Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


H. (L. Andersen
Sophus Bauditz von (Schluß)

ndersens Talents eine Landschaft, eine Straße, ein Interieur zu
zeichnen, ist gewissermaßen einzig in seiner Art. Zu seiner ganzen
Entfaltung gelangt sein Talent nach dieser wie nach allen Richtungen
hin freilich erst in den Märchen, es ist aber schon in den Romanen
und in vielen der Gedichte bewunderungswürdig. Wie er schnell
liest, so sieht er schnell, und er zeichnet mit einer Sicherheit, die geradezu er¬
staunlich ist. Oft hat man beinahe das Gefühl, als habe er eine Moment¬
aufnahme aus dem Fenster eines Coupes im Schnellzuge gemacht, und wenn
er im Gegensatz zu so vielen andern Dichtern immer die Fahrt auf dem "Rücken
des Dampfrosses" auf Kosten der ehemaligen Diligencen preist, so kommt das
Wohl daher, daß er die Fähigkeit hat, so schnell zu sehen, und das, was das
Charakteristische für die Wechselnden Bilder ist, so schnell aufzufassen. Mit wenig
Strichen zeichnet er, aber lebendig, anschaulich: er zwingt die Phantasie des
Lesers, das Fehlende zu ergänzen, und zwar es auf die rechte Weise zu
ergänzen.

I. L. Heiberg hebt ja in seiner Besprechung von Öhlenschlügers "Johcmnis-
abendspiel" die Guckkastenbilder als etwas von dem besten hervor, was die
dänische Literatur an "poetischen Naturschilderungen" hat, und er macht darauf
aufmerksam, daß sie gerade durch dieselbe Unmittelbarkeit wirken, mit der die
Bilder in einem wirklichen Guckkasten zu der kindlichen Phantasie reden: "Die
Hauptsache auf dem Bilde steht in der Regel isoliert ohne Verbindung mit der
Umgebung, feinere Schattierungen und Übergänge gibt es nicht, im ganzen ist
mit dein Schatten gespart, alles hebt sich mit scharfen Konturen und mit starken,
bunten Farben ab." Aber was hier von Öhlenschlüger gesagt ist, kann mit
ebenso großem Recht von vielen von Andersens Landschaftsschilderungen gesagt
werden; man denke nur an Gedichte wie "Abendlandschaft" und "Studie uach
der Natur" oder an die paar Zeiten, mit denen er uns in "Unterm Weiter¬
bauen" das ganze Nürnberg schildert! Man muß unwillkürlich an den Guck¬
kasten seiner eignen Kindheit denken, von dem er vielleicht mehr gelernt hat, als
er selber ahnt.

Zunächst und mit besondrer Vorliebe hat er, namentlich in den Romanen,
Bilder von seiner Heimatinsel Fünen wiedergegeben, doch kann man ihn dieser
Naturschilderungen halber nicht eigentlich als den Dichter Fünens bezeichnen,
sein Reich ist größer. Wollte man sich eine Karte vorstellen, auf der mit ver-
schiednen Farben angegeben wäre, wo die Domäne eines jeden Dichters läge,
so würde die von Bucher in dem nördlichen Mitteljütland und die von Christian




H. (L. Andersen
Sophus Bauditz von (Schluß)

ndersens Talents eine Landschaft, eine Straße, ein Interieur zu
zeichnen, ist gewissermaßen einzig in seiner Art. Zu seiner ganzen
Entfaltung gelangt sein Talent nach dieser wie nach allen Richtungen
hin freilich erst in den Märchen, es ist aber schon in den Romanen
und in vielen der Gedichte bewunderungswürdig. Wie er schnell
liest, so sieht er schnell, und er zeichnet mit einer Sicherheit, die geradezu er¬
staunlich ist. Oft hat man beinahe das Gefühl, als habe er eine Moment¬
aufnahme aus dem Fenster eines Coupes im Schnellzuge gemacht, und wenn
er im Gegensatz zu so vielen andern Dichtern immer die Fahrt auf dem „Rücken
des Dampfrosses" auf Kosten der ehemaligen Diligencen preist, so kommt das
Wohl daher, daß er die Fähigkeit hat, so schnell zu sehen, und das, was das
Charakteristische für die Wechselnden Bilder ist, so schnell aufzufassen. Mit wenig
Strichen zeichnet er, aber lebendig, anschaulich: er zwingt die Phantasie des
Lesers, das Fehlende zu ergänzen, und zwar es auf die rechte Weise zu
ergänzen.

