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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.

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der Session auch meist zu sein pflegt. Erst müssen sich die Phrasenhochwasser ver¬
laufen, die so wenig beitragen, das Ansehen des Reichstags zu fördern. Aber mit¬
*H" unter wirkt das eitle Geschwätz doch als befruchtender Schlamm.




Das Briefgeheimnis.

Das Briefgeheimnis ist die delikateste Seite des
Postdienstes, und seine Wahrung ist das erste Gebot, das in dem hnnderttausend-
köpfigen Beamtenheer wie ein bis zum Heiligtum erhöhtes sittliches Gesetz lebt und
wirkt. Wie könnte und dürfte es auch anders sein! Es beruht ja der ungeheure
Verkehr, den die Post in der täglichen Milliouenflut bewältigt, nicht zuletzt auf dem
.Vertrauen, das das Volk auf den Paragraphen 5 des Postgesetzes setzt: das Brief¬
geheimnis ist unverletzlich. Was wir peinlich vor den Augen der Welt verbergen,
unsre persönlichen und geschäftlichen Geheimnisse, die gewagtesten Vermutungen, die
innersten Regungen der Seele, dem Briefe vertrauen wir es an mit der ruhigen Sicher¬
heit, die uus das ungetäuschte Vertrauen auf die Verschwiegenheit der Post gibt.

Die Achtung vor Brief und Siegel ist eine Forderung des moralischen Taktes
und die Frucht einer höhern Kultur. Schon bei den Römern finden wir eine ab¬
geklärte Auffassung über das Briefgeheimnis, so in Ciceros zweites Phüippcka
Kapitel vier, wo er dem Antonius, der die von Cicero erhaltnen Briefe in öffent¬
licher Versammlung vorlas, Ehrgefühl und Wohlanständigkeit abspricht. Obwohl
mit dem Verfall der alten Kultur das Gefühl für die Unverbrüchlichkeit des Briefes
immer mehr schwand, gab es doch uoch einzelne Männer, in denen sich die Achtung
vor den, Briefgeheimnis rege erhielt. Luther erklärte dessen Verletzung für eine
Todsünde und fand in seiner Schrift: "Von heimlichen und gestohlenen Briefen, samt
einem Psalm ausgelegt wider Herzog Georg zu Sachsen" Worte der tiefsten Er¬
regung, und in Gustav Adolfs Kriegserklärung an den Kaiser wurde diesem sein
Vergeh" gegen das Briefgeheimnis scharf vorgeworfen. Auch der Große Kurfürst
bekundete seinen Abscheu gegen den Vertrauensbruch, den er in der Erschleichung
der Korrespondenzgeheimnisse fand; er ließ seine Beamten schon besonders auf das
Briefgeheimnis vereidigen und befahl ihnen, bei Leib und Leben, niemand, wer es
mich sei, von den der Post anvertrauten Korrespondenzen etwas zu verraten.

Ludwig der Elfte von Frankreich gab im fünfzehnten Jahrhundert zuerst das
böse Beispiel, das die Post zum Werkzeug der politischen Polizei erniedrigte und
die Verletzung des Briefgeheimnisses zu einer berechtigten Eigentümlichkeit der
Diplomatie erhob. Die französischen Postbeamten hatten die Verpflichtung, die
Briefe vor ihrer Aushändigung an die Adressaten zu öffnen und durchzusehen, ob
sie etwas enthielten, was den königlichen Dienst schädige. Richelieu verstand es,
die Briefspionage zur schärfsten und wirksamsten Waffe gegen die Anfeindungen aus
der königlichen Familie auszubilden. Sein Verfahren der geheimen Brieferöffnung
entwickelte sich nach ihm in dem Lavinot, noir zu eiuer förmlichen Institution der
Regierungsgewalt, die so sicher arbeitete, daß sich ränkesüchtige Leute ihrer be¬
dienten, durch kompromittierende Briefe andre Personen anzuklagen. Obwohl es
Mirabeau durch seine unausgesetzten Angriffe auf die amtlich sanktionierte Brief¬
inquisition durchsetzte, daß die Nationalversammlung in der Sitzung vom 1V. August
1790 die Unverletzlichkeit des Briefgeheimnisses aussprach, blieb dem Direktorium
das VMuvt noir doch erhalten. Napoleon der Erste baute es sogar noch weiter
aus. indem er es dezentralisierte und an den wichtigern Verkehrsknotenpunkten
Filialen einrichtete, durch die er nicht nur den Briefwechsel der fremden Staats¬
männer und ihrer Angehörigen überwachen, sondern auch die Briefe seiner eignen
Generale und Minister aus ihren Inhalt erforschen ließ. In Preußen übertrug
Napoleon dem Generalkommissar Bignon zu "sicherheitspolizeilichen Zwecken" die
Aufsicht über das gesamte preußische Postwesen: wie die geradezu als gesetzmäßige
Betriebseinrichtungen angesehenen "Briefrevisionsbureaus" wirkten, ist bei der Flucht
Steins und in zahlreichen Verhaftungen zutage getreten. Nicht geringer als in


der Session auch meist zu sein pflegt. Erst müssen sich die Phrasenhochwasser ver¬
laufen, die so wenig beitragen, das Ansehen des Reichstags zu fördern. Aber mit¬
*H» unter wirkt das eitle Geschwätz doch als befruchtender Schlamm.




