württembergischen "Klosterschulen," die im wesent¬
lichen einen theologischen Charakter tragen, vor allem die Fürsten Schulen altsächsischer
Gründung. Davon konnte sich jeder überzeugen, der Gelegenheit hatte, auch in
neuster Zeit ein Jubiläum von Meißen oder Grimma oder Schulpforta mitzumachen
und die Beweise von der warmen Anhänglichkeit ihrer alten Schüler zu sehen. Aber
die ländliche Abgeschlossenheit hat von ihnen nur die berühmteste, Schulpforta, die
beiden andern liegen in Städten, die mannigfach auf sie einwirken.

Neben ihnen nimmt die Klosterschule Roßleben an der Unstrut eine eigentüm¬
liche Stellung ein. Sie ist nicht die Stiftung eines hochherzigen und klarsehenden
Fürsten wie jene, sondern die Gründung eines thüringischen Adelsgeschlechts. Das
Augustiner-Nonnenkloster, das 1142 gegründet worden war, wurde 1540 von
seinem Schirmvogt l>. Heinrich von Witzleben auf Wendelstein, dem Haupte des
Geschlechts der Stifter, eingezogen und 1554, nach dem Vorbilde der wenig ältern
Fürstenschulen, vornehmlich Meißens, in eine Erziehungsanstalt für evangelische
Knaben verwandelt, deren Inspektion der damalige Rektor von Se. Afra, der
Humanist Georg Fabricius, bis zu seinem Tode 1571 ausübte. Den Herren von
Witzleben blieb, wie früher die Vogtei, so jetzt die erbliche Administration der
Schule, also die äußere Verwaltung und die Kollatur unter der Aufsicht des Staates.
Im Verlaufe der Zeit kam die Schule zweimal dem Untergange nahe. Im
Dreißigjährigen Kriege 1639 verwüstet, lag sie bis 1675 verödet; kaum war sie
daun wieder erneuert worden, als ein furchtbarer Brand am Karfreitag des
Jahres 1686 die alten Klostergebäude in Asche legte. Erst nach einigen Jahr¬
zehnten begann im Jahre 1730 unter der Leitung einer kurfürstlichen Kommission
der Neubau, und am 2. Januar 1742 wurde die Schule wieder eröffnet. Seit¬
dem hat sie sich, wenn auch nicht ohne mannigfache Rückschläge und Stockungen,
doch im ganzen ruhig weiter entwickelt, und nachdem sie im Jahre 1815 mit
Schulpforta an Preußen übergegangen war, ohne ihren alten Charakter als eine
Schule vorwiegend für die gelehrten Berufe einzubüßen, ist sie im letzten halben
Jahrhundert allmählich die bevorzugte Schule des protestantischen preußischen Adels
geworden, ohne irgendwie exklusiv zu sein (1742 bis 1904 waren hier 26 adliche
Familien immer in mehreren Generationen vertreten, denen in ähnlicher Weise nur
4 bürgerliche gegenüberstanden), und weitaus die meisten ihrer Schüler widmen
sich dem Dienste des Staates in Heer, Marine, Verwaltung und Justiz. Von
1742 bis 1854 gingen von 1060 Schülern, deren Beruf bekannt geworden ist,
116 (fast 11 Prozent) zum Heere, 725 (über 68 Prozent) auf die Universität,
1854 bis 1904 von 971 Schülern 471 (48^ Prozent) zur Armee oder zur
Marine, nur 280 (29 Prozent) zur Universität.


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Briefwechsel „zweyer der edelsten Männer Deutschlands," wie die Herausgeber
Garde und Zollikofer bezeichnen, über Kassel lesen, scheint ja König Arome ein
in. Vierteljahrhundert später das Feld gut vorbereitet gefunden zu haben.


Das Jubiläum der Klosterschule Noßleben.

