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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.

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Erinnerungen aus der Zeit 58^8 bis ^850
Wilhelm Flinte^) Beiträge zur Geschichte jener Zeit von
Der Frankfurter Septemberaufstand

le Mächte, hauptsächlich das uns damals wegen unsrer Einheits-
bestrebungen und wegen der Anfänge zur Gründung einer deut¬
schen Flotte besonders feindlich gesinnte England, ebenso Rußland
und Frankreich, schienen es darauf abgesehen zu haben, die Schles-
wig-holsteinische Frage als Gelegenheit zu benutzen, das neue
Deutsche Reich seine Ohnmacht fühlen zu lassen und das aufstrebende Preußen,
das sich der deutschen Sache aufrichtig angenommen hatte, zu strafen. Preußen,
von den Mächten gedrängt, hatte vom Neichsministerium Vollmacht zum Ab¬
schluß des Waffenstillstandes erhalten. Das erste Resultat der aufregenden
Verhandlungen darüber in der Nationalversammlung war, daß am 5. September
die Verwerfung des Waffenstillstandes mit 238 gegen 221 Stimmen beschlossen
wurde. Das Neichsministerium trat infolge dieses Beschlusses zurück, und Dcihl-
mann, der für die Rechte der Herzogtümer lange Jahre gekämpft hatte, wurde
mit der Bildung eines neuen Ministeriums betraut; er brachte ein solches nicht
zustande, worauf der Reichsverweser den Münchner Professor Hermann mir
dieser Aufgabe betraute. Mittlerweile war bekannt geworden, daß Graf Moltke,
ein fanatischer Däne, von der provisorischen Regierung der Herzogtümer zurück¬
getreten sei; diese Nachricht wirkte günstig, und es trat eine gewisse Beruhigung
ein. Nun kamen die weitern entscheidenden Beratungen über den Waffenstill¬
stand, die vom 14. bis zum 16. Abends dauerten, die mit größter Erbitterung
von dessen Gegnern wie Befürwortern geführt wurden und am 16. Abends spät
mit der Annahme des Waffenstillstandes endigten. 258 Abgeordnete hatten
dafür, 237 dagegen gestimmt.

Dieser Ausgang war Wasser auf die Mühle der revolutionären Kreise;
sie bemächtigten sich dieser Frage, weil sie ihrem Haß gegen Preußen einen
Vorwand gab und den Weg der Revolution ermöglichte. Am 17. September,
einem Sonntag, fand auf der Pfingstweide bei Frankfurt -- einem Terrain,
auf dem jetzt der östliche Stadtteil mit dem Zoologischen Garten liegt -- eine
von Tausenden besuchte Volksversammlung statt. Ich wohnte dieser Versamm¬
lung bei. Ludwig Simon von Trier, einer der tüchtigsten Redner der Pauls-
kirche, Schlosse!, ein Schlesier, die Reichshyäne, wie er in der Nativnnlver-



Die Veröffentlichung dieser Erinnerungen des Präsidialsekretärs der Frankfurter National¬
versammlung ist durch den Aufsatz des Professors Joh. Ney. Sepp in Heft 33 und 39 des 3. Bandes
19V3 der Grenzboten veranlaßt worden. Sie ergänzen und berichtigen diesen Aufsatz in mancher
Rich Die Redaktion. tung.


Erinnerungen aus der Zeit 58^8 bis ^850
Wilhelm Flinte^) Beiträge zur Geschichte jener Zeit von
Der Frankfurter Septemberaufstand

le Mächte, hauptsächlich das uns damals wegen unsrer Einheits-
bestrebungen und wegen der Anfänge zur Gründung einer deut¬
schen Flotte besonders feindlich gesinnte England, ebenso Rußland
und Frankreich, schienen es darauf abgesehen zu haben, die Schles-
wig-holsteinische Frage als Gelegenheit zu benutzen, das neue
Deutsche Reich seine Ohnmacht fühlen zu lassen und das aufstrebende Preußen,
das sich der deutschen Sache aufrichtig angenommen hatte, zu strafen. Preußen,
von den Mächten gedrängt, hatte vom Neichsministerium Vollmacht zum Ab¬
schluß des Waffenstillstandes erhalten. Das erste Resultat der aufregenden
Verhandlungen darüber in der Nationalversammlung war, daß am 5. September
die Verwerfung des Waffenstillstandes mit 238 gegen 221 Stimmen beschlossen
wurde. Das Neichsministerium trat infolge dieses Beschlusses zurück, und Dcihl-
mann, der für die Rechte der Herzogtümer lange Jahre gekämpft hatte, wurde
mit der Bildung eines neuen Ministeriums betraut; er brachte ein solches nicht
zustande, worauf der Reichsverweser den Münchner Professor Hermann mir
dieser Aufgabe betraute. Mittlerweile war bekannt geworden, daß Graf Moltke,
ein fanatischer Däne, von der provisorischen Regierung der Herzogtümer zurück¬
getreten sei; diese Nachricht wirkte günstig, und es trat eine gewisse Beruhigung
ein. Nun kamen die weitern entscheidenden Beratungen über den Waffenstill¬
stand, die vom 14. bis zum 16. Abends dauerten, die mit größter Erbitterung
von dessen Gegnern wie Befürwortern geführt wurden und am 16. Abends spät
mit der Annahme des Waffenstillstandes endigten. 258 Abgeordnete hatten
dafür, 237 dagegen gestimmt.

Dieser Ausgang war Wasser auf die Mühle der revolutionären Kreise;
sie bemächtigten sich dieser Frage, weil sie ihrem Haß gegen Preußen einen
Vorwand gab und den Weg der Revolution ermöglichte. Am 17. September,
einem Sonntag, fand auf der Pfingstweide bei Frankfurt — einem Terrain,
auf dem jetzt der östliche Stadtteil mit dem Zoologischen Garten liegt — eine
von Tausenden besuchte Volksversammlung statt. Ich wohnte dieser Versamm¬
lung bei. Ludwig Simon von Trier, einer der tüchtigsten Redner der Pauls-
kirche, Schlosse!, ein Schlesier, die Reichshyäne, wie er in der Nativnnlver-



Die Veröffentlichung dieser Erinnerungen des Präsidialsekretärs der Frankfurter National¬
versammlung ist durch den Aufsatz des Professors Joh. Ney. Sepp in Heft 33 und 39 des 3. Bandes
19V3 der Grenzboten veranlaßt worden. Sie ergänzen und berichtigen diesen Aufsatz in mancher
Rich Die Redaktion. tung.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/86>, abgerufen am 28.04.2024.