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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.

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Weihnachten und die zwölf Nächte
A. Lingke i von

AM
oUl>^> s weihnachtet, sagen die Leute, wenn die Adventszeit angebrochen
ist, und ein eisiger Nord die Flocken wirbelnd durcheinander treibt.
Es weihnachtet! Ein Wort voll sehnsüchtiger Ahnung für die
Kinder, voll bunter Erinnerungen für die Alten. Wir träumen
!uns zurück in die holde Zeit, wo wir in dem dunkeln Zimmer
saßen und von dem flüsterten, was das Christkind wohl bringen werde. Da
ging von der Straße her ein flüchtiger Schein an den Wänden hin. Der
heilige Christ! Der heilige Christ! so riefen wir und lauschten, ob die Haus¬
glocke schelle. Und horch! es klingelte, es pochte an die Stubentür, sie öffnete
sich, und durch die schmale Spalte rollten Äpfel und Nüsse in buntem Durch¬
einander herein. Ein andermal trat der Knecht Ruprecht in höchsteigner Person
in das Zimmer, in Pelz gehüllt, das Gesicht vermummt, die mächtige Rute in
der Hand, den schweren Sack auf dem Rücken. Er fragte nach Fleiß und
Artigkeit, ließ sich das Gebet aufsagen und lobte oder strafte, je nachdem. So
ging die Adventszeit dahin in wonniger, dämmernder Ahnung; draußen trübe
Tage, im Herzen lichte Weihnachtshoffnung. Früher als sonst wurden wir zu
Bett geschickt, weil das Christkind mit den Eltern zu reden hatte, und wir
zweifelten auch nicht daran, denn am Morgen wurde eine goldne Nuß uuter
dem Schranke gefunden, und Silbcrfliinmer war auf dem Boden verstreut, den
hatte das Christkind von seinen Flügeln abgestreift. In der Dämmerung gingen
wir hinüber zu dem Nachbar, einem armen alten Berginvaliden, der eine Krippe
zusammengebastelt hatte, und standen bewundernd vor dem erleuchteten, stufen¬
weise angeordneten Gerüst an der Wand, das die heilige Geschichte der Geburt
des Weltenheilandes versinnbildlichte.

So kam der Weihnachtsabend heran. Kaum konnten wir die Dämmerung
erwarten. Endlich schlug die ersehnte Stunde, und aus dem Dunkel stürzten
wir in das blendend helle Zimmer, in dessen Mitte sich stolz der grüne Tannen¬
baum erhob mit den vielen Lichtern, dem goldnen Stern, dem wächsernen Engel
und all seinem Schmuck von niedlichen und süßen Dingen. schenkten wir ihm
auch zunächst weniger Beachtung als den darunter ausgebreiteten Gaben, so
kehrten wir doch schließlich aufmerksam zurück zu dem gemeinsamen Freunde, der
noch so lange weihnachtlichen Nachglanz verbreitete, bis die "Zwölfe" vorbei
waren, und er am Tage der heiligen drei Könige dürr vor Alter und seines
Schmuckes bar dem Feuer übergeben wurde.

Verschieden sind die Gestalten, die durch die Dämmerung der Advents¬
abende und der zwölf Nächte schleichen; im Norden des deutschen Vaterlandes
sind es zumeist altheidnische Götter, im Süden die lebendig gewordnen Bilder




Weihnachten und die zwölf Nächte
A. Lingke i von

AM
oUl>^> s weihnachtet, sagen die Leute, wenn die Adventszeit angebrochen
ist, und ein eisiger Nord die Flocken wirbelnd durcheinander treibt.
Es weihnachtet! Ein Wort voll sehnsüchtiger Ahnung für die
Kinder, voll bunter Erinnerungen für die Alten. Wir träumen
!uns zurück in die holde Zeit, wo wir in dem dunkeln Zimmer
saßen und von dem flüsterten, was das Christkind wohl bringen werde. Da
ging von der Straße her ein flüchtiger Schein an den Wänden hin. Der
heilige Christ! Der heilige Christ! so riefen wir und lauschten, ob die Haus¬
glocke schelle. Und horch! es klingelte, es pochte an die Stubentür, sie öffnete
sich, und durch die schmale Spalte rollten Äpfel und Nüsse in buntem Durch¬
einander herein. Ein andermal trat der Knecht Ruprecht in höchsteigner Person
in das Zimmer, in Pelz gehüllt, das Gesicht vermummt, die mächtige Rute in
der Hand, den schweren Sack auf dem Rücken. Er fragte nach Fleiß und
Artigkeit, ließ sich das Gebet aufsagen und lobte oder strafte, je nachdem. So
ging die Adventszeit dahin in wonniger, dämmernder Ahnung; draußen trübe
Tage, im Herzen lichte Weihnachtshoffnung. Früher als sonst wurden wir zu
Bett geschickt, weil das Christkind mit den Eltern zu reden hatte, und wir
zweifelten auch nicht daran, denn am Morgen wurde eine goldne Nuß uuter
dem Schranke gefunden, und Silbcrfliinmer war auf dem Boden verstreut, den
hatte das Christkind von seinen Flügeln abgestreift. In der Dämmerung gingen
wir hinüber zu dem Nachbar, einem armen alten Berginvaliden, der eine Krippe
zusammengebastelt hatte, und standen bewundernd vor dem erleuchteten, stufen¬
weise angeordneten Gerüst an der Wand, das die heilige Geschichte der Geburt
des Weltenheilandes versinnbildlichte.

