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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.

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Gräfin Susanna

liegt, beweisen die törichten Versuche zur Schaffung einer Reichshymne. Man
hat es schon auf ein Dutzend gebracht, die natürlich kein Mensch kennt. Um
die Sache in Schwung zu bringen, ist sogar ein Preisausschrciben veranstaltet
worden. Wer Lust verspürt, das Ergebnis dieses poetischen Wettstreits kennen
zu lernen, der wende sich an die Verlagshandlung von L. Oertel in Hannover,
von der im ganzen sechs preisgekrönte Kaiser- und Reichshymnen mit Text und
Melodie herausgegeben worden find. Viel Freude wird er nicht daran haben.
Es sind, wie die besprochnen Volkshymnen, Produkte eines großen patriotischen
Eifers und einer geringen poetischen Begabung. Glücklicherweise sind sie noch
nicht ins Volk gedrungen, das Talmi von Gold besser zu unterscheiden ver¬
steht, als manche gelehrte .Herren glauben. Sollen wir nun in die schmerzliche
Frage ausbrechen: "Wann wird das Deutsche Reich endlich eine Hymne erhalten,
die seiner Macht und Größe würdig ist?" Es gibt wirklich Leute, die sich mit
dieser Frage hingebungsvoll beschäftigen und dabei ganz vergessen, daß wir
längst einen herrlichen Nationalgesang haben, um den uns alle andern Völker
beneiden können. Es ist eine echt deutsche Pedanterie, nach einer neuen Reichs¬
hymne zu suchen, obwohl jeder Deutsche, der sein großes Vaterland im Liede
preisen will, ohne Besinnen singen wird: "Deutschland, Deutschland über alles,
über alles in der Welt." Nein, dieses Lied wird sich das deutsche Volk nicht
nehmen lassen, um dafür eine langweilige Hymne auf Kaiser und Reich einzu¬
tauschen. Wer aber daran Anstoß nimmt, daß dieses Lied nicht als Reichs¬
hymne gelten könne, weil es nicht dem neuen Deutschen Reiche, sondern dem
alten großdeutschen Vaterlande gewidmet sei, dem ist nicht zu helfen. Das
Volk kümmert sich nicht um einen solchen schulmeisterlichen Einspruch, der nur
etwas Äußerliches betrifft; ebensowenig wie sich das Nationalgefühl regeln und
nach politischen Grenzen abmessen läßt. Mögen diese Überpatrioten endlich
lernen, daß in der Kunst nur der Meister etwas Neues und Bleibendes schaffen
kann, und daß echte Volkshymncn und Nationallieder weder dnrch Preisaus-
schreibcn noch durch offizielle Aufmunterung und Anerkennung hervorgerufen
werden! Laßt dem Volke, was des Volkes ist.




Gräfin Husanna
Henry Harland von(Fortsetzung)
20

in Hotel de Rome zu Vallcmza saßen Anthony und Adrian in ihrem
Wohnzimmer und harrten ihres Frühstücks. Susannas Wille war
also richtig durchgedrungen, und Anthony hatte die Reise in einer
Stimmung zurückgelegt, die sein Gefährte als das Gegenteil von
rosig bezeichnete. Als einzigen Trost auf die Fahrt hatte er einige
Worte mitbekommen, die ihm Miß Scmdus zuflüsterte, als er sich
ein jenem letzten Abend von ihr verabschiedete. Diese Worte lauteten: Vergessen
Sie nicht das wahre alte Sprichwort: "Am Ende der Reise kommen Liebende


Gräfin Susanna

liegt, beweisen die törichten Versuche zur Schaffung einer Reichshymne. Man
hat es schon auf ein Dutzend gebracht, die natürlich kein Mensch kennt. Um
die Sache in Schwung zu bringen, ist sogar ein Preisausschrciben veranstaltet
worden. Wer Lust verspürt, das Ergebnis dieses poetischen Wettstreits kennen
zu lernen, der wende sich an die Verlagshandlung von L. Oertel in Hannover,
von der im ganzen sechs preisgekrönte Kaiser- und Reichshymnen mit Text und
Melodie herausgegeben worden find. Viel Freude wird er nicht daran haben.
Es sind, wie die besprochnen Volkshymnen, Produkte eines großen patriotischen
Eifers und einer geringen poetischen Begabung. Glücklicherweise sind sie noch
nicht ins Volk gedrungen, das Talmi von Gold besser zu unterscheiden ver¬
steht, als manche gelehrte .Herren glauben. Sollen wir nun in die schmerzliche
Frage ausbrechen: „Wann wird das Deutsche Reich endlich eine Hymne erhalten,
die seiner Macht und Größe würdig ist?" Es gibt wirklich Leute, die sich mit
dieser Frage hingebungsvoll beschäftigen und dabei ganz vergessen, daß wir
längst einen herrlichen Nationalgesang haben, um den uns alle andern Völker
beneiden können. Es ist eine echt deutsche Pedanterie, nach einer neuen Reichs¬
hymne zu suchen, obwohl jeder Deutsche, der sein großes Vaterland im Liede
preisen will, ohne Besinnen singen wird: „Deutschland, Deutschland über alles,
über alles in der Welt." Nein, dieses Lied wird sich das deutsche Volk nicht
nehmen lassen, um dafür eine langweilige Hymne auf Kaiser und Reich einzu¬
tauschen. Wer aber daran Anstoß nimmt, daß dieses Lied nicht als Reichs¬
hymne gelten könne, weil es nicht dem neuen Deutschen Reiche, sondern dem
alten großdeutschen Vaterlande gewidmet sei, dem ist nicht zu helfen. Das
Volk kümmert sich nicht um einen solchen schulmeisterlichen Einspruch, der nur
etwas Äußerliches betrifft; ebensowenig wie sich das Nationalgefühl regeln und
nach politischen Grenzen abmessen läßt. Mögen diese Überpatrioten endlich
lernen, daß in der Kunst nur der Meister etwas Neues und Bleibendes schaffen
kann, und daß echte Volkshymncn und Nationallieder weder dnrch Preisaus-
schreibcn noch durch offizielle Aufmunterung und Anerkennung hervorgerufen
werden! Laßt dem Volke, was des Volkes ist.




Gräfin Husanna
Henry Harland von(Fortsetzung)
20

in Hotel de Rome zu Vallcmza saßen Anthony und Adrian in ihrem
Wohnzimmer und harrten ihres Frühstücks. Susannas Wille war
also richtig durchgedrungen, und Anthony hatte die Reise in einer
Stimmung zurückgelegt, die sein Gefährte als das Gegenteil von
rosig bezeichnete. Als einzigen Trost auf die Fahrt hatte er einige
Worte mitbekommen, die ihm Miß Scmdus zuflüsterte, als er sich
ein jenem letzten Abend von ihr verabschiedete. Diese Worte lauteten: Vergessen
Sie nicht das wahre alte Sprichwort: „Am Ende der Reise kommen Liebende


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/719>, abgerufen am 28.04.2024.