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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

dieselben Gegensätze vorhanden. Warum ist dort Ruhe? Der Gründe gibts Wohl
mancherlei. Zuerst steckt doch wohl den Evangelischen in Deutschland die Ver¬
gangenheit noch etwas in den Gliedern. Die Greuel und die Verwüstungen des
Religionskriegs im siebzehnten Jahrhundert, Hngenottenverfolguugen, Salzburger
Emigranten, die Zillertaler Ereignisse -- das alles liegt zwar nun lange Zeit
hinter uns zurück; aber ein gewisser Niederschlag im protestantischen Volk ist ge¬
blieben, und furchtsame Gemüter schauen ängstlich aus, ob sich nicht Vorzeichen ähn¬
licher Drangsalzeiten, in der Gegenwart finden. Ein andrer Grund für die kon¬
fessionelle Erregung und Nervosität liegt in dem Bestreben, in beiden Lagern jedes
Wort, jede Tat, die sich ein einzelner exaltierter und exzentrischer Gegner zuschulden
komme" läßt, genau zu notieren, sodann zu verallgemeinern und zuletzt mit den
entsprechenden Randglossen in einem Dutzend von Zeitungen zu veröffentlichen.
Und dann wundert man sich, wenn keine Ruhe im Lande einkehren will, oder
man trieft von Friedensvorschlägen, die doch gar keinen Wert haben.

Die konfessionelle Zerfahrenheit liegt aber endlich auch in einer gewissen deutschen
Pedanterie und Schulmeistere. Da man allein das Nichtige zu haben glaubt, will
mau keinen Anlaß vorübergehn lassen, es dem andern zu oktroyieren, ob er nun
mag oder nicht. Auch hier kann natürlich von Toleranz keine Rede sein.

Wie es anders, besser werden soll? Man hat von der Gründung einer
Friedensliga gesprochen. Jedoch die natürlichsten Vertreter einer solchen, die Geist¬
lichen, sind dafür gar nicht eingenommen. Die katholischen Geistlichen können ver¬
einzelt ohne bischöfliche Genehmigung nicht vorgehn, und die protestantischen haben
dazu keine Lust. Die nichtgeistlichen Kreise aber sind infolge ihrer politischen An¬
schauungen ohne Sympathie für solche Ideale.

Ein andrer Vorschlag ist von dem Domherrn zu Breslau, Dr. Soltmann, aus¬
gegangen. Dieser hat das alte Dölliugersche Rezept wieder hervorgeholt: "Wieder¬
vereinigung der getrennten Christen, zunächst in deutschen Landen." Es liest sich
ganz schön, wenn plädiert wird für eine Vereinigung auf den Grundlagen der
lutherischen Bekenntnisschriften sowie der Trientiner Konzilbcschlüsse. Aber nur
ein Idealist kann an eine Übertragung dieses Vorschlags in die Praxis denken. Auch
wir selber kämen in Verlegenheit, wenn wir ein Mittel zur Beilegung der Kämpfe
angeben sollten. Wir kennen nur das eine, daß jeder an seinem Teil alles und
jedes unterläßt, was den Frieden stören könnte, und alles begünstigt, was den
Frieden fördert.

Ein viertel Jahrtausend ist vergangen, seitdem Protestantismus und Katholi¬
zismus auf Tod und Leben miteinander gerungen haben. Das Ende war, daß
keiner den andern überwunden hatte. Aber die eine Lehre nahmen sich beide Teile
aus dem Krieg, im öffentlichen Leben die Disputationen über religiöse Fragen ganz
zu unterlassen. Der Krebsschaden der Gegenwart liegt darin, daß man dies alles
vergessen hat, und daß man gescheiter sein will als die Väter. Das hat sich bitter
gerächt. Es wäre sehr verfehlt, wenn auch die deutsche evangelische Reichssynode,
vorausgesetzt, daß sie zustande kommt, zu ihrer Propaganda den Kampf gegen Rom
heranziehn würde. Es ist jetzt genng gestritten worden. Was wir brauchen, das
ist eine Neubelebung und Vertiefung religiöser Gesinnung im eignen Lager. Dazu
ist der Kampf mit Rom nicht nötig. Man lasse diesen endlich einmal aus dem
Spiel. Zur Erneuerung persönlichen christlichen Lebens trögt er doch wahrhaftig
nicht das mindeste bei.