Man sagt, daß jeder
Franzose seine alte Schule haßt, weil ihm das Internat als eine Zwaugsanstalt,
ein Gefängnis, seine Lehrer als Zuchtmeister, als Feinde erschienen sind. In Eng¬
land und Deutschland ist das anders. Jeder Engländer, der Eton oder Winchester,
Harrow oder Rugby besucht und dort in den weiten, spätgotischen Hallen, auf den
saftigen grünen Rasenplätzen nnter hohen alten Bäumen, fern von dem Lärm und
der Unrast der Großstadt sich fröhlich getummelt und ernsthaft gearbeitet hat,
denkt mit Freude an diese Jahre zurück, die ihn zu einem Manne des Herren¬
volks erzogen haben, und mit Stolz schmückt jede Schule ihre Säle mit den Bildnissen
der bedeutenden Männer, die sie erzogen hat. In den höhern Schulen Deutschlands
ist es insofern ähnlich, als auch hier das Gefühl der Dankbarkeit und Anhänglich¬
keit überwiegt, da doch die Lehrer den Schülern in der Regel menschlich nahe ge¬
treten sind und ein inneres Interesse an dem Einzelnen gezeigt haben. Am nächsten
aber kommen den englischen xudlie seluwls die in Deutschland bekanntlich seltnen
Internatsschulen, also außer den württembergischen „Klosterschulen," die im wesent¬
lichen einen theologischen Charakter tragen, vor allem die Fürsten Schulen altsächsischer
Gründung. Davon konnte sich jeder überzeugen, der Gelegenheit hatte, auch in
neuster Zeit ein Jubiläum von Meißen oder Grimma oder Schulpforta mitzumachen
und die Beweise von der warmen Anhänglichkeit ihrer alten Schüler zu sehen. Aber
die ländliche Abgeschlossenheit hat von ihnen nur die berühmteste, Schulpforta, die
beiden andern liegen in Städten, die mannigfach auf sie einwirken.

Neben ihnen nimmt die Klosterschule Roßleben an der Unstrut eine eigentüm¬
liche Stellung ein. Sie ist nicht die Stiftung eines hochherzigen und klarsehenden
Fürsten wie jene, sondern die Gründung eines thüringischen Adelsgeschlechts. Das
Augustiner-Nonnenkloster, das 1142 gegründet worden war, wurde 1540 von
seinem Schirmvogt l>. Heinrich von Witzleben auf Wendelstein, dem Haupte des
Geschlechts der Stifter, eingezogen und 1554, nach dem Vorbilde der wenig ältern
Fürstenschulen, vornehmlich Meißens, in eine Erziehungsanstalt für evangelische
Knaben verwandelt, deren Inspektion der damalige Rektor von Se. Afra, der
Humanist Georg Fabricius, bis zu seinem Tode 1571 ausübte. Den Herren von
Witzleben blieb, wie früher die Vogtei, so jetzt die erbliche Administration der
Schule, also die äußere Verwaltung und die Kollatur unter der Aufsicht des Staates.
Im Verlaufe der Zeit kam die Schule zweimal dem Untergange nahe. Im
Dreißigjährigen Kriege 1639 verwüstet, lag sie bis 1675 verödet; kaum war sie
daun wieder erneuert worden, als ein furchtbarer Brand am Karfreitag des
Jahres 1686 die alten Klostergebäude in Asche legte. Erst nach einigen Jahr¬
zehnten begann im Jahre 1730 unter der Leitung einer kurfürstlichen Kommission
der Neubau, und am 2. Januar 1742 wurde die Schule wieder eröffnet. Seit¬
dem hat sie sich, wenn auch nicht ohne mannigfache Rückschläge und Stockungen,
doch im ganzen ruhig weiter entwickelt, und nachdem sie im Jahre 1815 mit
Schulpforta an Preußen übergegangen war, ohne ihren alten Charakter als eine
Schule vorwiegend für die gelehrten Berufe einzubüßen, ist sie im letzten halben
Jahrhundert allmählich die bevorzugte Schule des protestantischen preußischen Adels
geworden, ohne irgendwie exklusiv zu sein (1742 bis 1904 waren hier 26 adliche
Familien immer in mehreren Generationen vertreten, denen in ähnlicher Weise nur
4 bürgerliche gegenüberstanden), und weitaus die meisten ihrer Schüler widmen
sich dem Dienste des Staates in Heer, Marine, Verwaltung und Justiz. Von
1742 bis 1854 gingen von 1060 Schülern, deren Beruf bekannt geworden ist,
116 (fast 11 Prozent) zum Heere, 725 (über 68 Prozent) auf die Universität,
1854 bis 1904 von 971 Schülern 471 (48^ Prozent) zur Armee oder zur
Marine, nur 280 (29 Prozent) zur Universität.


