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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

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Konstantinopolitanische Reiseerlebnisse
Friedrich Seiler von
2. Die Stadt Konstantinopel
(Fortsetzung)

>er sich in das endlose, vcrschlnngne Gassengewirr von Altstambnl
hineinbegeben will, der bedarf außer ein wenig Wagemut vor allem
eines Kompasses. Er wird sich dann schlimmstenfalls zu der langen
Trambahn, die von der Agia Sophia zum Kanonentor führt, wie zu
! einer Operationsbasis zurückfinden.

Eine von den Touren, die ich mit diesem Hilfsmittel im dunkelsten
Stambul gemacht habe, war die folgende. Von der Brücke fragten wir uns zunächst
nach rechts hiu zu der berühmten, aber im Häusergewirr fast unauffindbar versteckten
Porzellnnmoschee Rustem Pascha durch. Diese ist als Bauwerk unbedeutend, aber
in ihrem Innern an Wänden und Pfeilern von oben bis unten mit buntgemusterten
Faheneeplatten aus dem sechzehnten Jahrhundert bedeckt, die zu dem Besten ge¬
hören, was es in der Art überhaupt gibt. Da die Farben blau und weiß stark
bevorzugt siud, so erfüllt ein kalter, feierlicher Glanz das Heiligtum. Warm
werden kann mau nicht darin, wie überhaupt in keiner Moschee, denen allen schon
wegen der völligen Abwesenheit jedes Bildwerks etwas Unkörperliches, Abstraktes,
Theoretisches anhaftet. Der führende Otja (Küster) war natürlich mit unserm
reichlich bemessene" Trinkgeld nicht zufrieden und schimpfte unausgesetzt, während
er uns durch die Winkelei um Eingang znrückgelettete. Über das holprige Pflaster
stolperten wir dann durch stinkige Gassen zum ägyptischen Basar, wo uns plötzlich
statt des Gestanks ein penetrauter, aus tausend Aromen gemischter Wohlgeruch
empfing. Denn hier werden sämtliche Würzen, Drogen und Farbstoffe der Welt
von alten langbärtigen Türken, die gravitätisch in ihren Buden hocken, verkauft.
Es ist der echte orientalische Basar aus der Zeit Harun-al-Naschids. Dann führte
uns die Pferdebahn ein kurzes Stück hinauf. Wir verließen sie am Eingang der
"hohen Pforte," eines langen Gebäudes in italienischem Stil, das die Bureaus
der Ministerien des Äußern und des Innern enthält. Diese dachten wir zu besuchen;
denn im kleinen Meyer steht zu lesen, daß man ungeniert durch einen der zahl¬
reichen Eingänge eintreten, die Korridore durchwandern und durch die Portieren
Blicke in die Amtsstuben werfen könne. Mir schien diese Offenherzigkeit der sonst
so stark geheimtuerischen türkischen Behörden gleich nicht recht wahrscheinlich, und
richtig, als wir durch deu Haupteingang "ungeniert eintreten" wollten, wies uns
der Posten mit einer souveränen Handbewegung zurück. Mit dem "Blick in die
türkischen Amtsstuben" war es also nichts.

Wieder bestiegen wir die Pferdebahn und fuhren an der Agia Sophia vorbei
in großem Bogen zur Höhe hinauf. Dabei kommt man an der verbrannten
Säule vorüber, einen, häßlichen Gebilde aus Porphyrtrommeln, die durch eiserne
Ringe und unten durch einen mißgestalteten Mantel aus Mauersteinen zusammen¬
gehalten werden. Diese unschöne Säule stammt vom Apollotempel zu Rom, wurde
von Konstantin nach Konstantinopel gebracht und trug auf ihrem Kapitell die
Bronzestatue des Kaisers, der als Apollo die aufgehende Sonne begrüßte. Im
Jahre 1081 schlug der Blitz hinein, zerstörte die Statue, das Kapitell und den




Konstantinopolitanische Reiseerlebnisse
Friedrich Seiler von
2. Die Stadt Konstantinopel
(Fortsetzung)

>er sich in das endlose, vcrschlnngne Gassengewirr von Altstambnl
hineinbegeben will, der bedarf außer ein wenig Wagemut vor allem
eines Kompasses. Er wird sich dann schlimmstenfalls zu der langen
Trambahn, die von der Agia Sophia zum Kanonentor führt, wie zu
! einer Operationsbasis zurückfinden.

