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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

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Glucksinseln und Träume

Sie übertreiben augenscheinlich. Denn was kann mein Erscheinen für Ihre
hiesige Existenz bedeutet, was bewirkt haben? Soweit ich sehe, ist sie noch eben
so, wie sie vorher war. Was sollte ein Mädchen daran andern können? Doch gut,
Sie wollen nicht, daß ich frage. Da wir aber gute Freunde sein sollen, so erlauben
Sie mir den Rat, zu dem ich als Freundin berechtigt bin, die vier Jahre älter
ist: Leben Sie nicht in Illusionen, besonders nicht mit Bezug auf mich; ich bin ein
äußerst fehlerbehaftetes Geschöpf.

Ich ließ Luise nicht ausreden, denn das klang ja fast absurd, und reichte ihr
die Hand. Sie drückte sie lachend und meinte, es solle damit allen Förmlichkeiten
und für immer genügt sein. Ja, für immer! rief ich begeistert; aber das grünende L
erschien mir, und ich fragte kleinlaut: Wie ist es nun mit den Kressen?

Die nehme ich auf mich, und wenn sie herangewachsen sind, essen wir sie als
Pfand der Freundschaft auf, recht jung und zart, damit das L bald verschwindet,
und Onkel und Tante werden dazu geladen.

Und müssen noch obendrein postum vulgars und Visum olivaruiri dazu gebe".




Es war eine ganz hübsche Episode gewesen. Aber ich müßte lügen, wenn ich
nicht einräumte, daß mir ein Stein voni Herzen fiel, als das grüne L in Gestalt
eines Kressensalats, wie er so zart noch kaum gegessen worden ist, verschwand. Ich
hatte mit steigendem Mißfallen und sogar mit Reue die Kressen wuchern und treiben
und den Buchstaben wie mit Bosheit immer deutlicher machen sehen, und ich sehe
jetzt ein, daß der Hauptgrund davon eine innere Unsicherheit war, ob nicht dennoch
Liebe es gewesen sei, die im Gewände der Freundschaft mir das Samenkorn dieser
lyrischen Idee in die Seele geworfen hatte. Am Abend des verzehrten L lag auf
meinem Tisch ein feines Sträußchen aus Kresse mit einer Aurikel in der Mitte,
und von diesem Grün und Goldbraun umhüllt trug ein schmaler, langer, zusammen¬
gerollter Streifen Papier folgenden Vers:

Ich kannte nicht die Hand, doch ertappte ich mich, wie ich den Streifen küssen
wollte. Ich zerdrückte eine Träne und sagte froh nichts weiter als: Freundin!




In meinem Tagebuch finde ich folgende Aufzeichnung aus dieser Zeit: Nun
keimt es wieder Blättern und Blüten entgegen. Aus dem steinigsten Erdreich treiben
grünende Keime, und schwache Httlmchen spalten mit gewaltiger Triebkraft die Erd¬
schollen. So leuchten am Himmel neue Sterne auf aus dem Dunkel, man ahnt
kaum, woher und warum? Doch freut man sich, daß die Welt nicht feiert, und
daß der alte Gott nicht karg geworden ist. Ein solcher Stern warst du. Als du in
unsre Nacht hineinlenchtetest, sagten wir: Das Schicksal hat noch immer Gaben frei.

(Fortsetzung folgt)




Glucksinseln und Träume

Sie übertreiben augenscheinlich. Denn was kann mein Erscheinen für Ihre
hiesige Existenz bedeutet, was bewirkt haben? Soweit ich sehe, ist sie noch eben
so, wie sie vorher war. Was sollte ein Mädchen daran andern können? Doch gut,
Sie wollen nicht, daß ich frage. Da wir aber gute Freunde sein sollen, so erlauben
Sie mir den Rat, zu dem ich als Freundin berechtigt bin, die vier Jahre älter
ist: Leben Sie nicht in Illusionen, besonders nicht mit Bezug auf mich; ich bin ein
äußerst fehlerbehaftetes Geschöpf.

Ich ließ Luise nicht ausreden, denn das klang ja fast absurd, und reichte ihr
die Hand. Sie drückte sie lachend und meinte, es solle damit allen Förmlichkeiten
und für immer genügt sein. Ja, für immer! rief ich begeistert; aber das grünende L
erschien mir, und ich fragte kleinlaut: Wie ist es nun mit den Kressen?

Die nehme ich auf mich, und wenn sie herangewachsen sind, essen wir sie als
Pfand der Freundschaft auf, recht jung und zart, damit das L bald verschwindet,
und Onkel und Tante werden dazu geladen.

Und müssen noch obendrein postum vulgars und Visum olivaruiri dazu gebe».




