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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.

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Das geistliche Teller in Leipzig bis zum Beginn der Reformation

Fuß gefaßt und die Ausbildung der Jugend im Turnen übernommen, sodaß
man wohl kaum eine besondre Anziehungskraft von einem Ausbau des Volks-
hochschulnnterrichts nach dieser Seite erwarten darf.

Trotz der Sympathie, die man in manchen Kreisen in Deutschland der
Volkshochschulbewegung entgegenbringt, wird sie ungeachtet aller Anstrengungen
nach meiner Überzeugung keine großen Erfolge erreichen können. Die Not¬
wendigkeit eines weitern systematischen Ausbaues der vorhandnen Bildungs-
nnstalten ist gewiß vorhanden, aber die Volkshochschule ist dazu nicht geeignet,
weil sie nicht die nötige Anziehungskraft auf die Landbevölkerung ausüben
kann; es würde des Schulzwanges bedürfen, wenn man einen genügend starken,
regelmäßigen Schulbesuch erwirken will. Gelingt es, die ländliche Fortbildungs¬
schule in dieser Richtung auszubauen, dann haben wir ein Bildungsinstitnt,
das der Volkshochschule in mancher Beziehung überlegen ist und ebenfalls geeignet
zu sein scheint, den wirtschaftlichen und den technischen Fortschritt zu heben und
dadurch zur Erhöhung des Wohlstandes beizutragen.


Wilhelm Laß


Das geistliche Leben in Leipzig
bis zum Beginn der Reformation

is der Augustinermönch Doktor Martinus am 31. Oktober 1517
seine berühmten fünfundneunzig Thesen gegen den Ablaßhandel
an die Tür der Wittenberger Schloßkirche heftete, da ahnte er
noch nicht, daß er mit diesem Protest gegen einen einzelnen,
auch von andrer Seite schon gerügten und von den Fürsten der
sächsische" Lande verbotnen kirchlichen Gebrauch oder Mißbrauch eine Bewegung
einleitete, die die ganze abendländische Welt erschüttern und das deutsche Volk
in zwei Lager spalten sollte. Am allerwenigsten hatte er daran gedacht, mit
dem Katholizismus und dem Papsttum zu brechen, und der Vorwurf der
Ketzerei, der gegen ihn erhoben wurde, wird ihn mit Erstaunen und ehrlicher
Entrüstung erfüllt haben. Aber hier zeigte sich wieder, was man bei allen
ähnlichen historischen Vorgängen, bei Reformationen und bei Revolutionen,
beobachten kann: die Lawine, die er ins Rollen gebracht hatte, riß ihn mit
fort, die Bewegung, die er eingeleitet hatte, war stärker als er selbst. Und
gerade hierdurch bekundete sie ihre Notwendigkeit und Berechtigung; das
Mönchlein, das den Damm durchstach, hinter dem das deutsche Volkstum wie
ein tiefer See geschlummert hatte, wurde von den brausenden Wassern weg¬
gespült, aber es bewies sich als ein wackrer Schwimmer, der bald wieder festen
Grund unter die Füße bekam und an . dem fremden Ufer heimisch wurde.

Die kurze Spanne Zeit zwischen dem 31. Oktober 1517 und den Juli¬
tagen des Jahres 1519 hatte genügt, das Mönchlein zum Reformator zu
machen. Luther selbst war zwar geneigt gewesen, die Bemühungen des päpst¬
lichen Kämmerers Karl von Miltitz um Beilegung des Streits zu unterstützen,


Das geistliche Teller in Leipzig bis zum Beginn der Reformation

Fuß gefaßt und die Ausbildung der Jugend im Turnen übernommen, sodaß
man wohl kaum eine besondre Anziehungskraft von einem Ausbau des Volks-
hochschulnnterrichts nach dieser Seite erwarten darf.

Trotz der Sympathie, die man in manchen Kreisen in Deutschland der
Volkshochschulbewegung entgegenbringt, wird sie ungeachtet aller Anstrengungen
nach meiner Überzeugung keine großen Erfolge erreichen können. Die Not¬
wendigkeit eines weitern systematischen Ausbaues der vorhandnen Bildungs-
nnstalten ist gewiß vorhanden, aber die Volkshochschule ist dazu nicht geeignet,
weil sie nicht die nötige Anziehungskraft auf die Landbevölkerung ausüben
kann; es würde des Schulzwanges bedürfen, wenn man einen genügend starken,
regelmäßigen Schulbesuch erwirken will. Gelingt es, die ländliche Fortbildungs¬
schule in dieser Richtung auszubauen, dann haben wir ein Bildungsinstitnt,
das der Volkshochschule in mancher Beziehung überlegen ist und ebenfalls geeignet
zu sein scheint, den wirtschaftlichen und den technischen Fortschritt zu heben und
dadurch zur Erhöhung des Wohlstandes beizutragen.


