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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

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Die Damen auf Markby
Mathilde Melkung von (Fortsetzung)
7

tu und Fräulein Bibbi hatten sich sehr befreundet. Sonderbar ist
sie freilich auch, wie alle drüben auf Groß-Markby, sagte Elu
überlegen zu Erik, als dieser sie mit ihrer neuen "Inklination"
neckte, aber "ganz klug." Dies "ganz klug" -- sie beschränkte es
immer mit "ganz," wenn von andern die Rede war -- war das
größte Lob, das Fräulein Elu Berkel in geistiger Beziehung einer
Mitschwester zuteil werden ließ.

Ihre -- Ellis und Bibbis -- gegenseitige Zuneigung stammte eigentlich von
dem Tage her, wo sie einen gemeinschaftlichen Spaziergang in den Markbyer
Wald gemacht hatten, um Champignons zu suchen. Auch Julie hatte sich ange¬
schlossen, als man jedoch die Hütte der Weber-Jnger oben ans dem Hügel er¬
reicht hatte, wollte sie nicht weiter gehn. Sie blieb, die Hände um die Knie
gefaltet und den fast leeren Korb neben sich, auf der hohen steinernen Tür¬
schwelle sitzen.

Elu und Bibbi blieben eine Weile vor ihr stehn und betrachteten sie, dann
sagte Bibbi eindringlich:

Ja, bleib du nur da, meine Liebe.

Ich habe schreckliche Kopfschmerzen, murmelte Julie sich entschuldigend. Sie
hatte jetzt immer "Kopfschmerzen."

Die beiden andern suchten weiter nach Schwämmen, aber nachdem sie eine
gute Strecke im Walde drin waren, und Weber-Jngers Haus nicht mehr zu sehen
war, nahm Elu entschlossen das Blatt vom Munde und sagte:

Daß sie doch, wenn sie allein sein will, keinen andern Vorwand ausfindig
machen kann als diese ewigen kindischen Kopfschmerzen.

Fräulein Bibbi sah rasch auf; sie war eben im Begriff, sich nach einem nicht
allzu feuchten Sitzplatz umzusehen; nun aber ließ sie sich ohne weiteres schwer auf
die Preißelbeerbüsche niedersinken.

Arme Julie! -- Sie schwieg eine Weile und seufzte, sah aber Elu nicht
an. -- Und eigentlich müßte sie ja recht glücklich sein! fügte sie leiser, wie unwill¬
kürlich hinzu.

Ja, so wie sie alles in Hülle und Fülle hat, dachte Elu. Ein andrer armer
Tropf aber... Sie seufzte und las die Tannennadeln von ihrem abgetragnen
Cheviotkleid ab.

Ach Elu! -- Fräulein Bibbis Stimme klang recht sonderbar, halb neidisch,
halb sehnsuchtsvoll. -- Du bist noch so jung.

Elu versuchte zu lachen, es rührte sie, daß jemand sie beneidete. Ja, jung
und arm wie eine Kirchenmaus, vervollständigte sie.

Was tut das? sagte Bibbi, an einem verdorrten Grashalm kauend. Wenn
man nur jung ist und eine Stimme und ein Aussehen hat wie du ...

Ach, daß Gott erbarm! Elu war ungewöhnlich befangen, sie wußte uicht recht,
was sie sagen sollte; es kam nicht oft vor, daß sie von einer Vertreterin ihres
eignen Geschlechts so offenherzig bewundert wurde.




Die Damen auf Markby
Mathilde Melkung von (Fortsetzung)
7

tu und Fräulein Bibbi hatten sich sehr befreundet. Sonderbar ist
sie freilich auch, wie alle drüben auf Groß-Markby, sagte Elu
überlegen zu Erik, als dieser sie mit ihrer neuen „Inklination"
neckte, aber „ganz klug." Dies „ganz klug" — sie beschränkte es
immer mit „ganz," wenn von andern die Rede war — war das
größte Lob, das Fräulein Elu Berkel in geistiger Beziehung einer
Mitschwester zuteil werden ließ.

Ihre — Ellis und Bibbis — gegenseitige Zuneigung stammte eigentlich von
dem Tage her, wo sie einen gemeinschaftlichen Spaziergang in den Markbyer
Wald gemacht hatten, um Champignons zu suchen. Auch Julie hatte sich ange¬
schlossen, als man jedoch die Hütte der Weber-Jnger oben ans dem Hügel er¬
reicht hatte, wollte sie nicht weiter gehn. Sie blieb, die Hände um die Knie
gefaltet und den fast leeren Korb neben sich, auf der hohen steinernen Tür¬
schwelle sitzen.

Elu und Bibbi blieben eine Weile vor ihr stehn und betrachteten sie, dann
sagte Bibbi eindringlich:

Ja, bleib du nur da, meine Liebe.

Ich habe schreckliche Kopfschmerzen, murmelte Julie sich entschuldigend. Sie
hatte jetzt immer „Kopfschmerzen."

