Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


^ürsorgestellen für Lungenkranke

OW>n der Zeit vom 2, bis zum 7. Oktober d. I. finden sich in
Paris die hervorragendsten Streiter im Kampfe gegen die Lungen¬
tuberkulose aus allen zivilisierten Ländern zu dem dritten inter¬
nationalen Tuberkulosekongreß zusammen. In Deutschland hat
^man sich mit umfangreichen Vorarbeiten für diesen Kongreß be¬
schäftigt. Denn man darf mit Sicherheit erwarten, daß in Paris das deutsche
Volksheilstättenwesen, worauf wir mit Recht so stolz sein können, wegen seiner
angeblich geringen und zu den Kosten nicht in: Verhältnis stehenden Erfolge
angegriffen werden wird, sodaß wir darauf gerüstet sein müssen, einwandfreie
Nachweise über die gewonnenen, in Wirklichkeit recht befriedigenden Ergebnisse bei¬
zubringen. Solche Angriffe sind übrigens schon bei frühern Anlässen und zwar
vornehmlich ans Frankreich und Belgien von eifrigen Verfechtern der dort als
Kampfmittel gegen die Tuberkulose im Vordergrunde stehenden visxönsiüröL
ÄntituvöroulAnx erhoben worden, und sie haben insofern ihr Gutes gehabt, als
sie uns zur schnellem Erkenntnis einer bedeutenden Lücke in unsrer Kampfes¬
organisation geführt haben.

Es ist nämlich nicht zu leugnen, daß, wenn auch mit der Gründung unsrer
etwa 75 Volksheilstätten, die zurzeit jährlich etwa 35000 bis 40000 Personen
aus den von der Tuberkulose am meisten betroffnen Volksklassen eine durch¬
schnittlich drei Monate dauernde Pflege "ach dem Brehmer-Dettweilerschen Ver¬
fahren bieten, ein gewaltiger Schritt vorwärts getan ist, diesem Vorgehn doch
eine gewisse Einseitigkeit nicht abzusprechen ist. Denn es fehlte bisher so gut
wie ganz an der Fürsorge für die Kranken und ihre Angehörigen außerhalb
der Heilstätten sin ihren Wohnungen, Arbeitsstätten usw.). Und doch trifft die
häusliche Fürsorge gerade eine der Hauptwurzeln, woran die Tuberkulose
gefaßt werden muß, wenn sie mit Erfolg bekämpft und ausgerottet werden soll.
Denn was nützt die beste und längste Behandlung in einer hygienisch muster¬
haft eingerichteten Heilstätte, wenn außerhalb dieser der Kranke nicht nur selbst
in den für die völlige Ausheilung seines Leidens ungünstigen Lebensverhält¬
nissen bleibt, sondern wenn auch seine durch erbliche Belastung ohnehin schon
disponierten Kinder unaufhaltsam der Ansteckung verfallen! Die Wohnungs¬
fürsorge mit allen ihren mannigfachen Einzelaufgaben ist aber gerade bei den
französischen und den belgischen Dispensaires die Hauptsache.

Betrachten wir einmal die Einrichtung eines solchen Instituts näher, und
nehmen wir uns dazu das rühmlichst bekannte Dispensaire "Emile Roux" von
Professor Calmette in Lille zum Muster. Als Professor Calmette im Jahre 1901
an dessen Gründung herantrat, leitete ihn zunächst der Gedanke, daß, anstatt
darauf zu warten, bis sich der mit Schwindsucht behaftete Arbeiter an den




^ürsorgestellen für Lungenkranke

OW>n der Zeit vom 2, bis zum 7. Oktober d. I. finden sich in
Paris die hervorragendsten Streiter im Kampfe gegen die Lungen¬
tuberkulose aus allen zivilisierten Ländern zu dem dritten inter¬
nationalen Tuberkulosekongreß zusammen. In Deutschland hat
^man sich mit umfangreichen Vorarbeiten für diesen Kongreß be¬
schäftigt. Denn man darf mit Sicherheit erwarten, daß in Paris das deutsche
Volksheilstättenwesen, worauf wir mit Recht so stolz sein können, wegen seiner
angeblich geringen und zu den Kosten nicht in: Verhältnis stehenden Erfolge
angegriffen werden wird, sodaß wir darauf gerüstet sein müssen, einwandfreie
Nachweise über die gewonnenen, in Wirklichkeit recht befriedigenden Ergebnisse bei¬
zubringen. Solche Angriffe sind übrigens schon bei frühern Anlässen und zwar
vornehmlich ans Frankreich und Belgien von eifrigen Verfechtern der dort als
Kampfmittel gegen die Tuberkulose im Vordergrunde stehenden visxönsiüröL
ÄntituvöroulAnx erhoben worden, und sie haben insofern ihr Gutes gehabt, als
sie uns zur schnellem Erkenntnis einer bedeutenden Lücke in unsrer Kampfes¬
organisation geführt haben.

