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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

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Zur Präsidentenwahl in den Vereinigten Staaten

^"le Kampagne, der Wahlfeldzug hat begonnen. Berge von Kampagne-
literatnr werden über das Land geschüttet, die Redner schwärmen
Mez aus, Geldsummen werden aufgebracht. Hüben und drüben lauert
der Feind. Ängstlich sehen die Freunde der gegenwärtigen Ne-
^Slgicruug nach dem Weiszen Hanse in Washington, ob die "Macht
auf dem Throne" sie nicht überrasche durch eine ihrer gewagten Taten, die auch
die gewandteste republikanische Kasuistik schließlich nicht mehr verteidigen könnte.
Gespannt sind Auge und Ohr der Gegner auf Worte und Werke der Macht¬
haber gerichtet. Wehe ihnen, wenn sie sich regen! Seis nach rechts, seis nach
links, es wird ihnen zum Schaden ausgelegt.

Welcher sonderbare Zustand! Eine Olympiade lang dauert die Vorbereitung
auf den Wettkampf. Die Rücksicht auf ihn wirkt bestimmend auf alle Ma߬
nahmen der Negierung. Gegen das Ende der Olympiade aber steigert sich der
Eifer, bis im November des vierte" Jahres dann der Wettlauf losgeht. Zu¬
schauer ist die Nation, ist die Welt. Ein aller vier Jahre wiederkehrender
Bürgerkrieg wird entfesselt. Unblutig, fordert er doch viele Opfer. Es fallen
der Köpfe genug. Ja es scheint, als ob der Krieg der Waffen weniger die
gemeinen und eher die edeln Triebe der Menschen wecke, als dieser Krieg der
beiden großen Parteien um die Präsidentschaft. Es ist ähnlich wie im Konkurrenz¬
kampf des täglichen Geschäfts. Niemand wird sagen können, wo die größere
Grausamkeit zu finden ist, und wo die tiefern Wunden geschlagen werden, ob
im Geschäftsleben oder im Kriege. Und gar erst dieser politische Kampf!
Zunächst gilt er nicht den Leibern, sondern er greift an, was wir mit dem
Sammelnamen Seele nennen, die feinsten eigensten Werte der Person, ihren Ruf,
ihr Gewissen, ihre Ehre, ihre Überzeugungen, ihr Lebenswerk. Er scheut uicht
das Briefgeheimnis, nicht das Heiligtum des Hauses und der Ehe. Er benutzt
den Jüngling gegen den Mann. Was jener in der Glut der Begeisterung ge¬
schrieben hat, scharfe, allgemeine und darum halbwahre Urteile -- das wird
nun gegen den reifen Mann hervorgezogen. So im Falle des jetzigen Präsi¬
denten der Vereinigten Staaten und Kandidaten der republikanischen Partei.
Der Amerikaner kennt keine Entwicklung, und die Partei erkennt sie erst recht


Grenzboten IV 1904 9


Zur Präsidentenwahl in den Vereinigten Staaten

^»le Kampagne, der Wahlfeldzug hat begonnen. Berge von Kampagne-
literatnr werden über das Land geschüttet, die Redner schwärmen
Mez aus, Geldsummen werden aufgebracht. Hüben und drüben lauert
der Feind. Ängstlich sehen die Freunde der gegenwärtigen Ne-
^Slgicruug nach dem Weiszen Hanse in Washington, ob die „Macht
auf dem Throne" sie nicht überrasche durch eine ihrer gewagten Taten, die auch
die gewandteste republikanische Kasuistik schließlich nicht mehr verteidigen könnte.
Gespannt sind Auge und Ohr der Gegner auf Worte und Werke der Macht¬
haber gerichtet. Wehe ihnen, wenn sie sich regen! Seis nach rechts, seis nach
links, es wird ihnen zum Schaden ausgelegt.

