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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

und Kant die Humanität gefeiert. Sollte es wirklich eine Abschiedsfeier gewesen
sein? Ich kann und will es noch nicht glauben, und ich habe das feste Vertrauen,
daß die katholischen Wahrheitssucher die Protestantischen Wahrheitssucher in dem
Bestreben, unsre Kultur vor neuer Verwüstung zu bewahren, unterstützen werden.
Eine ganz unnötige Verschärfung der Gegensätze ist bei gutem Willen auf beiden
Seiten zu vermeiden. Nicht Denifle, nicht der Evangelische Bund, weder der
Jesuitismus noch Graf Hoensbroech hat angefangen. Zwei Prinzipien ringen seit
dem Beginn der neuern Zeiten miteinander um die Herrschaft. So lange sich nicht
das eine für überwunden erklärt -- und wann wäre das abzusehen? --, wird es
an Reibungen und Konflikten nicht fehlen. Die Aufgabe der Zukunft besteht weit
weniger in der Ausgestaltung des moäus vivoncU zwischen der Kurie und der Reichs¬
regierung, als in der Gewöhnung der katholischen und der protestantischen Reichs¬
angehörigen an eine in beiden Lagern vielfach nur dem Namen nach bekannte Parität
und Duldung.

Damit stimmt ganz überein, was Reichskanzler Graf Bülow am 15. März
im preußischen Abgeordnetenhaus gesagt hat: Nicht die Regierung braucht so sehr
den Frieden, sondern das deutsche Volk. Das deutsche Volk soll mit kleinlichen, ge¬
hässigen und elenden konfessionellen Zänkereien verschont bleiben von beiden Seiten.

Erst dann, wenn man auf feiten der Protestanten nichts mehr daran aus¬
zusetzen findet, daß der deutsche Kaiser das Huldigungstelegramm des Regensburger
Katholikentags höflich erwidert, erst dann, wenn im katholischen Lager der weite,
milde, tiefe Geist eines Esser, der sich auf demselben Kongreß gar schön über das
Königtum Christi verbreitet hat, um sich greift, wird man in der Lage sein, die
gemeinsamen Berührungs- und Fühlungspunkte herauszufinden. Dann wird auch
die Stunde schlagen, wo die Streitaxt begraben wird. Vielleicht ist diese Zeit
näher, als wir glauben.


Hans und die soziale Frage.

Ein alter Nervenarzt hat in der Kölnischen
Zeitung gelehrt, wie man sich den Nerven- und Muskelmechanismus, mit dem der
kluge Hans seine Empfindungen und Gedanken äußert, zu denken habe, und hat
mir seine Abhandlung übersandt. Ich habe ihm mein Bedauern darüber ausge¬
sprochen, daß er auf den Schwindel hineingefallen sei, und er hat natürlich dieses
Bedauern mit Entrüstung abgelehnt. Jetzt bin i es der Blamierte. Die Prüfungs¬
kommission hat gesprochen und den Hans für einen zur Versetzung reifen Quintaner
erklärt. Zwar nicht mit diesen Worten; aber sie hat das Urteil des Herrn
von Osten bestätigt, und dieser hat, wenn ich mich recht erinnere, versichert,
daß die Verstandesentwicklung seines Hans der eines zwölfjährigen Knaben ent¬
spreche. Damit eröffnet sich uns die erfreuliche Aussicht auf eine neue soziale
Frage. Die Parteien streiten darüber, in welchen: Maße intellektuelle Bildung
verbreitet werden solle. Rechts glaubt man, es tue nicht gut, wenn die Dienst¬
boten und die Lohnarbeiter ihren Verstand zu stark entwickelten und zu viel lernten.
Links behauptet man, jeder Mensch habe einen Rechtsanspruch auf so viel Wissen,
als sein Kopf zu fassen vermöge, d. h. auf Uuiversalgelehrsamkeit, da man auf
dieser Seite auch glaubt, alle Menschen seien gleich begabt, jeder sei zu allem fähig;
und die Linke wird wohl mit der Zeit siegen. Nun ist ein Hengst, der den Ver¬
stand eines zwölfjährigen Knaben hat, zweifellos seinem innern Wesen nach ein
Mensch, so gut wie der Bär, der sich bei Schneeweiß und Rosenrot wärmen kam,
seinem innersten Wesen nach kein Bär war, sondern ein verwunschner Prinz. Der
menschlichen Gesellschaft liegt also fortan die Pflicht ob, nicht bloß Hansens, sondern
aller Pferde geistige Fähigkeiten zu entwickeln, denn wenn Hans Fähigkeiten hätte,
die kein andres Pferd hat, so wäre das ja ein Wunder, und Wunder gibt es nicht.
Die Pferde -- später ohne Zweifel auch die Hunde und die Affen -- treten also
in die Reihe der Persönlichkeiten, der Rechtssubjekte ein, und ehe man sie einspannt
oder zureitet, wird man einen Arbeitvertrag mit ihnen schließen müssen. Es kann


