Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.Erinnerungen ans der Zeit ^3^3 bis ^350 Sammlung getauft worden war, ein Mann, der die sofortige unentgeltliche Am 18. September begann die Sitzung um 9 Uhr Vormittags. Die Pauls¬ Während die Nationalversammlung in ihren Beratungen über die Grund¬ Erinnerungen ans der Zeit ^3^3 bis ^350 Sammlung getauft worden war, ein Mann, der die sofortige unentgeltliche Am 18. September begann die Sitzung um 9 Uhr Vormittags. Die Pauls¬ Während die Nationalversammlung in ihren Beratungen über die Grund¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0087" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/294504"/> <fw type="header" place="top"> Erinnerungen ans der Zeit ^3^3 bis ^350</fw><lb/> <p xml:id="ID_324" prev="#ID_323"> Sammlung getauft worden war, ein Mann, der die sofortige unentgeltliche<lb/> Aufhebung aller Eigentumsrechte predigte, und der Mainzer Advokat Zitz — die<lb/> Radikalsten unter den Radikalen — hielten hier fulminante Reden; der letzte<lb/> meinte u. a,, es müsse jetzt Fraktur geschrieben werden. Es wurde beschlossen,<lb/> die 258 Abgeordneten, die dem Antrag auf Genehmigung zugestimmt hätten,<lb/> zu Verrätern des deutschen Volkes, der deutschen Ehre und Freiheit zu erklären,<lb/> sowie diesen Beschluß anderntags durch eine Abordnung dem Parlament zu<lb/> übergeben.</p><lb/> <p xml:id="ID_325"> Am 18. September begann die Sitzung um 9 Uhr Vormittags. Die Pauls¬<lb/> kirche war nach Osten hin von einer schwachen Abteilung preußischer Truppen<lb/> umgeben. Im Angesicht dieser Truppen fingen die Aufrührer Morgens um<lb/> 10 Uhr an, nach der Seite des Römers hin das Pflaster aufzureißen und<lb/> Barrikaden zu errichten. Die durch die Vorgänge auf der Pfingstweide und<lb/> andre Anzeichen, worunter die tags vorher in Höchst erfolgten schweren In¬<lb/> sulten gegen den dorthin geflüchteten Neichsminister Heckscher, begründete Be¬<lb/> fürchtung bevorstehender revolutionärer Demonstrationen hatten die provisorische<lb/> Zentralgewalt veranlaßt, Vorkehrungen zur Abwehr zu treffen. Der Präsident<lb/> der Nationalversammlung war davon verständigt worden. Im Laufe des Vor¬<lb/> mittags trafen von Mainz aus Truppenverstärkungen ein, und als sich im<lb/> Laufe des Tages die revolutionäre Erhebung bedrohlicher gestaltete, wurde auch<lb/> noch die Darmstädter Garnison (Infanterie und Artillerie) requiriert. Zu be¬<lb/> merken ist, daß sich diese Requisitionen damals nicht mit der Schnelligkeit der<lb/> Gegenwart vollziehen konnten. Telegraphische Verbindungen zwischen Frank¬<lb/> furt, Darmstadt und Mainz gab es noch nicht, auch keine Verbindung zwischen<lb/> Sachsenhauser und Frankfurt unterhalb der alten Brücke.</p><lb/> <p xml:id="ID_326" next="#ID_327"> Während die Nationalversammlung in ihren Beratungen über die Grund¬<lb/> rechte, insbesondre über den Satz: „Die Wissenschaft und ihre Lehre ist frei,"<lb/> fortfuhr, war ich vom Präsidenten Heinrich von Gagern beauftragt worden,<lb/> mich dann und wann möglichst unauffällig von dem Stand der Vorgänge<lb/> draußen zu unterrichten und ihm Bericht zu erstatte,?, zugleich war mir aufge¬<lb/> tragen worden, vom Turm der Paulskirche aus Ausschau zu halten, ob die Darm-<lb/> stüdter Truppen im Anzug seien. Als ich etwa um 11 Uhr wieder einmal<lb/> in der Umgebung der Paulskirche Umschau hielt, machte ich die Wahrnehmung,<lb/> daß von der im Angesicht der aufgestellten Truppen errichteten Barrikade aus<lb/> mit Pflastersteinen nach diesen geworfen wurde, allerdings nur vereinzelt. Auf<lb/> meine Frage an den befehligenden Offizier, wie er sich das gefallen lassen könne<lb/> und warum er gegen die Empörer nicht einschreite, erhielt ich die Antwort, er<lb/> sei ohne Befehl und müsse ruhig stille stehn, bis dieser eintreffe. In die Penis-<lb/> ^rede zurückgekehrt, fand ich die Mitglieder erregt von ihren Sitzen aufge¬<lb/> sprungen. Eine kleine Anzahl der Aufrührer hatte versucht, durch die Tür auf<lb/> der Nordseite der Kirche, die auffallend erweise nicht durch Truppen abgesperrt<lb/> worden war, einzudringen; sie wurden aber daran verhindert durch mehrere Ab¬<lb/> geordnete, darunter den riesenstarken Hamburger Rieser, der sich mit dem Rücken<lb/> gegen die Tür stemmte. Etwas nach 1 Uhr konnte ich dem Präsidenten melden,<lb/> daß die Truppen im Anzug seien. Die Sitzung wurde geschlossen, nachdem</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0087]
Erinnerungen ans der Zeit ^3^3 bis ^350
Sammlung getauft worden war, ein Mann, der die sofortige unentgeltliche
Aufhebung aller Eigentumsrechte predigte, und der Mainzer Advokat Zitz — die
Radikalsten unter den Radikalen — hielten hier fulminante Reden; der letzte
meinte u. a,, es müsse jetzt Fraktur geschrieben werden. Es wurde beschlossen,
die 258 Abgeordneten, die dem Antrag auf Genehmigung zugestimmt hätten,
zu Verrätern des deutschen Volkes, der deutschen Ehre und Freiheit zu erklären,
sowie diesen Beschluß anderntags durch eine Abordnung dem Parlament zu
übergeben.