Das Briefgeheimnis.

Das Briefgeheimnis ist die delikateste Seite des
Postdienstes, und seine Wahrung ist das erste Gebot, das in dem hnnderttausend-
köpfigen Beamtenheer wie ein bis zum Heiligtum erhöhtes sittliches Gesetz lebt und
wirkt. Wie könnte und dürfte es auch anders sein! Es beruht ja der ungeheure
Verkehr, den die Post in der täglichen Milliouenflut bewältigt, nicht zuletzt auf dem
.Vertrauen, das das Volk auf den Paragraphen 5 des Postgesetzes setzt: das Brief¬
geheimnis ist unverletzlich. Was wir peinlich vor den Augen der Welt verbergen,
unsre persönlichen und geschäftlichen Geheimnisse, die gewagtesten Vermutungen, die
innersten Regungen der Seele, dem Briefe vertrauen wir es an mit der ruhigen Sicher¬
heit, die uus das ungetäuschte Vertrauen auf die Verschwiegenheit der Post gibt.

Die Achtung vor Brief und Siegel ist eine Forderung des moralischen Taktes
und die Frucht einer höhern Kultur. Schon bei den Römern finden wir eine ab¬
geklärte Auffassung über das Briefgeheimnis, so in Ciceros zweites Phüippcka
Kapitel vier, wo er dem Antonius, der die von Cicero erhaltnen Briefe in öffent¬
licher Versammlung vorlas, Ehrgefühl und Wohlanständigkeit abspricht. Obwohl
mit dem Verfall der alten Kultur das Gefühl für die Unverbrüchlichkeit des Briefes
immer mehr schwand, gab es doch uoch einzelne Männer, in denen sich die Achtung
vor den, Briefgeheimnis rege erhielt. Luther erklärte dessen Verletzung für eine
Todsünde und fand in seiner Schrift: „Von heimlichen und gestohlenen Briefen, samt
einem Psalm ausgelegt wider Herzog Georg zu Sachsen" Worte der tiefsten Er¬
regung, und in Gustav Adolfs Kriegserklärung an den Kaiser wurde diesem sein
Vergeh» gegen das Briefgeheimnis scharf vorgeworfen. Auch der Große Kurfürst
bekundete seinen Abscheu gegen den Vertrauensbruch, den er in der Erschleichung
der Korrespondenzgeheimnisse fand; er ließ seine Beamten schon besonders auf das
Briefgeheimnis vereidigen und befahl ihnen, bei Leib und Leben, niemand, wer es
mich sei, von den der Post anvertrauten Korrespondenzen etwas zu verraten.

Ludwig der Elfte von Frankreich gab im fünfzehnten Jahrhundert zuerst das
böse Beispiel, das die Post zum Werkzeug der politischen Polizei erniedrigte und
die Verletzung des Briefgeheimnisses zu einer berechtigten Eigentümlichkeit der
Diplomatie erhob. Die französischen Postbeamten hatten die Verpflichtung, die
Briefe vor ihrer Aushändigung an die Adressaten zu öffnen und durchzusehen, ob
sie etwas enthielten, was den königlichen Dienst schädige. Richelieu verstand es,
die Briefspionage zur schärfsten und wirksamsten Waffe gegen die Anfeindungen aus
der königlichen Familie auszubilden. Sein Verfahren der geheimen Brieferöffnung
entwickelte sich nach ihm in dem Lavinot, noir zu eiuer förmlichen Institution der
Regierungsgewalt, die so sicher arbeitete, daß sich ränkesüchtige Leute ihrer be¬
dienten, durch kompromittierende Briefe andre Personen anzuklagen. Obwohl es
Mirabeau durch seine unausgesetzten Angriffe auf die amtlich sanktionierte Brief¬
inquisition durchsetzte, daß die Nationalversammlung in der Sitzung vom 1V. August
1790 die Unverletzlichkeit des Briefgeheimnisses aussprach, blieb dem Direktorium
das VMuvt noir doch erhalten. Napoleon der Erste baute es sogar noch weiter
aus. indem er es dezentralisierte und an den wichtigern Verkehrsknotenpunkten
Filialen einrichtete, durch die er nicht nur den Briefwechsel der fremden Staats¬
männer und ihrer Angehörigen überwachen, sondern auch die Briefe seiner eignen
Generale und Minister aus ihren Inhalt erforschen ließ. In Preußen übertrug
Napoleon dem Generalkommissar Bignon zu „sicherheitspolizeilichen Zwecken" die
Aufsicht über das gesamte preußische Postwesen: wie die geradezu als gesetzmäßige
Betriebseinrichtungen angesehenen „Briefrevisionsbureaus" wirkten, ist bei der Flucht
Steins und in zahlreichen Verhaftungen zutage getreten. Nicht geringer als in