Mit Recht sagt Professor Fester in seinem Aufsatz über "Religionskrieg und
Geschichtswissenschaft": Wohin kommen wir, wenn der Deutsche sich gewöhnt, seine
Verwandten, Nachbarn, Freunde und Bekannte, ehe er den Verkehr mit ihnen fort¬
setzt, über ihr Glaubensbekenntnis zu examinieren! Ist es nicht genug, daß eine
Generation mit der andern um ihre Weltanschauung ringt, sollen alle menschlichen
Beziehungen durch eine schraubenartige gegenseitige Gewissenserforschung, durch den
Kampf aller gegen alle vergiftet werden? Wir haben in diesen Tagen in Herder


Maßgebliches und Unmaßgebliches

dieselben Gegensätze vorhanden. Warum ist dort Ruhe? Der Gründe gibts Wohl
mancherlei. Zuerst steckt doch wohl den Evangelischen in Deutschland die Ver¬
gangenheit noch etwas in den Gliedern. Die Greuel und die Verwüstungen des
Religionskriegs im siebzehnten Jahrhundert, Hngenottenverfolguugen, Salzburger
Emigranten, die Zillertaler Ereignisse — das alles liegt zwar nun lange Zeit
hinter uns zurück; aber ein gewisser Niederschlag im protestantischen Volk ist ge¬
blieben, und furchtsame Gemüter schauen ängstlich aus, ob sich nicht Vorzeichen ähn¬
licher Drangsalzeiten, in der Gegenwart finden. Ein andrer Grund für die kon¬
fessionelle Erregung und Nervosität liegt in dem Bestreben, in beiden Lagern jedes
Wort, jede Tat, die sich ein einzelner exaltierter und exzentrischer Gegner zuschulden
komme» läßt, genau zu notieren, sodann zu verallgemeinern und zuletzt mit den
entsprechenden Randglossen in einem Dutzend von Zeitungen zu veröffentlichen.
Und dann wundert man sich, wenn keine Ruhe im Lande einkehren will, oder
man trieft von Friedensvorschlägen, die doch gar keinen Wert haben.

Die konfessionelle Zerfahrenheit liegt aber endlich auch in einer gewissen deutschen
Pedanterie und Schulmeistere. Da man allein das Nichtige zu haben glaubt, will
mau keinen Anlaß vorübergehn lassen, es dem andern zu oktroyieren, ob er nun
mag oder nicht. Auch hier kann natürlich von Toleranz keine Rede sein.

Wie es anders, besser werden soll? Man hat von der Gründung einer
Friedensliga gesprochen. Jedoch die natürlichsten Vertreter einer solchen, die Geist¬
lichen, sind dafür gar nicht eingenommen. Die katholischen Geistlichen können ver¬
einzelt ohne bischöfliche Genehmigung nicht vorgehn, und die protestantischen haben
dazu keine Lust. Die nichtgeistlichen Kreise aber sind infolge ihrer politischen An¬
schauungen ohne Sympathie für solche Ideale.

Ein andrer Vorschlag ist von dem Domherrn zu Breslau, Dr. Soltmann, aus¬
gegangen. Dieser hat das alte Dölliugersche Rezept wieder hervorgeholt: „Wieder¬
vereinigung der getrennten Christen, zunächst in deutschen Landen." Es liest sich
ganz schön, wenn plädiert wird für eine Vereinigung auf den Grundlagen der
lutherischen Bekenntnisschriften sowie der Trientiner Konzilbcschlüsse. Aber nur
ein Idealist kann an eine Übertragung dieses Vorschlags in die Praxis denken. Auch
wir selber kämen in Verlegenheit, wenn wir ein Mittel zur Beilegung der Kämpfe
angeben sollten. Wir kennen nur das eine, daß jeder an seinem Teil alles und
jedes unterläßt, was den Frieden stören könnte, und alles begünstigt, was den
Frieden fördert.

Ein viertel Jahrtausend ist vergangen, seitdem Protestantismus und Katholi¬
zismus auf Tod und Leben miteinander gerungen haben. Das Ende war, daß
keiner den andern überwunden hatte. Aber die eine Lehre nahmen sich beide Teile
aus dem Krieg, im öffentlichen Leben die Disputationen über religiöse Fragen ganz
zu unterlassen. Der Krebsschaden der Gegenwart liegt darin, daß man dies alles
vergessen hat, und daß man gescheiter sein will als die Väter. Das hat sich bitter
gerächt. Es wäre sehr verfehlt, wenn auch die deutsche evangelische Reichssynode,
vorausgesetzt, daß sie zustande kommt, zu ihrer Propaganda den Kampf gegen Rom
heranziehn würde. Es ist jetzt genng gestritten worden. Was wir brauchen, das
ist eine Neubelebung und Vertiefung religiöser Gesinnung im eignen Lager. Dazu
ist der Kampf mit Rom nicht nötig. Man lasse diesen endlich einmal aus dem
Spiel. Zur Erneuerung persönlichen christlichen Lebens trögt er doch wahrhaftig
nicht das mindeste bei.

