Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


Vom Ägäischen Meere
L. Fredrich von
^. Eine vergessene Insel

eilig Meere auf Erden mußten die Anwohner in gleicher Weise
locken, sich auf schwankem Kiele auf sie hinauszuwagen, wie das
Ägäische. Vom Festlande zur Insel, von Insel zu Insel und
wieder zum Festlande fuhren kurze Fahrten, die auch ans ge¬
brechlichen Fahrzeugen ausgeführt werden können. Die Bedeutung
dieser Seewege, die die Landbrücke einer vergangnen Erdperiode ersetzen, für
die griechische Kolonisation ist oft betont worden. Sie wahren heute noch ihren
alten Wert: die ein- oder zweimastigen Kalks und Fischerboote durchkreuzen
die See in allen Richtungen der Windrose; wer sich längere Zeit auf ihr herum¬
treibt, findet nach Wochen und Monden im entlegnen Hafen alte Bekannte
wieder, die mit fremden Waren oder ans eignes Risiko Handel treibend dorthin
gelangten. Auch neben dem griechischen oder dem türkischen Küstendampfer, den
kleinen Kasten, die gewöhnlich Schwank sind wie die Lade, in der die unglückliche
Auge auf demselben Meere trieb, deren engen Raum man nur noch mit Menschen,
Tieren, Ungeziefer und Waren teilen muß, auch neben diesen behaupten sie
ihren Platz. Den meisten der Inseln nahen auch heute noch sie allein. Es sei
abgesehen von den zahlreichen Eilanden, die in der guten Jahreszeit von den
Nachbarn als Viehweide benutzt werden, sonst verlassen sind, von jenen, die
nur ein ärmliches Kloster mit wenig Insassen tragen; auch große Inseln mit
Hunderten und Tausenden von Bewohnern sind nur durch dieses immerhin
Primitive und zuzeiten gefährliche Beförderungsmittel mit der Außenwelt ver¬
bunden. Das sind freilich fast nur Inseln, über die die Fahne mit dem Halb¬
mond weht; die Türkei steht immer nur irgendwie gezwungen im Zeichen des
Verkehrs, während die griechische Küstenschiffahrt gerade wegen ihres Auf¬
blühens schwer unter allzu großer Konkurrenz leidet. So ist denn eine Insel
>vie Psara -- das alte Psyra, nordwestlich von Chios --, das im griechischen
Aufstande hervortritt, nur deswegen heute noch geologisch und archäologisch
unbekannt, weil es so schwer zu erreichen ist. Ebenso unbekannt war eine
andre Insel, deren Flächeninhalt immerhin auf 43 Quadratkilometer berechnet
wird, die sich über 100 Kilometer nördlich von Psara und 30 Kilometer südlich
von Lemnos aus der See hebt. Dort im nördlichen Ägäischen Meere drängt
sich nicht mehr Eiland an Eiland, wie im Süden die Kykladen um die heilige
Delos; zerstreut finden sich einige nahe an der Küste Thessaliens und werden
deshalb gewöhnlich Nördliche Sporaden genannt, nordöstlich von ihnen aber
liegen nach der thrakischen Küste zu vier stattlichere Schwestern: die schon ge¬
nannte Lemnos, Jmbros, Samothmke und Thasos. Sie sind reich an Natur¬
schönheiten und an Resten des Altertums, interessant durch ihre Geschichte,e