Wilhelm Laß


Das geistliche Leben in Leipzig
bis zum Beginn der Reformation

is der Augustinermönch Doktor Martinus am 31. Oktober 1517
seine berühmten fünfundneunzig Thesen gegen den Ablaßhandel
an die Tür der Wittenberger Schloßkirche heftete, da ahnte er
noch nicht, daß er mit diesem Protest gegen einen einzelnen,
auch von andrer Seite schon gerügten und von den Fürsten der
sächsische» Lande verbotnen kirchlichen Gebrauch oder Mißbrauch eine Bewegung
einleitete, die die ganze abendländische Welt erschüttern und das deutsche Volk
in zwei Lager spalten sollte. Am allerwenigsten hatte er daran gedacht, mit
dem Katholizismus und dem Papsttum zu brechen, und der Vorwurf der
Ketzerei, der gegen ihn erhoben wurde, wird ihn mit Erstaunen und ehrlicher
Entrüstung erfüllt haben. Aber hier zeigte sich wieder, was man bei allen
ähnlichen historischen Vorgängen, bei Reformationen und bei Revolutionen,
beobachten kann: die Lawine, die er ins Rollen gebracht hatte, riß ihn mit
fort, die Bewegung, die er eingeleitet hatte, war stärker als er selbst. Und
gerade hierdurch bekundete sie ihre Notwendigkeit und Berechtigung; das
Mönchlein, das den Damm durchstach, hinter dem das deutsche Volkstum wie
ein tiefer See geschlummert hatte, wurde von den brausenden Wassern weg¬
gespült, aber es bewies sich als ein wackrer Schwimmer, der bald wieder festen
Grund unter die Füße bekam und an . dem fremden Ufer heimisch wurde.

Die kurze Spanne Zeit zwischen dem 31. Oktober 1517 und den Juli¬
tagen des Jahres 1519 hatte genügt, das Mönchlein zum Reformator zu
machen. Luther selbst war zwar geneigt gewesen, die Bemühungen des päpst¬
lichen Kämmerers Karl von Miltitz um Beilegung des Streits zu unterstützen,


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[0592] Das geistliche Teller in Leipzig bis zum Beginn der Reformation Fuß gefaßt und die Ausbildung der Jugend im Turnen übernommen, sodaß man wohl kaum eine besondre Anziehungskraft von einem Ausbau des Volks- hochschulnnterrichts nach dieser Seite erwarten darf. Trotz der Sympathie, die man in manchen Kreisen in Deutschland der Volkshochschulbewegung entgegenbringt, wird sie ungeachtet aller Anstrengungen nach meiner Überzeugung keine großen Erfolge erreichen können. Die Not¬ wendigkeit eines weitern systematischen Ausbaues der vorhandnen Bildungs- nnstalten ist gewiß vorhanden, aber die Volkshochschule ist dazu nicht geeignet, weil sie nicht die nötige Anziehungskraft auf die Landbevölkerung ausüben kann; es würde des Schulzwanges bedürfen, wenn man einen genügend starken, regelmäßigen Schulbesuch erwirken will. Gelingt es, die ländliche Fortbildungs¬ schule in dieser Richtung auszubauen, dann haben wir ein Bildungsinstitnt, das der Volkshochschule in mancher Beziehung überlegen ist und ebenfalls geeignet zu sein scheint, den wirtschaftlichen und den technischen Fortschritt zu heben und dadurch zur Erhöhung des Wohlstandes beizutragen. Wilhelm Laß Das geistliche Leben in Leipzig bis zum Beginn der Reformation is der Augustinermönch Doktor Martinus am 31. Oktober 1517 seine berühmten fünfundneunzig Thesen gegen den Ablaßhandel an die Tür der Wittenberger Schloßkirche heftete, da ahnte er noch nicht, daß er mit diesem Protest gegen einen einzelnen, auch von andrer Seite schon gerügten und von den Fürsten der sächsische» Lande verbotnen kirchlichen Gebrauch oder Mißbrauch eine Bewegung einleitete, die die ganze abendländische Welt erschüttern und das deutsche Volk in zwei Lager spalten sollte. Am allerwenigsten hatte er daran gedacht, mit dem Katholizismus und dem Papsttum zu brechen, und der Vorwurf der Ketzerei, der gegen ihn erhoben wurde, wird ihn mit Erstaunen und ehrlicher Entrüstung erfüllt haben. Aber hier zeigte sich wieder, was man bei allen ähnlichen historischen Vorgängen, bei Reformationen und bei Revolutionen, beobachten kann: die Lawine, die er ins Rollen gebracht hatte, riß ihn mit fort, die Bewegung, die er eingeleitet hatte, war stärker als er selbst. Und gerade hierdurch bekundete sie ihre Notwendigkeit und Berechtigung; das Mönchlein, das den Damm durchstach, hinter dem das deutsche Volkstum wie ein tiefer See geschlummert hatte, wurde von den brausenden Wassern weg¬ gespült, aber es bewies sich als ein wackrer Schwimmer, der bald wieder festen Grund unter die Füße bekam und an . dem fremden Ufer heimisch wurde. Die kurze Spanne Zeit zwischen dem 31. Oktober 1517 und den Juli¬ tagen des Jahres 1519 hatte genügt, das Mönchlein zum Reformator zu machen. Luther selbst war zwar geneigt gewesen, die Bemühungen des päpst¬ lichen Kämmerers Karl von Miltitz um Beilegung des Streits zu unterstützen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296010/592>, abgerufen am 07.05.2024.