Grenzboten IV 1904 8
Maßgebliches und Unmaßgebliches

und Kant die Humanität gefeiert. Sollte es wirklich eine Abschiedsfeier gewesen
sein? Ich kann und will es noch nicht glauben, und ich habe das feste Vertrauen,
daß die katholischen Wahrheitssucher die Protestantischen Wahrheitssucher in dem
Bestreben, unsre Kultur vor neuer Verwüstung zu bewahren, unterstützen werden.
Eine ganz unnötige Verschärfung der Gegensätze ist bei gutem Willen auf beiden
Seiten zu vermeiden. Nicht Denifle, nicht der Evangelische Bund, weder der
Jesuitismus noch Graf Hoensbroech hat angefangen. Zwei Prinzipien ringen seit
dem Beginn der neuern Zeiten miteinander um die Herrschaft. So lange sich nicht
das eine für überwunden erklärt — und wann wäre das abzusehen? —, wird es
an Reibungen und Konflikten nicht fehlen. Die Aufgabe der Zukunft besteht weit
weniger in der Ausgestaltung des moäus vivoncU zwischen der Kurie und der Reichs¬
regierung, als in der Gewöhnung der katholischen und der protestantischen Reichs¬
angehörigen an eine in beiden Lagern vielfach nur dem Namen nach bekannte Parität
und Duldung.

Damit stimmt ganz überein, was Reichskanzler Graf Bülow am 15. März
im preußischen Abgeordnetenhaus gesagt hat: Nicht die Regierung braucht so sehr
den Frieden, sondern das deutsche Volk. Das deutsche Volk soll mit kleinlichen, ge¬
hässigen und elenden konfessionellen Zänkereien verschont bleiben von beiden Seiten.

Erst dann, wenn man auf feiten der Protestanten nichts mehr daran aus¬
zusetzen findet, daß der deutsche Kaiser das Huldigungstelegramm des Regensburger
Katholikentags höflich erwidert, erst dann, wenn im katholischen Lager der weite,
milde, tiefe Geist eines Esser, der sich auf demselben Kongreß gar schön über das
Königtum Christi verbreitet hat, um sich greift, wird man in der Lage sein, die
gemeinsamen Berührungs- und Fühlungspunkte herauszufinden. Dann wird auch
die Stunde schlagen, wo die Streitaxt begraben wird. Vielleicht ist diese Zeit
näher, als wir glauben.


Hans und die soziale Frage.

Ein alter Nervenarzt hat in der Kölnischen
Zeitung gelehrt, wie man sich den Nerven- und Muskelmechanismus, mit dem der
kluge Hans seine Empfindungen und Gedanken äußert, zu denken habe, und hat
mir seine Abhandlung übersandt. Ich habe ihm mein Bedauern darüber ausge¬
sprochen, daß er auf den Schwindel hineingefallen sei, und er hat natürlich dieses
Bedauern mit Entrüstung abgelehnt. Jetzt bin i es der Blamierte. Die Prüfungs¬
kommission hat gesprochen und den Hans für einen zur Versetzung reifen Quintaner
erklärt. Zwar nicht mit diesen Worten; aber sie hat das Urteil des Herrn
von Osten bestätigt, und dieser hat, wenn ich mich recht erinnere, versichert,
daß die Verstandesentwicklung seines Hans der eines zwölfjährigen Knaben ent¬
spreche. Damit eröffnet sich uns die erfreuliche Aussicht auf eine neue soziale
Frage. Die Parteien streiten darüber, in welchen: Maße intellektuelle Bildung
verbreitet werden solle. Rechts glaubt man, es tue nicht gut, wenn die Dienst¬
boten und die Lohnarbeiter ihren Verstand zu stark entwickelten und zu viel lernten.
Links behauptet man, jeder Mensch habe einen Rechtsanspruch auf so viel Wissen,
als sein Kopf zu fassen vermöge, d. h. auf Uuiversalgelehrsamkeit, da man auf
dieser Seite auch glaubt, alle Menschen seien gleich begabt, jeder sei zu allem fähig;
und die Linke wird wohl mit der Zeit siegen. Nun ist ein Hengst, der den Ver¬
stand eines zwölfjährigen Knaben hat, zweifellos seinem innern Wesen nach ein
Mensch, so gut wie der Bär, der sich bei Schneeweiß und Rosenrot wärmen kam,
seinem innersten Wesen nach kein Bär war, sondern ein verwunschner Prinz. Der
menschlichen Gesellschaft liegt also fortan die Pflicht ob, nicht bloß Hansens, sondern
aller Pferde geistige Fähigkeiten zu entwickeln, denn wenn Hans Fähigkeiten hätte,
die kein andres Pferd hat, so wäre das ja ein Wunder, und Wunder gibt es nicht.
Die Pferde — später ohne Zweifel auch die Hunde und die Affen — treten also
in die Reihe der Persönlichkeiten, der Rechtssubjekte ein, und ehe man sie einspannt
oder zureitet, wird man einen Arbeitvertrag mit ihnen schließen müssen. Es kann