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[0567] der Session auch meist zu sein pflegt. Erst müssen sich die Phrasenhochwasser ver¬ laufen, die so wenig beitragen, das Ansehen des Reichstags zu fördern. Aber mit¬ *H» unter wirkt das eitle Geschwätz doch als befruchtender Schlamm. Das Briefgeheimnis. Das Briefgeheimnis ist die delikateste Seite des Postdienstes, und seine Wahrung ist das erste Gebot, das in dem hnnderttausend- köpfigen Beamtenheer wie ein bis zum Heiligtum erhöhtes sittliches Gesetz lebt und wirkt. Wie könnte und dürfte es auch anders sein! Es beruht ja der ungeheure Verkehr, den die Post in der täglichen Milliouenflut bewältigt, nicht zuletzt auf dem .Vertrauen, das das Volk auf den Paragraphen 5 des Postgesetzes setzt: das Brief¬ geheimnis ist unverletzlich. Was wir peinlich vor den Augen der Welt verbergen, unsre persönlichen und geschäftlichen Geheimnisse, die gewagtesten Vermutungen, die innersten Regungen der Seele, dem Briefe vertrauen wir es an mit der ruhigen Sicher¬ heit, die uus das ungetäuschte Vertrauen auf die Verschwiegenheit der Post gibt. Die Achtung vor Brief und Siegel ist eine Forderung des moralischen Taktes und die Frucht einer höhern Kultur. Schon bei den Römern finden wir eine ab¬ geklärte Auffassung über das Briefgeheimnis, so in Ciceros zweites Phüippcka Kapitel vier, wo er dem Antonius, der die von Cicero erhaltnen Briefe in öffent¬ licher Versammlung vorlas, Ehrgefühl und Wohlanständigkeit abspricht. Obwohl mit dem Verfall der alten Kultur das Gefühl für die Unverbrüchlichkeit des Briefes immer mehr schwand, gab es doch uoch einzelne Männer, in denen sich die Achtung vor den, Briefgeheimnis rege erhielt. Luther erklärte dessen Verletzung für eine Todsünde und fand in seiner Schrift: „Von heimlichen und gestohlenen Briefen, samt einem Psalm ausgelegt wider Herzog Georg zu Sachsen" Worte der tiefsten Er¬ regung, und in Gustav Adolfs Kriegserklärung an den Kaiser wurde diesem sein Vergeh» gegen das Briefgeheimnis scharf vorgeworfen. Auch der Große Kurfürst bekundete seinen Abscheu gegen den Vertrauensbruch, den er in der Erschleichung der Korrespondenzgeheimnisse fand; er ließ seine Beamten schon besonders auf das Briefgeheimnis vereidigen und befahl ihnen, bei Leib und Leben, niemand, wer es mich sei, von den der Post anvertrauten Korrespondenzen etwas zu verraten. Ludwig der Elfte von Frankreich gab im fünfzehnten Jahrhundert zuerst das böse Beispiel, das die Post zum Werkzeug der politischen Polizei erniedrigte und die Verletzung des Briefgeheimnisses zu einer berechtigten Eigentümlichkeit der Diplomatie erhob. Die französischen Postbeamten hatten die Verpflichtung, die Briefe vor ihrer Aushändigung an die Adressaten zu öffnen und durchzusehen, ob sie etwas enthielten, was den königlichen Dienst schädige. Richelieu verstand es, die Briefspionage zur schärfsten und wirksamsten Waffe gegen die Anfeindungen aus der königlichen Familie auszubilden. Sein Verfahren der geheimen Brieferöffnung entwickelte sich nach ihm in dem Lavinot, noir zu eiuer förmlichen Institution der Regierungsgewalt, die so sicher arbeitete, daß sich ränkesüchtige Leute ihrer be¬ dienten, durch kompromittierende Briefe andre Personen anzuklagen. Obwohl es Mirabeau durch seine unausgesetzten Angriffe auf die amtlich sanktionierte Brief¬ inquisition durchsetzte, daß die Nationalversammlung in der Sitzung vom 1V. August 1790 die Unverletzlichkeit des Briefgeheimnisses aussprach, blieb dem Direktorium das VMuvt noir doch erhalten. Napoleon der Erste baute es sogar noch weiter aus. indem er es dezentralisierte und an den wichtigern Verkehrsknotenpunkten Filialen einrichtete, durch die er nicht nur den Briefwechsel der fremden Staats¬ männer und ihrer Angehörigen überwachen, sondern auch die Briefe seiner eignen Generale und Minister aus ihren Inhalt erforschen ließ. In Preußen übertrug Napoleon dem Generalkommissar Bignon zu „sicherheitspolizeilichen Zwecken" die Aufsicht über das gesamte preußische Postwesen: wie die geradezu als gesetzmäßige Betriebseinrichtungen angesehenen „Briefrevisionsbureaus" wirkten, ist bei der Flucht Steins und in zahlreichen Verhaftungen zutage getreten. Nicht geringer als in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296010/567>, abgerufen am 07.05.2024.