Vom Ägäischen Meere
L. Fredrich von
^. Eine vergessene Insel

eilig Meere auf Erden mußten die Anwohner in gleicher Weise
locken, sich auf schwankem Kiele auf sie hinauszuwagen, wie das
Ägäische. Vom Festlande zur Insel, von Insel zu Insel und
wieder zum Festlande fuhren kurze Fahrten, die auch ans ge¬
brechlichen Fahrzeugen ausgeführt werden können. Die Bedeutung
dieser Seewege, die die Landbrücke einer vergangnen Erdperiode ersetzen, für
die griechische Kolonisation ist oft betont worden. Sie wahren heute noch ihren
alten Wert: die ein- oder zweimastigen Kalks und Fischerboote durchkreuzen
die See in allen Richtungen der Windrose; wer sich längere Zeit auf ihr herum¬
treibt, findet nach Wochen und Monden im entlegnen Hafen alte Bekannte
wieder, die mit fremden Waren oder ans eignes Risiko Handel treibend dorthin
gelangten. Auch neben dem griechischen oder dem türkischen Küstendampfer, den
kleinen Kasten, die gewöhnlich Schwank sind wie die Lade, in der die unglückliche
Auge auf demselben Meere trieb, deren engen Raum man nur noch mit Menschen,
Tieren, Ungeziefer und Waren teilen muß, auch neben diesen behaupten sie
ihren Platz. Den meisten der Inseln nahen auch heute noch sie allein. Es sei
abgesehen von den zahlreichen Eilanden, die in der guten Jahreszeit von den
Nachbarn als Viehweide benutzt werden, sonst verlassen sind, von jenen, die
nur ein ärmliches Kloster mit wenig Insassen tragen; auch große Inseln mit
Hunderten und Tausenden von Bewohnern sind nur durch dieses immerhin
Primitive und zuzeiten gefährliche Beförderungsmittel mit der Außenwelt ver¬
bunden. Das sind freilich fast nur Inseln, über die die Fahne mit dem Halb¬
mond weht; die Türkei steht immer nur irgendwie gezwungen im Zeichen des
Verkehrs, während die griechische Küstenschiffahrt gerade wegen ihres Auf¬
blühens schwer unter allzu großer Konkurrenz leidet. So ist denn eine Insel
>vie Psara — das alte Psyra, nordwestlich von Chios —, das im griechischen
Aufstande hervortritt, nur deswegen heute noch geologisch und archäologisch
unbekannt, weil es so schwer zu erreichen ist. Ebenso unbekannt war eine
andre Insel, deren Flächeninhalt immerhin auf 43 Quadratkilometer berechnet
wird, die sich über 100 Kilometer nördlich von Psara und 30 Kilometer südlich
von Lemnos aus der See hebt. Dort im nördlichen Ägäischen Meere drängt
sich nicht mehr Eiland an Eiland, wie im Süden die Kykladen um die heilige
Delos; zerstreut finden sich einige nahe an der Küste Thessaliens und werden
deshalb gewöhnlich Nördliche Sporaden genannt, nordöstlich von ihnen aber
liegen nach der thrakischen Küste zu vier stattlichere Schwestern: die schon ge¬
nannte Lemnos, Jmbros, Samothmke und Thasos. Sie sind reich an Natur¬
schönheiten und an Resten des Altertums, interessant durch ihre Geschichte,e