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[0064] Maßgebliches und Unmaßgebliches Briefwechsel „zweyer der edelsten Männer Deutschlands," wie die Herausgeber Garde und Zollikofer bezeichnen, über Kassel lesen, scheint ja König Arome ein in. Vierteljahrhundert später das Feld gut vorbereitet gefunden zu haben. Das Jubiläum der Klosterschule Noßleben. Man sagt, daß jeder Franzose seine alte Schule haßt, weil ihm das Internat als eine Zwaugsanstalt, ein Gefängnis, seine Lehrer als Zuchtmeister, als Feinde erschienen sind. In Eng¬ land und Deutschland ist das anders. Jeder Engländer, der Eton oder Winchester, Harrow oder Rugby besucht und dort in den weiten, spätgotischen Hallen, auf den saftigen grünen Rasenplätzen nnter hohen alten Bäumen, fern von dem Lärm und der Unrast der Großstadt sich fröhlich getummelt und ernsthaft gearbeitet hat, denkt mit Freude an diese Jahre zurück, die ihn zu einem Manne des Herren¬ volks erzogen haben, und mit Stolz schmückt jede Schule ihre Säle mit den Bildnissen der bedeutenden Männer, die sie erzogen hat. In den höhern Schulen Deutschlands ist es insofern ähnlich, als auch hier das Gefühl der Dankbarkeit und Anhänglich¬ keit überwiegt, da doch die Lehrer den Schülern in der Regel menschlich nahe ge¬ treten sind und ein inneres Interesse an dem Einzelnen gezeigt haben. Am nächsten aber kommen den englischen xudlie seluwls die in Deutschland bekanntlich seltnen Internatsschulen, also außer den württembergischen „Klosterschulen," die im wesent¬ lichen einen theologischen Charakter tragen, vor allem die Fürsten Schulen altsächsischer Gründung. Davon konnte sich jeder überzeugen, der Gelegenheit hatte, auch in neuster Zeit ein Jubiläum von Meißen oder Grimma oder Schulpforta mitzumachen und die Beweise von der warmen Anhänglichkeit ihrer alten Schüler zu sehen. Aber die ländliche Abgeschlossenheit hat von ihnen nur die berühmteste, Schulpforta, die beiden andern liegen in Städten, die mannigfach auf sie einwirken. Neben ihnen nimmt die Klosterschule Roßleben an der Unstrut eine eigentüm¬ liche Stellung ein. Sie ist nicht die Stiftung eines hochherzigen und klarsehenden Fürsten wie jene, sondern die Gründung eines thüringischen Adelsgeschlechts. Das Augustiner-Nonnenkloster, das 1142 gegründet worden war, wurde 1540 von seinem Schirmvogt l>. Heinrich von Witzleben auf Wendelstein, dem Haupte des Geschlechts der Stifter, eingezogen und 1554, nach dem Vorbilde der wenig ältern Fürstenschulen, vornehmlich Meißens, in eine Erziehungsanstalt für evangelische Knaben verwandelt, deren Inspektion der damalige Rektor von Se. Afra, der Humanist Georg Fabricius, bis zu seinem Tode 1571 ausübte. Den Herren von Witzleben blieb, wie früher die Vogtei, so jetzt die erbliche Administration der Schule, also die äußere Verwaltung und die Kollatur unter der Aufsicht des Staates. Im Verlaufe der Zeit kam die Schule zweimal dem Untergange nahe. Im Dreißigjährigen Kriege 1639 verwüstet, lag sie bis 1675 verödet; kaum war sie daun wieder erneuert worden, als ein furchtbarer Brand am Karfreitag des Jahres 1686 die alten Klostergebäude in Asche legte. Erst nach einigen Jahr¬ zehnten begann im Jahre 1730 unter der Leitung einer kurfürstlichen Kommission der Neubau, und am 2. Januar 1742 wurde die Schule wieder eröffnet. Seit¬ dem hat sie sich, wenn auch nicht ohne mannigfache Rückschläge und Stockungen, doch im ganzen ruhig weiter entwickelt, und nachdem sie im Jahre 1815 mit Schulpforta an Preußen übergegangen war, ohne ihren alten Charakter als eine Schule vorwiegend für die gelehrten Berufe einzubüßen, ist sie im letzten halben Jahrhundert allmählich die bevorzugte Schule des protestantischen preußischen Adels geworden, ohne irgendwie exklusiv zu sein (1742 bis 1904 waren hier 26 adliche Familien immer in mehreren Generationen vertreten, denen in ähnlicher Weise nur 4 bürgerliche gegenüberstanden), und weitaus die meisten ihrer Schüler widmen sich dem Dienste des Staates in Heer, Marine, Verwaltung und Justiz. Von 1742 bis 1854 gingen von 1060 Schülern, deren Beruf bekannt geworden ist, 116 (fast 11 Prozent) zum Heere, 725 (über 68 Prozent) auf die Universität, 1854 bis 1904 von 971 Schülern 471 (48^ Prozent) zur Armee oder zur Marine, nur 280 (29 Prozent) zur Universität.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/64>, abgerufen am 28.04.2024.