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[0065] Maßgebliches und Unmaßgebliches und Kant die Humanität gefeiert. Sollte es wirklich eine Abschiedsfeier gewesen sein? Ich kann und will es noch nicht glauben, und ich habe das feste Vertrauen, daß die katholischen Wahrheitssucher die Protestantischen Wahrheitssucher in dem Bestreben, unsre Kultur vor neuer Verwüstung zu bewahren, unterstützen werden. Eine ganz unnötige Verschärfung der Gegensätze ist bei gutem Willen auf beiden Seiten zu vermeiden. Nicht Denifle, nicht der Evangelische Bund, weder der Jesuitismus noch Graf Hoensbroech hat angefangen. Zwei Prinzipien ringen seit dem Beginn der neuern Zeiten miteinander um die Herrschaft. So lange sich nicht das eine für überwunden erklärt — und wann wäre das abzusehen? —, wird es an Reibungen und Konflikten nicht fehlen. Die Aufgabe der Zukunft besteht weit weniger in der Ausgestaltung des moäus vivoncU zwischen der Kurie und der Reichs¬ regierung, als in der Gewöhnung der katholischen und der protestantischen Reichs¬ angehörigen an eine in beiden Lagern vielfach nur dem Namen nach bekannte Parität und Duldung. Damit stimmt ganz überein, was Reichskanzler Graf Bülow am 15. März im preußischen Abgeordnetenhaus gesagt hat: Nicht die Regierung braucht so sehr den Frieden, sondern das deutsche Volk. Das deutsche Volk soll mit kleinlichen, ge¬ hässigen und elenden konfessionellen Zänkereien verschont bleiben von beiden Seiten. Erst dann, wenn man auf feiten der Protestanten nichts mehr daran aus¬ zusetzen findet, daß der deutsche Kaiser das Huldigungstelegramm des Regensburger Katholikentags höflich erwidert, erst dann, wenn im katholischen Lager der weite, milde, tiefe Geist eines Esser, der sich auf demselben Kongreß gar schön über das Königtum Christi verbreitet hat, um sich greift, wird man in der Lage sein, die gemeinsamen Berührungs- und Fühlungspunkte herauszufinden. Dann wird auch die Stunde schlagen, wo die Streitaxt begraben wird. Vielleicht ist diese Zeit näher, als wir glauben. Hans und die soziale Frage. Ein alter Nervenarzt hat in der Kölnischen Zeitung gelehrt, wie man sich den Nerven- und Muskelmechanismus, mit dem der kluge Hans seine Empfindungen und Gedanken äußert, zu denken habe, und hat mir seine Abhandlung übersandt. Ich habe ihm mein Bedauern darüber ausge¬ sprochen, daß er auf den Schwindel hineingefallen sei, und er hat natürlich dieses Bedauern mit Entrüstung abgelehnt. Jetzt bin i es der Blamierte. Die Prüfungs¬ kommission hat gesprochen und den Hans für einen zur Versetzung reifen Quintaner erklärt. Zwar nicht mit diesen Worten; aber sie hat das Urteil des Herrn von Osten bestätigt, und dieser hat, wenn ich mich recht erinnere, versichert, daß die Verstandesentwicklung seines Hans der eines zwölfjährigen Knaben ent¬ spreche. Damit eröffnet sich uns die erfreuliche Aussicht auf eine neue soziale Frage. Die Parteien streiten darüber, in welchen: Maße intellektuelle Bildung verbreitet werden solle. Rechts glaubt man, es tue nicht gut, wenn die Dienst¬ boten und die Lohnarbeiter ihren Verstand zu stark entwickelten und zu viel lernten. Links behauptet man, jeder Mensch habe einen Rechtsanspruch auf so viel Wissen, als sein Kopf zu fassen vermöge, d. h. auf Uuiversalgelehrsamkeit, da man auf dieser Seite auch glaubt, alle Menschen seien gleich begabt, jeder sei zu allem fähig; und die Linke wird wohl mit der Zeit siegen. Nun ist ein Hengst, der den Ver¬ stand eines zwölfjährigen Knaben hat, zweifellos seinem innern Wesen nach ein Mensch, so gut wie der Bär, der sich bei Schneeweiß und Rosenrot wärmen kam, seinem innersten Wesen nach kein Bär war, sondern ein verwunschner Prinz. Der menschlichen Gesellschaft liegt also fortan die Pflicht ob, nicht bloß Hansens, sondern aller Pferde geistige Fähigkeiten zu entwickeln, denn wenn Hans Fähigkeiten hätte, die kein andres Pferd hat, so wäre das ja ein Wunder, und Wunder gibt es nicht. Die Pferde — später ohne Zweifel auch die Hunde und die Affen — treten also in die Reihe der Persönlichkeiten, der Rechtssubjekte ein, und ehe man sie einspannt oder zureitet, wird man einen Arbeitvertrag mit ihnen schließen müssen. Es kann Grenzboten IV 1904 8

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/65>, abgerufen am 03.05.2024.