Welcher sonderbare Zustand! Eine Olympiade lang dauert die Vorbereitung
auf den Wettkampf. Die Rücksicht auf ihn wirkt bestimmend auf alle Ma߬
nahmen der Negierung. Gegen das Ende der Olympiade aber steigert sich der
Eifer, bis im November des vierte» Jahres dann der Wettlauf losgeht. Zu¬
schauer ist die Nation, ist die Welt. Ein aller vier Jahre wiederkehrender
Bürgerkrieg wird entfesselt. Unblutig, fordert er doch viele Opfer. Es fallen
der Köpfe genug. Ja es scheint, als ob der Krieg der Waffen weniger die
gemeinen und eher die edeln Triebe der Menschen wecke, als dieser Krieg der
beiden großen Parteien um die Präsidentschaft. Es ist ähnlich wie im Konkurrenz¬
kampf des täglichen Geschäfts. Niemand wird sagen können, wo die größere
Grausamkeit zu finden ist, und wo die tiefern Wunden geschlagen werden, ob
im Geschäftsleben oder im Kriege. Und gar erst dieser politische Kampf!
Zunächst gilt er nicht den Leibern, sondern er greift an, was wir mit dem
Sammelnamen Seele nennen, die feinsten eigensten Werte der Person, ihren Ruf,
ihr Gewissen, ihre Ehre, ihre Überzeugungen, ihr Lebenswerk. Er scheut uicht
das Briefgeheimnis, nicht das Heiligtum des Hauses und der Ehe. Er benutzt
den Jüngling gegen den Mann. Was jener in der Glut der Begeisterung ge¬
schrieben hat, scharfe, allgemeine und darum halbwahre Urteile — das wird
nun gegen den reifen Mann hervorgezogen. So im Falle des jetzigen Präsi¬
denten der Vereinigten Staaten und Kandidaten der republikanischen Partei.
Der Amerikaner kennt keine Entwicklung, und die Partei erkennt sie erst recht


Grenzboten IV 1904 9
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[0067] [Abbildung] Zur Präsidentenwahl in den Vereinigten Staaten ^»le Kampagne, der Wahlfeldzug hat begonnen. Berge von Kampagne- literatnr werden über das Land geschüttet, die Redner schwärmen Mez aus, Geldsummen werden aufgebracht. Hüben und drüben lauert der Feind. Ängstlich sehen die Freunde der gegenwärtigen Ne- ^Slgicruug nach dem Weiszen Hanse in Washington, ob die „Macht auf dem Throne" sie nicht überrasche durch eine ihrer gewagten Taten, die auch die gewandteste republikanische Kasuistik schließlich nicht mehr verteidigen könnte. Gespannt sind Auge und Ohr der Gegner auf Worte und Werke der Macht¬ haber gerichtet. Wehe ihnen, wenn sie sich regen! Seis nach rechts, seis nach links, es wird ihnen zum Schaden ausgelegt. Welcher sonderbare Zustand! Eine Olympiade lang dauert die Vorbereitung auf den Wettkampf. Die Rücksicht auf ihn wirkt bestimmend auf alle Ma߬ nahmen der Negierung. Gegen das Ende der Olympiade aber steigert sich der Eifer, bis im November des vierte» Jahres dann der Wettlauf losgeht. Zu¬ schauer ist die Nation, ist die Welt. Ein aller vier Jahre wiederkehrender Bürgerkrieg wird entfesselt. Unblutig, fordert er doch viele Opfer. Es fallen der Köpfe genug. Ja es scheint, als ob der Krieg der Waffen weniger die gemeinen und eher die edeln Triebe der Menschen wecke, als dieser Krieg der beiden großen Parteien um die Präsidentschaft. Es ist ähnlich wie im Konkurrenz¬ kampf des täglichen Geschäfts. Niemand wird sagen können, wo die größere Grausamkeit zu finden ist, und wo die tiefern Wunden geschlagen werden, ob im Geschäftsleben oder im Kriege. Und gar erst dieser politische Kampf! Zunächst gilt er nicht den Leibern, sondern er greift an, was wir mit dem Sammelnamen Seele nennen, die feinsten eigensten Werte der Person, ihren Ruf, ihr Gewissen, ihre Ehre, ihre Überzeugungen, ihr Lebenswerk. Er scheut uicht das Briefgeheimnis, nicht das Heiligtum des Hauses und der Ehe. Er benutzt den Jüngling gegen den Mann. Was jener in der Glut der Begeisterung ge¬ schrieben hat, scharfe, allgemeine und darum halbwahre Urteile — das wird nun gegen den reifen Mann hervorgezogen. So im Falle des jetzigen Präsi¬ denten der Vereinigten Staaten und Kandidaten der republikanischen Partei. Der Amerikaner kennt keine Entwicklung, und die Partei erkennt sie erst recht Grenzboten IV 1904 9

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/67>, abgerufen am 03.05.2024.