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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.

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Junge Herzen

teils dem "Geist der Gesetze" entnommen. Das Werk wirkte sehr wesentlich
auf die französische Konstitution von 1791 und auf die Verfassungen der
Restauration sowie die der Juliregierung ein. Die verschiednen französischen
Republiken hatten natürlich weniger Verwendung dafür.




Junge Herzen
Christoph er Boeck Erzählung von(Schluß)

in armseliges Haus!

Ja, das brauchte nicht über die Eingangstür geschrieben zu werden,
wenn man mit dem Namen Haus überhaupt die klaffenden, ge-
spaltnen, wurmstichigen, durchlöcherten Bretter bezeichnen konnte, die
hierhin und dorthin schwankten.

Helene klopfte an die Tür und trat ein. Da stand Edda und
sah sie ängstlich an.

In einem Bett lag eine bleiche, abgezehrte Gestalt.

Zwei kleine Kinder lagen an der Erde und bauten sich eine Gebirgslandschaft
aus Sand, in die sie kleine Birkenzweige pflanzten.

Edda machte einen Knicks; sie nahm ein Kleidungsstück von einem Stuhl, damit
Helene sich setzen könnte, und dieser wurde es klar, daß die kleine Edda hier den
Haushalt führte, wenn sie nicht in der Schule war. Helene mußte sich wohl oder
übel setzen, obgleich die Luft so drückend war, daß man kaum atmen konnte.

Auch der kranken Frau schien das Atmen schwer zu werden. Helene stand
auf und wollte die Fenster öffnen, aber sie waren zugenagelt.

Da öffnete sie die Tür, und über die Diele strömte die frische Luft herein.
Die Kranke lächelte, sagte aber nichts.

Helene sah sich um. Wie reinlich und wie hübsch war es hier bei so geringen
Mitteln: auf den Fußboden waren Wacholderreiser gestreut, und die verschlissenen
Gardinen schimmerten schneeweiß. Über der Kommode lag eine selbstgemalte Decke,
auf der einige Photographien und ein Paar schreckliche Porzellanhnnde standen, die
^äsen vorstellten, mit Immortellen in den offnen Köpfen.

Edda zeigte auf die Wand. Da hingen der schwedische König und die Königin.

Und da -- ja, wirklich -- das war die dänische Prinzeß Ingeborg mit ihrem
"Verlobten." Welkes Birkenlaub schmückte die Bilder. Edda erklärte, das sei noch
v°in Mittsommertag.

Nun aber kam die Miezekatze mit zwei kleinen Kätzchen unter dem Bett hervor.
Sie mußten das dänische Fräulein auch begrüßen.

Mieze suchte sich einen Sonnenfleck auf dem Fußboden, während die kleinen
K-chen umhersprangen. Die kleinen Kinder lachten. Die Kranke aber stöhnte.

Helene fragte: Kommt denn der Doktor nicht?

Niemand verstand sie.

Da holte Helene ihr Portemonnaie hervor, zog Edda zu sich heran und legte
zwei große silberne Münzen in die Hand der Kleinen, indem sie sagte: Du bist
em tüchtiges kleines Mädchen! Und darum sollst du eine dänische und eine schwedische
Münze haben. Das ist der dänische, und das ist der schwedische König, die wollen
euch helfen.

Die Worte verstand keins von ihnen, aber die glänzenden Geldstücke redeten
die Weltsprache, die alle versteh".


Junge Herzen

teils dem „Geist der Gesetze" entnommen. Das Werk wirkte sehr wesentlich
auf die französische Konstitution von 1791 und auf die Verfassungen der
Restauration sowie die der Juliregierung ein. Die verschiednen französischen
Republiken hatten natürlich weniger Verwendung dafür.




Junge Herzen
Christoph er Boeck Erzählung von(Schluß)

in armseliges Haus!

Ja, das brauchte nicht über die Eingangstür geschrieben zu werden,
wenn man mit dem Namen Haus überhaupt die klaffenden, ge-
spaltnen, wurmstichigen, durchlöcherten Bretter bezeichnen konnte, die
hierhin und dorthin schwankten.

Helene klopfte an die Tür und trat ein. Da stand Edda und
sah sie ängstlich an.

In einem Bett lag eine bleiche, abgezehrte Gestalt.

Zwei kleine Kinder lagen an der Erde und bauten sich eine Gebirgslandschaft
aus Sand, in die sie kleine Birkenzweige pflanzten.

Edda machte einen Knicks; sie nahm ein Kleidungsstück von einem Stuhl, damit
Helene sich setzen könnte, und dieser wurde es klar, daß die kleine Edda hier den
Haushalt führte, wenn sie nicht in der Schule war. Helene mußte sich wohl oder
übel setzen, obgleich die Luft so drückend war, daß man kaum atmen konnte.

Auch der kranken Frau schien das Atmen schwer zu werden. Helene stand
auf und wollte die Fenster öffnen, aber sie waren zugenagelt.

Da öffnete sie die Tür, und über die Diele strömte die frische Luft herein.
Die Kranke lächelte, sagte aber nichts.

