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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.

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Im Lande des Kondors

diesem nicht bloß um einzelne Reformen, sondern um einen Vernichtungskampf
gegen die Kurie zu tuu war. Und dafür war der Herzog, ein Mann der
Ordnung und der Autorität, nicht zu haben, er hatte offenbar wenn auch
keine Sympathien, so doch volles Verständnis für eine Institution, die nun
einmal den Beweis ihrer historischen Berechtigung erbracht hatte, und deren
Vorhandensein als wichtige Kulturmacht sich damals ebensowenig wegleugnen
ließ wie heute. Das Wort Herzog Georgs: "obs aus göttlichem oder mensch¬
lichem Rechte sei, so bleibt der Papst doch Papst," ist für seine Auffassung be¬
zeichnend. So war es kein Wunder, daß er sich nach der Disputation von
dein kühnen Neuerer lossagte und dadurch noch einmal den Einfluß der Klöster
und eines Teiles der Universitätsangehörigen stärkte, die im Gegensatze zu
der Leipziger Bürgerschaft und einzelnen Gelehrten Luthers entschiedn? Gegner
waren.

Man kann Herzog Georgs Verhalten in dieser bewegten Zeit versteh",
aber man darf sich auch nicht der Einsicht verschließen, daß es gleichsam das
Vorspiel zu der Entfremdung zwischen Landesherrn und Volk auf religiösem
Gebiete war, die seit dem Jahre 1697 als ein Unsegen auf dem Sachsenlande
lastet. Denn die Geschichte der Reformation in Leipzig erscheint, um mit
Wustmanns Worten zu schließen, "als eine ununterbrochne Kette von Kämpfen
und Verfolgungen, die nicht eher ihr Ende fand, als bis Herzog Georg im
z. R. q. Jahre 1539 starb."




Im Lande des Kondors
Albert Daiber Plaudereien auson
(Fortsetzung)
I. Valparaiso

in Spanier haben sich einer starken Übertreibung schuldig gemacht,
als sie ihrer Niederlassung am Rande eines ungemein tiefen
Wassers den hochtönenden Namen Valparaiso, d. h. "paradie¬
sisches Tal" gaben. Nicht nur kann man hier beim besten
Willen keine Spur eines ehemaligen Erdenparadieses mehr ent¬
decken, sondern man ist auch nicht im geringsten berechtigt, von einem Tale
zu sprechen. Hier, wo die Küsteneordillera fast unvermittelt steil gegen das
Meer zu abfällt, gibt es kein Tal, keine Täter. Und der schmale Küstensaum
am Ufer, wie er früher aussah, oder wie er in den letzten Jahrzehnten durch
Menschenhand wegen der Ausdehnung der Stadt erweitert worden ist, ver¬
dient erst recht nicht den Namen Valparaiso. In dem harten Tonboden, dem
Verwitterungsprodukt alter kristallinischer Schiefer, führen von oben herab gegen
das Ufer zu vielfach Quebmdas, Spalten oder Risse. Aber auch diese Quebradas,
die sich nach und nach in langen Zeiträumen durch die erodierende Kraft des
fallenden Wassers entwickelt haben mögen, verdienen nicht als "Tal" bezeichnet
zu werden. Die gewaltigen Winterregen, die fast jedes Jahr eine ungeheure


Im Lande des Kondors

diesem nicht bloß um einzelne Reformen, sondern um einen Vernichtungskampf
gegen die Kurie zu tuu war. Und dafür war der Herzog, ein Mann der
Ordnung und der Autorität, nicht zu haben, er hatte offenbar wenn auch
keine Sympathien, so doch volles Verständnis für eine Institution, die nun
einmal den Beweis ihrer historischen Berechtigung erbracht hatte, und deren
Vorhandensein als wichtige Kulturmacht sich damals ebensowenig wegleugnen
ließ wie heute. Das Wort Herzog Georgs: „obs aus göttlichem oder mensch¬
lichem Rechte sei, so bleibt der Papst doch Papst," ist für seine Auffassung be¬
zeichnend. So war es kein Wunder, daß er sich nach der Disputation von
dein kühnen Neuerer lossagte und dadurch noch einmal den Einfluß der Klöster
und eines Teiles der Universitätsangehörigen stärkte, die im Gegensatze zu
der Leipziger Bürgerschaft und einzelnen Gelehrten Luthers entschiedn? Gegner
waren.

Man kann Herzog Georgs Verhalten in dieser bewegten Zeit versteh»,
aber man darf sich auch nicht der Einsicht verschließen, daß es gleichsam das
Vorspiel zu der Entfremdung zwischen Landesherrn und Volk auf religiösem
Gebiete war, die seit dem Jahre 1697 als ein Unsegen auf dem Sachsenlande
lastet. Denn die Geschichte der Reformation in Leipzig erscheint, um mit
Wustmanns Worten zu schließen, „als eine ununterbrochne Kette von Kämpfen
und Verfolgungen, die nicht eher ihr Ende fand, als bis Herzog Georg im
z. R. q. Jahre 1539 starb."




Im Lande des Kondors
Albert Daiber Plaudereien auson
(Fortsetzung)
I. Valparaiso

in Spanier haben sich einer starken Übertreibung schuldig gemacht,
als sie ihrer Niederlassung am Rande eines ungemein tiefen
Wassers den hochtönenden Namen Valparaiso, d. h. „paradie¬
sisches Tal" gaben. Nicht nur kann man hier beim besten
Willen keine Spur eines ehemaligen Erdenparadieses mehr ent¬
decken, sondern man ist auch nicht im geringsten berechtigt, von einem Tale
zu sprechen. Hier, wo die Küsteneordillera fast unvermittelt steil gegen das
Meer zu abfällt, gibt es kein Tal, keine Täter. Und der schmale Küstensaum
am Ufer, wie er früher aussah, oder wie er in den letzten Jahrzehnten durch
Menschenhand wegen der Ausdehnung der Stadt erweitert worden ist, ver¬
dient erst recht nicht den Namen Valparaiso. In dem harten Tonboden, dem
Verwitterungsprodukt alter kristallinischer Schiefer, führen von oben herab gegen
das Ufer zu vielfach Quebmdas, Spalten oder Risse. Aber auch diese Quebradas,
die sich nach und nach in langen Zeiträumen durch die erodierende Kraft des
fallenden Wassers entwickelt haben mögen, verdienen nicht als „Tal" bezeichnet
zu werden. Die gewaltigen Winterregen, die fast jedes Jahr eine ungeheure


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296010/602>, abgerufen am 07.05.2024.