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0319" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/296330"/>
            <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341881_296010/figures/grenzboten_341881_296010_296330_000.jpg"/><lb/>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Vom Ägäischen Meere<lb/><note type="byline"> L. Fredrich</note> von</head><lb/>
          <div n="2">
            <head> ^. Eine vergessene Insel</head><lb/>
            <p xml:id="ID_1867" next="#ID_1868"> eilig Meere auf Erden mußten die Anwohner in gleicher Weise<lb/>
locken, sich auf schwankem Kiele auf sie hinauszuwagen, wie das<lb/>
Ägäische. Vom Festlande zur Insel, von Insel zu Insel und<lb/>
wieder zum Festlande fuhren kurze Fahrten, die auch ans ge¬<lb/>
brechlichen Fahrzeugen ausgeführt werden können. Die Bedeutung<lb/>
dieser Seewege, die die Landbrücke einer vergangnen Erdperiode ersetzen, für<lb/>
die griechische Kolonisation ist oft betont worden. Sie wahren heute noch ihren<lb/>
alten Wert: die ein- oder zweimastigen Kalks und Fischerboote durchkreuzen<lb/>
die See in allen Richtungen der Windrose; wer sich längere Zeit auf ihr herum¬<lb/>
treibt, findet nach Wochen und Monden im entlegnen Hafen alte Bekannte<lb/>
wieder, die mit fremden Waren oder ans eignes Risiko Handel treibend dorthin<lb/>
gelangten. Auch neben dem griechischen oder dem türkischen Küstendampfer, den<lb/>
kleinen Kasten, die gewöhnlich Schwank sind wie die Lade, in der die unglückliche<lb/>
Auge auf demselben Meere trieb, deren engen Raum man nur noch mit Menschen,<lb/>
Tieren, Ungeziefer und Waren teilen muß, auch neben diesen behaupten sie<lb/>
ihren Platz. Den meisten der Inseln nahen auch heute noch sie allein. Es sei<lb/>
abgesehen von den zahlreichen Eilanden, die in der guten Jahreszeit von den<lb/>
Nachbarn als Viehweide benutzt werden, sonst verlassen sind, von jenen, die<lb/>
nur ein ärmliches Kloster mit wenig Insassen tragen; auch große Inseln mit<lb/>
Hunderten und Tausenden von Bewohnern sind nur durch dieses immerhin<lb/>
Primitive und zuzeiten gefährliche Beförderungsmittel mit der Außenwelt ver¬<lb/>
bunden. Das sind freilich fast nur Inseln, über die die Fahne mit dem Halb¬<lb/>
mond weht; die Türkei steht immer nur irgendwie gezwungen im Zeichen des<lb/>
Verkehrs, während die griechische Küstenschiffahrt gerade wegen ihres Auf¬<lb/>
blühens schwer unter allzu großer Konkurrenz leidet. So ist denn eine Insel<lb/>
&gt;vie Psara &#x2014; das alte Psyra, nordwestlich von Chios &#x2014;, das im griechischen<lb/>
Aufstande hervortritt, nur deswegen heute noch geologisch und archäologisch<lb/>
unbekannt, weil es so schwer zu erreichen ist. Ebenso unbekannt war eine<lb/>
andre Insel, deren Flächeninhalt immerhin auf 43 Quadratkilometer berechnet<lb/>
wird, die sich über 100 Kilometer nördlich von Psara und 30 Kilometer südlich<lb/>
von Lemnos aus der See hebt. Dort im nördlichen Ägäischen Meere drängt<lb/>
sich nicht mehr Eiland an Eiland, wie im Süden die Kykladen um die heilige<lb/>
Delos; zerstreut finden sich einige nahe an der Küste Thessaliens und werden<lb/>
deshalb gewöhnlich Nördliche Sporaden genannt, nordöstlich von ihnen aber<lb/>
liegen nach der thrakischen Küste zu vier stattlichere Schwestern: die schon ge¬<lb/>
nannte Lemnos, Jmbros, Samothmke und Thasos. Sie sind reich an Natur¬<lb/>
schönheiten und an Resten des Altertums, interessant durch ihre Geschichte,e</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0319] [Abbildung] Vom Ägäischen Meere L. Fredrich von ^. Eine vergessene Insel eilig Meere auf Erden mußten die Anwohner in gleicher Weise locken, sich auf schwankem Kiele auf sie hinauszuwagen, wie das Ägäische. Vom Festlande zur Insel, von Insel zu Insel und wieder zum Festlande fuhren kurze Fahrten, die auch ans ge¬ brechlichen Fahrzeugen ausgeführt werden können. Die Bedeutung dieser Seewege, die die Landbrücke einer vergangnen Erdperiode ersetzen, für die griechische Kolonisation ist oft betont worden. Sie wahren heute noch ihren alten Wert: die ein- oder zweimastigen Kalks und Fischerboote durchkreuzen die See in allen Richtungen der Windrose; wer sich längere Zeit auf ihr herum¬ treibt, findet nach Wochen und Monden im entlegnen Hafen alte Bekannte wieder, die mit fremden Waren oder ans eignes Risiko Handel treibend dorthin gelangten. Auch neben dem griechischen oder dem türkischen Küstendampfer, den kleinen Kasten, die gewöhnlich Schwank sind wie die Lade, in der die unglückliche Auge auf demselben Meere trieb, deren engen Raum man nur noch mit Menschen, Tieren, Ungeziefer und Waren teilen muß, auch neben diesen behaupten sie ihren Platz. Den meisten der Inseln nahen auch heute noch sie allein. Es sei abgesehen von den zahlreichen Eilanden, die in der guten Jahreszeit von den Nachbarn als Viehweide benutzt werden, sonst verlassen sind, von jenen, die nur ein ärmliches Kloster mit wenig Insassen tragen; auch große Inseln mit Hunderten und Tausenden von Bewohnern sind nur durch dieses immerhin Primitive und zuzeiten gefährliche Beförderungsmittel mit der Außenwelt ver¬ bunden. Das sind freilich fast nur Inseln, über die die Fahne mit dem Halb¬ mond weht; die Türkei steht immer nur irgendwie gezwungen im Zeichen des Verkehrs, während die griechische Küstenschiffahrt gerade wegen ihres Auf¬ blühens schwer unter allzu großer Konkurrenz leidet. So ist denn eine Insel >vie Psara — das alte Psyra, nordwestlich von Chios —, das im griechischen Aufstande hervortritt, nur deswegen heute noch geologisch und archäologisch unbekannt, weil es so schwer zu erreichen ist. Ebenso unbekannt war eine andre Insel, deren Flächeninhalt immerhin auf 43 Quadratkilometer berechnet wird, die sich über 100 Kilometer nördlich von Psara und 30 Kilometer südlich von Lemnos aus der See hebt. Dort im nördlichen Ägäischen Meere drängt sich nicht mehr Eiland an Eiland, wie im Süden die Kykladen um die heilige Delos; zerstreut finden sich einige nahe an der Küste Thessaliens und werden deshalb gewöhnlich Nördliche Sporaden genannt, nordöstlich von ihnen aber liegen nach der thrakischen Küste zu vier stattlichere Schwestern: die schon ge¬ nannte Lemnos, Jmbros, Samothmke und Thasos. Sie sind reich an Natur¬ schönheiten und an Resten des Altertums, interessant durch ihre Geschichte,e

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296010
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296010/319
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296010/319>, abgerufen am 07.05.2024.