Helene sah sich um. Wie reinlich und wie hübsch war es hier bei so geringen
Mitteln: auf den Fußboden waren Wacholderreiser gestreut, und die verschlissenen
Gardinen schimmerten schneeweiß. Über der Kommode lag eine selbstgemalte Decke,
auf der einige Photographien und ein Paar schreckliche Porzellanhnnde standen, die
^äsen vorstellten, mit Immortellen in den offnen Köpfen.

Edda zeigte auf die Wand. Da hingen der schwedische König und die Königin.

Und da — ja, wirklich — das war die dänische Prinzeß Ingeborg mit ihrem
"Verlobten." Welkes Birkenlaub schmückte die Bilder. Edda erklärte, das sei noch
v°in Mittsommertag.

Nun aber kam die Miezekatze mit zwei kleinen Kätzchen unter dem Bett hervor.
Sie mußten das dänische Fräulein auch begrüßen.

Mieze suchte sich einen Sonnenfleck auf dem Fußboden, während die kleinen
K-chen umhersprangen. Die kleinen Kinder lachten. Die Kranke aber stöhnte.

Helene fragte: Kommt denn der Doktor nicht?

Niemand verstand sie.

Da holte Helene ihr Portemonnaie hervor, zog Edda zu sich heran und legte
zwei große silberne Münzen in die Hand der Kleinen, indem sie sagte: Du bist
em tüchtiges kleines Mädchen! Und darum sollst du eine dänische und eine schwedische
Münze haben. Das ist der dänische, und das ist der schwedische König, die wollen
euch helfen.

Die Worte verstand keins von ihnen, aber die glänzenden Geldstücke redeten
die Weltsprache, die alle versteh«.


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[0335] Junge Herzen teils dem „Geist der Gesetze" entnommen. Das Werk wirkte sehr wesentlich auf die französische Konstitution von 1791 und auf die Verfassungen der Restauration sowie die der Juliregierung ein. Die verschiednen französischen Republiken hatten natürlich weniger Verwendung dafür. Junge Herzen Christoph er Boeck Erzählung von(Schluß) in armseliges Haus! Ja, das brauchte nicht über die Eingangstür geschrieben zu werden, wenn man mit dem Namen Haus überhaupt die klaffenden, ge- spaltnen, wurmstichigen, durchlöcherten Bretter bezeichnen konnte, die hierhin und dorthin schwankten. Helene klopfte an die Tür und trat ein. Da stand Edda und sah sie ängstlich an. In einem Bett lag eine bleiche, abgezehrte Gestalt. Zwei kleine Kinder lagen an der Erde und bauten sich eine Gebirgslandschaft aus Sand, in die sie kleine Birkenzweige pflanzten. Edda machte einen Knicks; sie nahm ein Kleidungsstück von einem Stuhl, damit Helene sich setzen könnte, und dieser wurde es klar, daß die kleine Edda hier den Haushalt führte, wenn sie nicht in der Schule war. Helene mußte sich wohl oder übel setzen, obgleich die Luft so drückend war, daß man kaum atmen konnte. Auch der kranken Frau schien das Atmen schwer zu werden. Helene stand auf und wollte die Fenster öffnen, aber sie waren zugenagelt. Da öffnete sie die Tür, und über die Diele strömte die frische Luft herein. Die Kranke lächelte, sagte aber nichts. Helene sah sich um. Wie reinlich und wie hübsch war es hier bei so geringen Mitteln: auf den Fußboden waren Wacholderreiser gestreut, und die verschlissenen Gardinen schimmerten schneeweiß. Über der Kommode lag eine selbstgemalte Decke, auf der einige Photographien und ein Paar schreckliche Porzellanhnnde standen, die ^äsen vorstellten, mit Immortellen in den offnen Köpfen. Edda zeigte auf die Wand. Da hingen der schwedische König und die Königin. Und da — ja, wirklich — das war die dänische Prinzeß Ingeborg mit ihrem "Verlobten." Welkes Birkenlaub schmückte die Bilder. Edda erklärte, das sei noch v°in Mittsommertag. Nun aber kam die Miezekatze mit zwei kleinen Kätzchen unter dem Bett hervor. Sie mußten das dänische Fräulein auch begrüßen. Mieze suchte sich einen Sonnenfleck auf dem Fußboden, während die kleinen K-chen umhersprangen. Die kleinen Kinder lachten. Die Kranke aber stöhnte. Helene fragte: Kommt denn der Doktor nicht? Niemand verstand sie. Da holte Helene ihr Portemonnaie hervor, zog Edda zu sich heran und legte zwei große silberne Münzen in die Hand der Kleinen, indem sie sagte: Du bist em tüchtiges kleines Mädchen! Und darum sollst du eine dänische und eine schwedische Münze haben. Das ist der dänische, und das ist der schwedische König, die wollen euch helfen. Die Worte verstand keins von ihnen, aber die glänzenden Geldstücke redeten die Weltsprache, die alle versteh«.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296010/335>, abgerufen am 07.05.2024.