I. L. Heiberg hebt ja in seiner Besprechung von Öhlenschlügers „Johcmnis-
abendspiel" die Guckkastenbilder als etwas von dem besten hervor, was die
dänische Literatur an „poetischen Naturschilderungen" hat, und er macht darauf
aufmerksam, daß sie gerade durch dieselbe Unmittelbarkeit wirken, mit der die
Bilder in einem wirklichen Guckkasten zu der kindlichen Phantasie reden: „Die
Hauptsache auf dem Bilde steht in der Regel isoliert ohne Verbindung mit der
Umgebung, feinere Schattierungen und Übergänge gibt es nicht, im ganzen ist
mit dein Schatten gespart, alles hebt sich mit scharfen Konturen und mit starken,
bunten Farben ab." Aber was hier von Öhlenschlüger gesagt ist, kann mit
ebenso großem Recht von vielen von Andersens Landschaftsschilderungen gesagt
werden; man denke nur an Gedichte wie „Abendlandschaft" und „Studie uach
der Natur" oder an die paar Zeiten, mit denen er uns in „Unterm Weiter¬
bauen" das ganze Nürnberg schildert! Man muß unwillkürlich an den Guck¬
kasten seiner eignen Kindheit denken, von dem er vielleicht mehr gelernt hat, als
er selber ahnt.

Zunächst und mit besondrer Vorliebe hat er, namentlich in den Romanen,
Bilder von seiner Heimatinsel Fünen wiedergegeben, doch kann man ihn dieser
Naturschilderungen halber nicht eigentlich als den Dichter Fünens bezeichnen,
sein Reich ist größer. Wollte man sich eine Karte vorstellen, auf der mit ver-
schiednen Farben angegeben wäre, wo die Domäne eines jeden Dichters läge,
so würde die von Bucher in dem nördlichen Mitteljütland und die von Christian