Es war eine ganz hübsche Episode gewesen. Aber ich müßte lügen, wenn ich
nicht einräumte, daß mir ein Stein voni Herzen fiel, als das grüne L in Gestalt
eines Kressensalats, wie er so zart noch kaum gegessen worden ist, verschwand. Ich
hatte mit steigendem Mißfallen und sogar mit Reue die Kressen wuchern und treiben
und den Buchstaben wie mit Bosheit immer deutlicher machen sehen, und ich sehe
jetzt ein, daß der Hauptgrund davon eine innere Unsicherheit war, ob nicht dennoch
Liebe es gewesen sei, die im Gewände der Freundschaft mir das Samenkorn dieser
lyrischen Idee in die Seele geworfen hatte. Am Abend des verzehrten L lag auf
meinem Tisch ein feines Sträußchen aus Kresse mit einer Aurikel in der Mitte,
und von diesem Grün und Goldbraun umhüllt trug ein schmaler, langer, zusammen¬
gerollter Streifen Papier folgenden Vers:

Ich kannte nicht die Hand, doch ertappte ich mich, wie ich den Streifen küssen
wollte. Ich zerdrückte eine Träne und sagte froh nichts weiter als: Freundin!




In meinem Tagebuch finde ich folgende Aufzeichnung aus dieser Zeit: Nun
keimt es wieder Blättern und Blüten entgegen. Aus dem steinigsten Erdreich treiben
grünende Keime, und schwache Httlmchen spalten mit gewaltiger Triebkraft die Erd¬
schollen. So leuchten am Himmel neue Sterne auf aus dem Dunkel, man ahnt
kaum, woher und warum? Doch freut man sich, daß die Welt nicht feiert, und
daß der alte Gott nicht karg geworden ist. Ein solcher Stern warst du. Als du in
unsre Nacht hineinlenchtetest, sagten wir: Das Schicksal hat noch immer Gaben frei.

(Fortsetzung folgt)




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[0231] Glucksinseln und Träume Sie übertreiben augenscheinlich. Denn was kann mein Erscheinen für Ihre hiesige Existenz bedeutet, was bewirkt haben? Soweit ich sehe, ist sie noch eben so, wie sie vorher war. Was sollte ein Mädchen daran andern können? Doch gut, Sie wollen nicht, daß ich frage. Da wir aber gute Freunde sein sollen, so erlauben Sie mir den Rat, zu dem ich als Freundin berechtigt bin, die vier Jahre älter ist: Leben Sie nicht in Illusionen, besonders nicht mit Bezug auf mich; ich bin ein äußerst fehlerbehaftetes Geschöpf. Ich ließ Luise nicht ausreden, denn das klang ja fast absurd, und reichte ihr die Hand. Sie drückte sie lachend und meinte, es solle damit allen Förmlichkeiten und für immer genügt sein. Ja, für immer! rief ich begeistert; aber das grünende L erschien mir, und ich fragte kleinlaut: Wie ist es nun mit den Kressen? Die nehme ich auf mich, und wenn sie herangewachsen sind, essen wir sie als Pfand der Freundschaft auf, recht jung und zart, damit das L bald verschwindet, und Onkel und Tante werden dazu geladen. Und müssen noch obendrein postum vulgars und Visum olivaruiri dazu gebe». Es war eine ganz hübsche Episode gewesen. Aber ich müßte lügen, wenn ich nicht einräumte, daß mir ein Stein voni Herzen fiel, als das grüne L in Gestalt eines Kressensalats, wie er so zart noch kaum gegessen worden ist, verschwand. Ich hatte mit steigendem Mißfallen und sogar mit Reue die Kressen wuchern und treiben und den Buchstaben wie mit Bosheit immer deutlicher machen sehen, und ich sehe jetzt ein, daß der Hauptgrund davon eine innere Unsicherheit war, ob nicht dennoch Liebe es gewesen sei, die im Gewände der Freundschaft mir das Samenkorn dieser lyrischen Idee in die Seele geworfen hatte. Am Abend des verzehrten L lag auf meinem Tisch ein feines Sträußchen aus Kresse mit einer Aurikel in der Mitte, und von diesem Grün und Goldbraun umhüllt trug ein schmaler, langer, zusammen¬ gerollter Streifen Papier folgenden Vers: Ich kannte nicht die Hand, doch ertappte ich mich, wie ich den Streifen küssen wollte. Ich zerdrückte eine Träne und sagte froh nichts weiter als: Freundin! In meinem Tagebuch finde ich folgende Aufzeichnung aus dieser Zeit: Nun keimt es wieder Blättern und Blüten entgegen. Aus dem steinigsten Erdreich treiben grünende Keime, und schwache Httlmchen spalten mit gewaltiger Triebkraft die Erd¬ schollen. So leuchten am Himmel neue Sterne auf aus dem Dunkel, man ahnt kaum, woher und warum? Doch freut man sich, daß die Welt nicht feiert, und daß der alte Gott nicht karg geworden ist. Ein solcher Stern warst du. Als du in unsre Nacht hineinlenchtetest, sagten wir: Das Schicksal hat noch immer Gaben frei. (Fortsetzung folgt)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/231>, abgerufen am 20.05.2024.