Es ist nämlich nicht zu leugnen, daß, wenn auch mit der Gründung unsrer
etwa 75 Volksheilstätten, die zurzeit jährlich etwa 35000 bis 40000 Personen
aus den von der Tuberkulose am meisten betroffnen Volksklassen eine durch¬
schnittlich drei Monate dauernde Pflege »ach dem Brehmer-Dettweilerschen Ver¬
fahren bieten, ein gewaltiger Schritt vorwärts getan ist, diesem Vorgehn doch
eine gewisse Einseitigkeit nicht abzusprechen ist. Denn es fehlte bisher so gut
wie ganz an der Fürsorge für die Kranken und ihre Angehörigen außerhalb
der Heilstätten sin ihren Wohnungen, Arbeitsstätten usw.). Und doch trifft die
häusliche Fürsorge gerade eine der Hauptwurzeln, woran die Tuberkulose
gefaßt werden muß, wenn sie mit Erfolg bekämpft und ausgerottet werden soll.
Denn was nützt die beste und längste Behandlung in einer hygienisch muster¬
haft eingerichteten Heilstätte, wenn außerhalb dieser der Kranke nicht nur selbst
in den für die völlige Ausheilung seines Leidens ungünstigen Lebensverhält¬
nissen bleibt, sondern wenn auch seine durch erbliche Belastung ohnehin schon
disponierten Kinder unaufhaltsam der Ansteckung verfallen! Die Wohnungs¬
fürsorge mit allen ihren mannigfachen Einzelaufgaben ist aber gerade bei den
französischen und den belgischen Dispensaires die Hauptsache.

Betrachten wir einmal die Einrichtung eines solchen Instituts näher, und
nehmen wir uns dazu das rühmlichst bekannte Dispensaire „Emile Roux" von
Professor Calmette in Lille zum Muster. Als Professor Calmette im Jahre 1901
an dessen Gründung herantrat, leitete ihn zunächst der Gedanke, daß, anstatt
darauf zu warten, bis sich der mit Schwindsucht behaftete Arbeiter an den