Eine von den Touren, die ich mit diesem Hilfsmittel im dunkelsten
Stambul gemacht habe, war die folgende. Von der Brücke fragten wir uns zunächst
nach rechts hiu zu der berühmten, aber im Häusergewirr fast unauffindbar versteckten
Porzellnnmoschee Rustem Pascha durch. Diese ist als Bauwerk unbedeutend, aber
in ihrem Innern an Wänden und Pfeilern von oben bis unten mit buntgemusterten
Faheneeplatten aus dem sechzehnten Jahrhundert bedeckt, die zu dem Besten ge¬
hören, was es in der Art überhaupt gibt. Da die Farben blau und weiß stark
bevorzugt siud, so erfüllt ein kalter, feierlicher Glanz das Heiligtum. Warm
werden kann mau nicht darin, wie überhaupt in keiner Moschee, denen allen schon
wegen der völligen Abwesenheit jedes Bildwerks etwas Unkörperliches, Abstraktes,
Theoretisches anhaftet. Der führende Otja (Küster) war natürlich mit unserm
reichlich bemessene» Trinkgeld nicht zufrieden und schimpfte unausgesetzt, während
er uns durch die Winkelei um Eingang znrückgelettete. Über das holprige Pflaster
stolperten wir dann durch stinkige Gassen zum ägyptischen Basar, wo uns plötzlich
statt des Gestanks ein penetrauter, aus tausend Aromen gemischter Wohlgeruch
empfing. Denn hier werden sämtliche Würzen, Drogen und Farbstoffe der Welt
von alten langbärtigen Türken, die gravitätisch in ihren Buden hocken, verkauft.
Es ist der echte orientalische Basar aus der Zeit Harun-al-Naschids. Dann führte
uns die Pferdebahn ein kurzes Stück hinauf. Wir verließen sie am Eingang der
„hohen Pforte," eines langen Gebäudes in italienischem Stil, das die Bureaus
der Ministerien des Äußern und des Innern enthält. Diese dachten wir zu besuchen;
denn im kleinen Meyer steht zu lesen, daß man ungeniert durch einen der zahl¬
reichen Eingänge eintreten, die Korridore durchwandern und durch die Portieren
Blicke in die Amtsstuben werfen könne. Mir schien diese Offenherzigkeit der sonst
so stark geheimtuerischen türkischen Behörden gleich nicht recht wahrscheinlich, und
richtig, als wir durch deu Haupteingang „ungeniert eintreten" wollten, wies uns
der Posten mit einer souveränen Handbewegung zurück. Mit dem „Blick in die
türkischen Amtsstuben" war es also nichts.

Wieder bestiegen wir die Pferdebahn und fuhren an der Agia Sophia vorbei
in großem Bogen zur Höhe hinauf. Dabei kommt man an der verbrannten
Säule vorüber, einen, häßlichen Gebilde aus Porphyrtrommeln, die durch eiserne
Ringe und unten durch einen mißgestalteten Mantel aus Mauersteinen zusammen¬
gehalten werden. Diese unschöne Säule stammt vom Apollotempel zu Rom, wurde
von Konstantin nach Konstantinopel gebracht und trug auf ihrem Kapitell die
Bronzestatue des Kaisers, der als Apollo die aufgehende Sonne begrüßte. Im
Jahre 1081 schlug der Blitz hinein, zerstörte die Statue, das Kapitell und den