Mit Recht sagt Professor Fester in seinem Aufsatz über „Religionskrieg und
Geschichtswissenschaft": Wohin kommen wir, wenn der Deutsche sich gewöhnt, seine
Verwandten, Nachbarn, Freunde und Bekannte, ehe er den Verkehr mit ihnen fort¬
setzt, über ihr Glaubensbekenntnis zu examinieren! Ist es nicht genug, daß eine
Generation mit der andern um ihre Weltanschauung ringt, sollen alle menschlichen
Beziehungen durch eine schraubenartige gegenseitige Gewissenserforschung, durch den
Kampf aller gegen alle vergiftet werden? Wir haben in diesen Tagen in Herder


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[0064] Maßgebliches und Unmaßgebliches dieselben Gegensätze vorhanden. Warum ist dort Ruhe? Der Gründe gibts Wohl mancherlei. Zuerst steckt doch wohl den Evangelischen in Deutschland die Ver¬ gangenheit noch etwas in den Gliedern. Die Greuel und die Verwüstungen des Religionskriegs im siebzehnten Jahrhundert, Hngenottenverfolguugen, Salzburger Emigranten, die Zillertaler Ereignisse — das alles liegt zwar nun lange Zeit hinter uns zurück; aber ein gewisser Niederschlag im protestantischen Volk ist ge¬ blieben, und furchtsame Gemüter schauen ängstlich aus, ob sich nicht Vorzeichen ähn¬ licher Drangsalzeiten, in der Gegenwart finden. Ein andrer Grund für die kon¬ fessionelle Erregung und Nervosität liegt in dem Bestreben, in beiden Lagern jedes Wort, jede Tat, die sich ein einzelner exaltierter und exzentrischer Gegner zuschulden komme» läßt, genau zu notieren, sodann zu verallgemeinern und zuletzt mit den entsprechenden Randglossen in einem Dutzend von Zeitungen zu veröffentlichen. Und dann wundert man sich, wenn keine Ruhe im Lande einkehren will, oder man trieft von Friedensvorschlägen, die doch gar keinen Wert haben. Die konfessionelle Zerfahrenheit liegt aber endlich auch in einer gewissen deutschen Pedanterie und Schulmeistere. Da man allein das Nichtige zu haben glaubt, will mau keinen Anlaß vorübergehn lassen, es dem andern zu oktroyieren, ob er nun mag oder nicht. Auch hier kann natürlich von Toleranz keine Rede sein. Wie es anders, besser werden soll? Man hat von der Gründung einer Friedensliga gesprochen. Jedoch die natürlichsten Vertreter einer solchen, die Geist¬ lichen, sind dafür gar nicht eingenommen. Die katholischen Geistlichen können ver¬ einzelt ohne bischöfliche Genehmigung nicht vorgehn, und die protestantischen haben dazu keine Lust. Die nichtgeistlichen Kreise aber sind infolge ihrer politischen An¬ schauungen ohne Sympathie für solche Ideale. Ein andrer Vorschlag ist von dem Domherrn zu Breslau, Dr. Soltmann, aus¬ gegangen. Dieser hat das alte Dölliugersche Rezept wieder hervorgeholt: „Wieder¬ vereinigung der getrennten Christen, zunächst in deutschen Landen." Es liest sich ganz schön, wenn plädiert wird für eine Vereinigung auf den Grundlagen der lutherischen Bekenntnisschriften sowie der Trientiner Konzilbcschlüsse. Aber nur ein Idealist kann an eine Übertragung dieses Vorschlags in die Praxis denken. Auch wir selber kämen in Verlegenheit, wenn wir ein Mittel zur Beilegung der Kämpfe angeben sollten. Wir kennen nur das eine, daß jeder an seinem Teil alles und jedes unterläßt, was den Frieden stören könnte, und alles begünstigt, was den Frieden fördert. Ein viertel Jahrtausend ist vergangen, seitdem Protestantismus und Katholi¬ zismus auf Tod und Leben miteinander gerungen haben. Das Ende war, daß keiner den andern überwunden hatte. Aber die eine Lehre nahmen sich beide Teile aus dem Krieg, im öffentlichen Leben die Disputationen über religiöse Fragen ganz zu unterlassen. Der Krebsschaden der Gegenwart liegt darin, daß man dies alles vergessen hat, und daß man gescheiter sein will als die Väter. Das hat sich bitter gerächt. Es wäre sehr verfehlt, wenn auch die deutsche evangelische Reichssynode, vorausgesetzt, daß sie zustande kommt, zu ihrer Propaganda den Kampf gegen Rom heranziehn würde. Es ist jetzt genng gestritten worden. Was wir brauchen, das ist eine Neubelebung und Vertiefung religiöser Gesinnung im eignen Lager. Dazu ist der Kampf mit Rom nicht nötig. Man lasse diesen endlich einmal aus dem Spiel. Zur Erneuerung persönlichen christlichen Lebens trögt er doch wahrhaftig nicht das mindeste bei. Mit Recht sagt Professor Fester in seinem Aufsatz über „Religionskrieg und Geschichtswissenschaft": Wohin kommen wir, wenn der Deutsche sich gewöhnt, seine Verwandten, Nachbarn, Freunde und Bekannte, ehe er den Verkehr mit ihnen fort¬ setzt, über ihr Glaubensbekenntnis zu examinieren! Ist es nicht genug, daß eine Generation mit der andern um ihre Weltanschauung ringt, sollen alle menschlichen Beziehungen durch eine schraubenartige gegenseitige Gewissenserforschung, durch den Kampf aller gegen alle vergiftet werden? Wir haben in diesen Tagen in Herder

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/64>, abgerufen am 20.05.2024.