So kam der Weihnachtsabend heran. Kaum konnten wir die Dämmerung
erwarten. Endlich schlug die ersehnte Stunde, und aus dem Dunkel stürzten
wir in das blendend helle Zimmer, in dessen Mitte sich stolz der grüne Tannen¬
baum erhob mit den vielen Lichtern, dem goldnen Stern, dem wächsernen Engel
und all seinem Schmuck von niedlichen und süßen Dingen. schenkten wir ihm
auch zunächst weniger Beachtung als den darunter ausgebreiteten Gaben, so
kehrten wir doch schließlich aufmerksam zurück zu dem gemeinsamen Freunde, der
noch so lange weihnachtlichen Nachglanz verbreitete, bis die „Zwölfe" vorbei
waren, und er am Tage der heiligen drei Könige dürr vor Alter und seines
Schmuckes bar dem Feuer übergeben wurde.

Verschieden sind die Gestalten, die durch die Dämmerung der Advents¬
abende und der zwölf Nächte schleichen; im Norden des deutschen Vaterlandes
sind es zumeist altheidnische Götter, im Süden die lebendig gewordnen Bilder


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[0723] [Abbildung] Weihnachten und die zwölf Nächte A. Lingke i von AM oUl>^> s weihnachtet, sagen die Leute, wenn die Adventszeit angebrochen ist, und ein eisiger Nord die Flocken wirbelnd durcheinander treibt. Es weihnachtet! Ein Wort voll sehnsüchtiger Ahnung für die Kinder, voll bunter Erinnerungen für die Alten. Wir träumen !uns zurück in die holde Zeit, wo wir in dem dunkeln Zimmer saßen und von dem flüsterten, was das Christkind wohl bringen werde. Da ging von der Straße her ein flüchtiger Schein an den Wänden hin. Der heilige Christ! Der heilige Christ! so riefen wir und lauschten, ob die Haus¬ glocke schelle. Und horch! es klingelte, es pochte an die Stubentür, sie öffnete sich, und durch die schmale Spalte rollten Äpfel und Nüsse in buntem Durch¬ einander herein. Ein andermal trat der Knecht Ruprecht in höchsteigner Person in das Zimmer, in Pelz gehüllt, das Gesicht vermummt, die mächtige Rute in der Hand, den schweren Sack auf dem Rücken. Er fragte nach Fleiß und Artigkeit, ließ sich das Gebet aufsagen und lobte oder strafte, je nachdem. So ging die Adventszeit dahin in wonniger, dämmernder Ahnung; draußen trübe Tage, im Herzen lichte Weihnachtshoffnung. Früher als sonst wurden wir zu Bett geschickt, weil das Christkind mit den Eltern zu reden hatte, und wir zweifelten auch nicht daran, denn am Morgen wurde eine goldne Nuß uuter dem Schranke gefunden, und Silbcrfliinmer war auf dem Boden verstreut, den hatte das Christkind von seinen Flügeln abgestreift. In der Dämmerung gingen wir hinüber zu dem Nachbar, einem armen alten Berginvaliden, der eine Krippe zusammengebastelt hatte, und standen bewundernd vor dem erleuchteten, stufen¬ weise angeordneten Gerüst an der Wand, das die heilige Geschichte der Geburt des Weltenheilandes versinnbildlichte. So kam der Weihnachtsabend heran. Kaum konnten wir die Dämmerung erwarten. Endlich schlug die ersehnte Stunde, und aus dem Dunkel stürzten wir in das blendend helle Zimmer, in dessen Mitte sich stolz der grüne Tannen¬ baum erhob mit den vielen Lichtern, dem goldnen Stern, dem wächsernen Engel und all seinem Schmuck von niedlichen und süßen Dingen. schenkten wir ihm auch zunächst weniger Beachtung als den darunter ausgebreiteten Gaben, so kehrten wir doch schließlich aufmerksam zurück zu dem gemeinsamen Freunde, der noch so lange weihnachtlichen Nachglanz verbreitete, bis die „Zwölfe" vorbei waren, und er am Tage der heiligen drei Könige dürr vor Alter und seines Schmuckes bar dem Feuer übergeben wurde. Verschieden sind die Gestalten, die durch die Dämmerung der Advents¬ abende und der zwölf Nächte schleichen; im Norden des deutschen Vaterlandes sind es zumeist altheidnische Götter, im Süden die lebendig gewordnen Bilder

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296010/723>, abgerufen am 07.05.2024.