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[0573] [Abbildung] Konstantinopolitanische Reiseerlebnisse Friedrich Seiler von 2. Die Stadt Konstantinopel (Fortsetzung) >er sich in das endlose, vcrschlnngne Gassengewirr von Altstambnl hineinbegeben will, der bedarf außer ein wenig Wagemut vor allem eines Kompasses. Er wird sich dann schlimmstenfalls zu der langen Trambahn, die von der Agia Sophia zum Kanonentor führt, wie zu ! einer Operationsbasis zurückfinden. Eine von den Touren, die ich mit diesem Hilfsmittel im dunkelsten Stambul gemacht habe, war die folgende. Von der Brücke fragten wir uns zunächst nach rechts hiu zu der berühmten, aber im Häusergewirr fast unauffindbar versteckten Porzellnnmoschee Rustem Pascha durch. Diese ist als Bauwerk unbedeutend, aber in ihrem Innern an Wänden und Pfeilern von oben bis unten mit buntgemusterten Faheneeplatten aus dem sechzehnten Jahrhundert bedeckt, die zu dem Besten ge¬ hören, was es in der Art überhaupt gibt. Da die Farben blau und weiß stark bevorzugt siud, so erfüllt ein kalter, feierlicher Glanz das Heiligtum. Warm werden kann mau nicht darin, wie überhaupt in keiner Moschee, denen allen schon wegen der völligen Abwesenheit jedes Bildwerks etwas Unkörperliches, Abstraktes, Theoretisches anhaftet. Der führende Otja (Küster) war natürlich mit unserm reichlich bemessene» Trinkgeld nicht zufrieden und schimpfte unausgesetzt, während er uns durch die Winkelei um Eingang znrückgelettete. Über das holprige Pflaster stolperten wir dann durch stinkige Gassen zum ägyptischen Basar, wo uns plötzlich statt des Gestanks ein penetrauter, aus tausend Aromen gemischter Wohlgeruch empfing. Denn hier werden sämtliche Würzen, Drogen und Farbstoffe der Welt von alten langbärtigen Türken, die gravitätisch in ihren Buden hocken, verkauft. Es ist der echte orientalische Basar aus der Zeit Harun-al-Naschids. Dann führte uns die Pferdebahn ein kurzes Stück hinauf. Wir verließen sie am Eingang der „hohen Pforte," eines langen Gebäudes in italienischem Stil, das die Bureaus der Ministerien des Äußern und des Innern enthält. Diese dachten wir zu besuchen; denn im kleinen Meyer steht zu lesen, daß man ungeniert durch einen der zahl¬ reichen Eingänge eintreten, die Korridore durchwandern und durch die Portieren Blicke in die Amtsstuben werfen könne. Mir schien diese Offenherzigkeit der sonst so stark geheimtuerischen türkischen Behörden gleich nicht recht wahrscheinlich, und richtig, als wir durch deu Haupteingang „ungeniert eintreten" wollten, wies uns der Posten mit einer souveränen Handbewegung zurück. Mit dem „Blick in die türkischen Amtsstuben" war es also nichts. Wieder bestiegen wir die Pferdebahn und fuhren an der Agia Sophia vorbei in großem Bogen zur Höhe hinauf. Dabei kommt man an der verbrannten Säule vorüber, einen, häßlichen Gebilde aus Porphyrtrommeln, die durch eiserne Ringe und unten durch einen mißgestalteten Mantel aus Mauersteinen zusammen¬ gehalten werden. Diese unschöne Säule stammt vom Apollotempel zu Rom, wurde von Konstantin nach Konstantinopel gebracht und trug auf ihrem Kapitell die Bronzestatue des Kaisers, der als Apollo die aufgehende Sonne begrüßte. Im Jahre 1081 schlug der Blitz hinein, zerstörte die Statue, das Kapitell und den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/573>, abgerufen am 03.05.2024.