Die beiden andern suchten weiter nach Schwämmen, aber nachdem sie eine
gute Strecke im Walde drin waren, und Weber-Jngers Haus nicht mehr zu sehen
war, nahm Elu entschlossen das Blatt vom Munde und sagte:

Daß sie doch, wenn sie allein sein will, keinen andern Vorwand ausfindig
machen kann als diese ewigen kindischen Kopfschmerzen.

Fräulein Bibbi sah rasch auf; sie war eben im Begriff, sich nach einem nicht
allzu feuchten Sitzplatz umzusehen; nun aber ließ sie sich ohne weiteres schwer auf
die Preißelbeerbüsche niedersinken.

Arme Julie! — Sie schwieg eine Weile und seufzte, sah aber Elu nicht
an. — Und eigentlich müßte sie ja recht glücklich sein! fügte sie leiser, wie unwill¬
kürlich hinzu.

Ja, so wie sie alles in Hülle und Fülle hat, dachte Elu. Ein andrer armer
Tropf aber... Sie seufzte und las die Tannennadeln von ihrem abgetragnen
Cheviotkleid ab.

Ach Elu! — Fräulein Bibbis Stimme klang recht sonderbar, halb neidisch,
halb sehnsuchtsvoll. — Du bist noch so jung.

Elu versuchte zu lachen, es rührte sie, daß jemand sie beneidete. Ja, jung
und arm wie eine Kirchenmaus, vervollständigte sie.

Was tut das? sagte Bibbi, an einem verdorrten Grashalm kauend. Wenn
man nur jung ist und eine Stimme und ein Aussehen hat wie du ...

Ach, daß Gott erbarm! Elu war ungewöhnlich befangen, sie wußte uicht recht,
was sie sagen sollte; es kam nicht oft vor, daß sie von einer Vertreterin ihres
eignen Geschlechts so offenherzig bewundert wurde.


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[0232] [Abbildung] Die Damen auf Markby Mathilde Melkung von (Fortsetzung) 7 tu und Fräulein Bibbi hatten sich sehr befreundet. Sonderbar ist sie freilich auch, wie alle drüben auf Groß-Markby, sagte Elu überlegen zu Erik, als dieser sie mit ihrer neuen „Inklination" neckte, aber „ganz klug." Dies „ganz klug" — sie beschränkte es immer mit „ganz," wenn von andern die Rede war — war das größte Lob, das Fräulein Elu Berkel in geistiger Beziehung einer Mitschwester zuteil werden ließ. Ihre — Ellis und Bibbis — gegenseitige Zuneigung stammte eigentlich von dem Tage her, wo sie einen gemeinschaftlichen Spaziergang in den Markbyer Wald gemacht hatten, um Champignons zu suchen. Auch Julie hatte sich ange¬ schlossen, als man jedoch die Hütte der Weber-Jnger oben ans dem Hügel er¬ reicht hatte, wollte sie nicht weiter gehn. Sie blieb, die Hände um die Knie gefaltet und den fast leeren Korb neben sich, auf der hohen steinernen Tür¬ schwelle sitzen. Elu und Bibbi blieben eine Weile vor ihr stehn und betrachteten sie, dann sagte Bibbi eindringlich: Ja, bleib du nur da, meine Liebe. Ich habe schreckliche Kopfschmerzen, murmelte Julie sich entschuldigend. Sie hatte jetzt immer „Kopfschmerzen." Die beiden andern suchten weiter nach Schwämmen, aber nachdem sie eine gute Strecke im Walde drin waren, und Weber-Jngers Haus nicht mehr zu sehen war, nahm Elu entschlossen das Blatt vom Munde und sagte: Daß sie doch, wenn sie allein sein will, keinen andern Vorwand ausfindig machen kann als diese ewigen kindischen Kopfschmerzen. Fräulein Bibbi sah rasch auf; sie war eben im Begriff, sich nach einem nicht allzu feuchten Sitzplatz umzusehen; nun aber ließ sie sich ohne weiteres schwer auf die Preißelbeerbüsche niedersinken. Arme Julie! — Sie schwieg eine Weile und seufzte, sah aber Elu nicht an. — Und eigentlich müßte sie ja recht glücklich sein! fügte sie leiser, wie unwill¬ kürlich hinzu. Ja, so wie sie alles in Hülle und Fülle hat, dachte Elu. Ein andrer armer Tropf aber... Sie seufzte und las die Tannennadeln von ihrem abgetragnen Cheviotkleid ab. Ach Elu! — Fräulein Bibbis Stimme klang recht sonderbar, halb neidisch, halb sehnsuchtsvoll. — Du bist noch so jung. Elu versuchte zu lachen, es rührte sie, daß jemand sie beneidete. Ja, jung und arm wie eine Kirchenmaus, vervollständigte sie. Was tut das? sagte Bibbi, an einem verdorrten Grashalm kauend. Wenn man nur jung ist und eine Stimme und ein Aussehen hat wie du ... Ach, daß Gott erbarm! Elu war ungewöhnlich befangen, sie wußte uicht recht, was sie sagen sollte; es kam nicht oft vor, daß sie von einer Vertreterin ihres eignen Geschlechts so offenherzig bewundert wurde.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/232>, abgerufen am 03.05.2024.