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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.

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Geschichte einer Sammlung

der Mehrzahl unsrer Landsleute in Chile den Sinn für das Ideale bedenklich
verringert. Darum ist das Leben dort im allgemeinen stumpfsinnig, geistig
wahrhaft arm trotz vielen, die mit ihrer etwas dürftigen akademischen Bildung
prunken. Besonders auffallend tritt die bloße Äußerlichkeit der Bildung bei
vielen deutschen Frauen zutage. Es herrscht die Meinung, mit einem gewissen
gesellschaftlichen Schliff und mit kostspieliger Toilette die innere Hohlheit ver¬
decken zu können. Das Prunken und Protzen mit der Toilette, woher sie be¬
zogen worden sei, und was sie gekostet habe, liefert neben dem üblichen Klatsch
den Hauptunterhaltungsstoff in der Kolonie. Wegen des Klatsches ist die deutsche
Kolonie von Valparaiso berüchtigt. Das erfuhr ich schon unterwegs, bevor ich
nur den Boden der Stadt betreten hatte, und nur allzu bald fand ich die mir
gemachten Mitteilungen bestätigt. Doch habe ich auch rühmliche Ausnahmen
gefunden, Familien, in denen wirkliche Bildung zuhause war, Damen, die mir
als züchtig waltende Hausfrauen in des Wortes schönster Bedeutung erschienen.

(Fortsetzung folgt)




Geschichte einer Sammlung

es dachte immer, ich würde Ihnen einmal Aufzeichnungen von meinem
Vater schicken können über seine Sammlung. Es schien so nahe zu
liegen, daß er diese Geschichten, die mit seinem Leben ganz zusammen¬
gewachsen waren, für uns aufschriebe; er erzählte so schön, mit
wägender, Werber Bedächtigkeit, als handle es sich um Gold, das
gewogen würde -- ein Gran mehr oder weniger ist da nichts gleich-
giltiges. Wenn er auf eine sarkastische Spitze hinauswollte, habe ich sehr oft auch
an Florettfechter gedacht -- diese leichteste Waffe --, es sieht aus wie Spiel und
s-s--s-s sitzt der feine Stahl im Eingeweide.

Wir Kinder kannten seine Geschichten zu einem guten Teil. Er erzählte sie
nicht für uns. Aber wir saßen mit bei Tisch, auch wenn Gäste da waren, und
wenn eine anhob, freuten wir uns schon, wie bei einem Bilderbuch, das man liebt.
Während man umblättert, ist man schon in Erwartung ans die nächste Seite, die
man doch kennt



Sie erwähnten damals in München auch nur ganz selteu der Umstände,
unter denen Ihres Mannes Sammlung in Damaskus zugrunde gegangen ist.

Es war Ihnen wohl nach allen den langen Jahren immer noch eine schwere
Sache. Aber mir, weil ich sehr jung war und im abenteuerlustigsten Alter stand,
schien es eine schöne Geschichte, wie Sie aus dem brennenden Christenviertel ge¬
flohen sind, das Kind immer an der Brust, damit sein Schreien Sie nicht ver¬
riete, und wie der Scheck, der mit Ihrem Mann befreundet war, Sie bis zu einem
Besitztum vor der Stadt geführt hatte, wohin viele europäische Frauen geflüchtet
waren. Mich freute auch der Gegensatz zwischen Ihnen und der italienischen
Konsulin, die weinte und sich die Haare zerraufte, während Sie sich ganz still auf
die Fliesen im Vestibül legten, das Kind neben sich, und vor Erschöpfung schliefen,
und wie nachher, ohne daß Sie geschrieen und geheult hätten wie die Italienerin,
diese Nacht einen breiten weißen Streifen In Ihrem Haar zurückgelassen hatte.


Geschichte einer Sammlung

der Mehrzahl unsrer Landsleute in Chile den Sinn für das Ideale bedenklich
verringert. Darum ist das Leben dort im allgemeinen stumpfsinnig, geistig
wahrhaft arm trotz vielen, die mit ihrer etwas dürftigen akademischen Bildung
prunken. Besonders auffallend tritt die bloße Äußerlichkeit der Bildung bei
vielen deutschen Frauen zutage. Es herrscht die Meinung, mit einem gewissen
gesellschaftlichen Schliff und mit kostspieliger Toilette die innere Hohlheit ver¬
decken zu können. Das Prunken und Protzen mit der Toilette, woher sie be¬
zogen worden sei, und was sie gekostet habe, liefert neben dem üblichen Klatsch
den Hauptunterhaltungsstoff in der Kolonie. Wegen des Klatsches ist die deutsche
Kolonie von Valparaiso berüchtigt. Das erfuhr ich schon unterwegs, bevor ich
nur den Boden der Stadt betreten hatte, und nur allzu bald fand ich die mir
gemachten Mitteilungen bestätigt. Doch habe ich auch rühmliche Ausnahmen
gefunden, Familien, in denen wirkliche Bildung zuhause war, Damen, die mir
als züchtig waltende Hausfrauen in des Wortes schönster Bedeutung erschienen.

(Fortsetzung folgt)




Geschichte einer Sammlung

es dachte immer, ich würde Ihnen einmal Aufzeichnungen von meinem
Vater schicken können über seine Sammlung. Es schien so nahe zu
liegen, daß er diese Geschichten, die mit seinem Leben ganz zusammen¬
gewachsen waren, für uns aufschriebe; er erzählte so schön, mit
wägender, Werber Bedächtigkeit, als handle es sich um Gold, das
gewogen würde — ein Gran mehr oder weniger ist da nichts gleich-
giltiges. Wenn er auf eine sarkastische Spitze hinauswollte, habe ich sehr oft auch
an Florettfechter gedacht — diese leichteste Waffe —, es sieht aus wie Spiel und
s-s—s-s sitzt der feine Stahl im Eingeweide.

Wir Kinder kannten seine Geschichten zu einem guten Teil. Er erzählte sie
nicht für uns. Aber wir saßen mit bei Tisch, auch wenn Gäste da waren, und
wenn eine anhob, freuten wir uns schon, wie bei einem Bilderbuch, das man liebt.
Während man umblättert, ist man schon in Erwartung ans die nächste Seite, die
man doch kennt



Sie erwähnten damals in München auch nur ganz selteu der Umstände,
unter denen Ihres Mannes Sammlung in Damaskus zugrunde gegangen ist.

Es war Ihnen wohl nach allen den langen Jahren immer noch eine schwere
Sache. Aber mir, weil ich sehr jung war und im abenteuerlustigsten Alter stand,
schien es eine schöne Geschichte, wie Sie aus dem brennenden Christenviertel ge¬
flohen sind, das Kind immer an der Brust, damit sein Schreien Sie nicht ver¬
riete, und wie der Scheck, der mit Ihrem Mann befreundet war, Sie bis zu einem
Besitztum vor der Stadt geführt hatte, wohin viele europäische Frauen geflüchtet
waren. Mich freute auch der Gegensatz zwischen Ihnen und der italienischen
Konsulin, die weinte und sich die Haare zerraufte, während Sie sich ganz still auf
die Fliesen im Vestibül legten, das Kind neben sich, und vor Erschöpfung schliefen,
und wie nachher, ohne daß Sie geschrieen und geheult hätten wie die Italienerin,
diese Nacht einen breiten weißen Streifen In Ihrem Haar zurückgelassen hatte.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296010/610>, abgerufen am 08.05.2024.