Am 18. September begann die Sitzung um 9 Uhr Vormittags. Die Pauls¬
kirche war nach Osten hin von einer schwachen Abteilung preußischer Truppen
umgeben. Im Angesicht dieser Truppen fingen die Aufrührer Morgens um
10 Uhr an, nach der Seite des Römers hin das Pflaster aufzureißen und
Barrikaden zu errichten. Die durch die Vorgänge auf der Pfingstweide und
andre Anzeichen, worunter die tags vorher in Höchst erfolgten schweren In¬
sulten gegen den dorthin geflüchteten Neichsminister Heckscher, begründete Be¬
fürchtung bevorstehender revolutionärer Demonstrationen hatten die provisorische
Zentralgewalt veranlaßt, Vorkehrungen zur Abwehr zu treffen. Der Präsident
der Nationalversammlung war davon verständigt worden. Im Laufe des Vor¬
mittags trafen von Mainz aus Truppenverstärkungen ein, und als sich im
Laufe des Tages die revolutionäre Erhebung bedrohlicher gestaltete, wurde auch
noch die Darmstädter Garnison (Infanterie und Artillerie) requiriert. Zu be¬
merken ist, daß sich diese Requisitionen damals nicht mit der Schnelligkeit der
Gegenwart vollziehen konnten. Telegraphische Verbindungen zwischen Frank¬
furt, Darmstadt und Mainz gab es noch nicht, auch keine Verbindung zwischen
Sachsenhauser und Frankfurt unterhalb der alten Brücke.
Während die Nationalversammlung in ihren Beratungen über die Grund¬
rechte, insbesondre über den Satz: „Die Wissenschaft und ihre Lehre ist frei,"
fortfuhr, war ich vom Präsidenten Heinrich von Gagern beauftragt worden,
mich dann und wann möglichst unauffällig von dem Stand der Vorgänge
draußen zu unterrichten und ihm Bericht zu erstatte,?, zugleich war mir aufge¬
tragen worden, vom Turm der Paulskirche aus Ausschau zu halten, ob die Darm-
stüdter Truppen im Anzug seien. Als ich etwa um 11 Uhr wieder einmal
in der Umgebung der Paulskirche Umschau hielt, machte ich die Wahrnehmung,
daß von der im Angesicht der aufgestellten Truppen errichteten Barrikade aus
mit Pflastersteinen nach diesen geworfen wurde, allerdings nur vereinzelt. Auf
meine Frage an den befehligenden Offizier, wie er sich das gefallen lassen könne
und warum er gegen die Empörer nicht einschreite, erhielt ich die Antwort, er
sei ohne Befehl und müsse ruhig stille stehn, bis dieser eintreffe. In die Penis-
^rede zurückgekehrt, fand ich die Mitglieder erregt von ihren Sitzen aufge¬
sprungen. Eine kleine Anzahl der Aufrührer hatte versucht, durch die Tür auf
der Nordseite der Kirche, die auffallend erweise nicht durch Truppen abgesperrt
worden war, einzudringen; sie wurden aber daran verhindert durch mehrere Ab¬
geordnete, darunter den riesenstarken Hamburger Rieser, der sich mit dem Rücken
gegen die Tür stemmte. Etwas nach 1 Uhr konnte ich dem Präsidenten melden,
daß die Truppen im Anzug seien. Die Sitzung wurde geschlossen, nachdem
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