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0026" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/296037"/>
          <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341881_296010/figures/grenzboten_341881_296010_296037_000.jpg"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> ^ürsorgestellen für Lungenkranke</head><lb/>
          <p xml:id="ID_51"> OW&gt;n der Zeit vom 2, bis zum 7. Oktober d. I. finden sich in<lb/>
Paris die hervorragendsten Streiter im Kampfe gegen die Lungen¬<lb/>
tuberkulose aus allen zivilisierten Ländern zu dem dritten inter¬<lb/>
nationalen Tuberkulosekongreß zusammen. In Deutschland hat<lb/>
^man sich mit umfangreichen Vorarbeiten für diesen Kongreß be¬<lb/>
schäftigt. Denn man darf mit Sicherheit erwarten, daß in Paris das deutsche<lb/>
Volksheilstättenwesen, worauf wir mit Recht so stolz sein können, wegen seiner<lb/>
angeblich geringen und zu den Kosten nicht in: Verhältnis stehenden Erfolge<lb/>
angegriffen werden wird, sodaß wir darauf gerüstet sein müssen, einwandfreie<lb/>
Nachweise über die gewonnenen, in Wirklichkeit recht befriedigenden Ergebnisse bei¬<lb/>
zubringen. Solche Angriffe sind übrigens schon bei frühern Anlässen und zwar<lb/>
vornehmlich ans Frankreich und Belgien von eifrigen Verfechtern der dort als<lb/>
Kampfmittel gegen die Tuberkulose im Vordergrunde stehenden visxönsiüröL<lb/>
ÄntituvöroulAnx erhoben worden, und sie haben insofern ihr Gutes gehabt, als<lb/>
sie uns zur schnellem Erkenntnis einer bedeutenden Lücke in unsrer Kampfes¬<lb/>
organisation geführt haben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_52"> Es ist nämlich nicht zu leugnen, daß, wenn auch mit der Gründung unsrer<lb/>
etwa 75 Volksheilstätten, die zurzeit jährlich etwa 35000 bis 40000 Personen<lb/>
aus den von der Tuberkulose am meisten betroffnen Volksklassen eine durch¬<lb/>
schnittlich drei Monate dauernde Pflege »ach dem Brehmer-Dettweilerschen Ver¬<lb/>
fahren bieten, ein gewaltiger Schritt vorwärts getan ist, diesem Vorgehn doch<lb/>
eine gewisse Einseitigkeit nicht abzusprechen ist. Denn es fehlte bisher so gut<lb/>
wie ganz an der Fürsorge für die Kranken und ihre Angehörigen außerhalb<lb/>
der Heilstätten sin ihren Wohnungen, Arbeitsstätten usw.). Und doch trifft die<lb/>
häusliche Fürsorge gerade eine der Hauptwurzeln, woran die Tuberkulose<lb/>
gefaßt werden muß, wenn sie mit Erfolg bekämpft und ausgerottet werden soll.<lb/>
Denn was nützt die beste und längste Behandlung in einer hygienisch muster¬<lb/>
haft eingerichteten Heilstätte, wenn außerhalb dieser der Kranke nicht nur selbst<lb/>
in den für die völlige Ausheilung seines Leidens ungünstigen Lebensverhält¬<lb/>
nissen bleibt, sondern wenn auch seine durch erbliche Belastung ohnehin schon<lb/>
disponierten Kinder unaufhaltsam der Ansteckung verfallen! Die Wohnungs¬<lb/>
fürsorge mit allen ihren mannigfachen Einzelaufgaben ist aber gerade bei den<lb/>
französischen und den belgischen Dispensaires die Hauptsache.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_53" next="#ID_54"> Betrachten wir einmal die Einrichtung eines solchen Instituts näher, und<lb/>
nehmen wir uns dazu das rühmlichst bekannte Dispensaire &#x201E;Emile Roux" von<lb/>
Professor Calmette in Lille zum Muster. Als Professor Calmette im Jahre 1901<lb/>
an dessen Gründung herantrat, leitete ihn zunächst der Gedanke, daß, anstatt<lb/>
darauf zu warten, bis sich der mit Schwindsucht behaftete Arbeiter an den</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0026] [Abbildung] ^ürsorgestellen für Lungenkranke OW>n der Zeit vom 2, bis zum 7. Oktober d. I. finden sich in Paris die hervorragendsten Streiter im Kampfe gegen die Lungen¬ tuberkulose aus allen zivilisierten Ländern zu dem dritten inter¬ nationalen Tuberkulosekongreß zusammen. In Deutschland hat ^man sich mit umfangreichen Vorarbeiten für diesen Kongreß be¬ schäftigt. Denn man darf mit Sicherheit erwarten, daß in Paris das deutsche Volksheilstättenwesen, worauf wir mit Recht so stolz sein können, wegen seiner angeblich geringen und zu den Kosten nicht in: Verhältnis stehenden Erfolge angegriffen werden wird, sodaß wir darauf gerüstet sein müssen, einwandfreie Nachweise über die gewonnenen, in Wirklichkeit recht befriedigenden Ergebnisse bei¬ zubringen. Solche Angriffe sind übrigens schon bei frühern Anlässen und zwar vornehmlich ans Frankreich und Belgien von eifrigen Verfechtern der dort als Kampfmittel gegen die Tuberkulose im Vordergrunde stehenden visxönsiüröL ÄntituvöroulAnx erhoben worden, und sie haben insofern ihr Gutes gehabt, als sie uns zur schnellem Erkenntnis einer bedeutenden Lücke in unsrer Kampfes¬ organisation geführt haben. Es ist nämlich nicht zu leugnen, daß, wenn auch mit der Gründung unsrer etwa 75 Volksheilstätten, die zurzeit jährlich etwa 35000 bis 40000 Personen aus den von der Tuberkulose am meisten betroffnen Volksklassen eine durch¬ schnittlich drei Monate dauernde Pflege »ach dem Brehmer-Dettweilerschen Ver¬ fahren bieten, ein gewaltiger Schritt vorwärts getan ist, diesem Vorgehn doch eine gewisse Einseitigkeit nicht abzusprechen ist. Denn es fehlte bisher so gut wie ganz an der Fürsorge für die Kranken und ihre Angehörigen außerhalb der Heilstätten sin ihren Wohnungen, Arbeitsstätten usw.). Und doch trifft die häusliche Fürsorge gerade eine der Hauptwurzeln, woran die Tuberkulose gefaßt werden muß, wenn sie mit Erfolg bekämpft und ausgerottet werden soll. Denn was nützt die beste und längste Behandlung in einer hygienisch muster¬ haft eingerichteten Heilstätte, wenn außerhalb dieser der Kranke nicht nur selbst in den für die völlige Ausheilung seines Leidens ungünstigen Lebensverhält¬ nissen bleibt, sondern wenn auch seine durch erbliche Belastung ohnehin schon disponierten Kinder unaufhaltsam der Ansteckung verfallen! Die Wohnungs¬ fürsorge mit allen ihren mannigfachen Einzelaufgaben ist aber gerade bei den französischen und den belgischen Dispensaires die Hauptsache. Betrachten wir einmal die Einrichtung eines solchen Instituts näher, und nehmen wir uns dazu das rühmlichst bekannte Dispensaire „Emile Roux" von Professor Calmette in Lille zum Muster. Als Professor Calmette im Jahre 1901 an dessen Gründung herantrat, leitete ihn zunächst der Gedanke, daß, anstatt darauf zu warten, bis sich der mit Schwindsucht behaftete Arbeiter an den

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296010
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296010/26
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296010/26>, abgerufen am 07.05.2024.