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0087" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/296098"/>
          <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341881_296010/figures/grenzboten_341881_296010_296098_000.jpg"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> H. (L. Andersen<lb/><note type="byline"> Sophus Bauditz</note> von (Schluß) </head><lb/>
          <p xml:id="ID_459"> ndersens Talents eine Landschaft, eine Straße, ein Interieur zu<lb/>
zeichnen, ist gewissermaßen einzig in seiner Art. Zu seiner ganzen<lb/>
Entfaltung gelangt sein Talent nach dieser wie nach allen Richtungen<lb/>
hin freilich erst in den Märchen, es ist aber schon in den Romanen<lb/>
und in vielen der Gedichte bewunderungswürdig. Wie er schnell<lb/>
liest, so sieht er schnell, und er zeichnet mit einer Sicherheit, die geradezu er¬<lb/>
staunlich ist. Oft hat man beinahe das Gefühl, als habe er eine Moment¬<lb/>
aufnahme aus dem Fenster eines Coupes im Schnellzuge gemacht, und wenn<lb/>
er im Gegensatz zu so vielen andern Dichtern immer die Fahrt auf dem &#x201E;Rücken<lb/>
des Dampfrosses" auf Kosten der ehemaligen Diligencen preist, so kommt das<lb/>
Wohl daher, daß er die Fähigkeit hat, so schnell zu sehen, und das, was das<lb/>
Charakteristische für die Wechselnden Bilder ist, so schnell aufzufassen. Mit wenig<lb/>
Strichen zeichnet er, aber lebendig, anschaulich: er zwingt die Phantasie des<lb/>
Lesers, das Fehlende zu ergänzen, und zwar es auf die rechte Weise zu<lb/>
ergänzen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_460"> I. L. Heiberg hebt ja in seiner Besprechung von Öhlenschlügers &#x201E;Johcmnis-<lb/>
abendspiel" die Guckkastenbilder als etwas von dem besten hervor, was die<lb/>
dänische Literatur an &#x201E;poetischen Naturschilderungen" hat, und er macht darauf<lb/>
aufmerksam, daß sie gerade durch dieselbe Unmittelbarkeit wirken, mit der die<lb/>
Bilder in einem wirklichen Guckkasten zu der kindlichen Phantasie reden: &#x201E;Die<lb/>
Hauptsache auf dem Bilde steht in der Regel isoliert ohne Verbindung mit der<lb/>
Umgebung, feinere Schattierungen und Übergänge gibt es nicht, im ganzen ist<lb/>
mit dein Schatten gespart, alles hebt sich mit scharfen Konturen und mit starken,<lb/>
bunten Farben ab." Aber was hier von Öhlenschlüger gesagt ist, kann mit<lb/>
ebenso großem Recht von vielen von Andersens Landschaftsschilderungen gesagt<lb/>
werden; man denke nur an Gedichte wie &#x201E;Abendlandschaft" und &#x201E;Studie uach<lb/>
der Natur" oder an die paar Zeiten, mit denen er uns in &#x201E;Unterm Weiter¬<lb/>
bauen" das ganze Nürnberg schildert! Man muß unwillkürlich an den Guck¬<lb/>
kasten seiner eignen Kindheit denken, von dem er vielleicht mehr gelernt hat, als<lb/>
er selber ahnt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_461" next="#ID_462"> Zunächst und mit besondrer Vorliebe hat er, namentlich in den Romanen,<lb/>
Bilder von seiner Heimatinsel Fünen wiedergegeben, doch kann man ihn dieser<lb/>
Naturschilderungen halber nicht eigentlich als den Dichter Fünens bezeichnen,<lb/>
sein Reich ist größer. Wollte man sich eine Karte vorstellen, auf der mit ver-<lb/>
schiednen Farben angegeben wäre, wo die Domäne eines jeden Dichters läge,<lb/>
so würde die von Bucher in dem nördlichen Mitteljütland und die von Christian</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0087] [Abbildung] H. (L. Andersen Sophus Bauditz von (Schluß) ndersens Talents eine Landschaft, eine Straße, ein Interieur zu zeichnen, ist gewissermaßen einzig in seiner Art. Zu seiner ganzen Entfaltung gelangt sein Talent nach dieser wie nach allen Richtungen hin freilich erst in den Märchen, es ist aber schon in den Romanen und in vielen der Gedichte bewunderungswürdig. Wie er schnell liest, so sieht er schnell, und er zeichnet mit einer Sicherheit, die geradezu er¬ staunlich ist. Oft hat man beinahe das Gefühl, als habe er eine Moment¬ aufnahme aus dem Fenster eines Coupes im Schnellzuge gemacht, und wenn er im Gegensatz zu so vielen andern Dichtern immer die Fahrt auf dem „Rücken des Dampfrosses" auf Kosten der ehemaligen Diligencen preist, so kommt das Wohl daher, daß er die Fähigkeit hat, so schnell zu sehen, und das, was das Charakteristische für die Wechselnden Bilder ist, so schnell aufzufassen. Mit wenig Strichen zeichnet er, aber lebendig, anschaulich: er zwingt die Phantasie des Lesers, das Fehlende zu ergänzen, und zwar es auf die rechte Weise zu ergänzen. I. L. Heiberg hebt ja in seiner Besprechung von Öhlenschlügers „Johcmnis- abendspiel" die Guckkastenbilder als etwas von dem besten hervor, was die dänische Literatur an „poetischen Naturschilderungen" hat, und er macht darauf aufmerksam, daß sie gerade durch dieselbe Unmittelbarkeit wirken, mit der die Bilder in einem wirklichen Guckkasten zu der kindlichen Phantasie reden: „Die Hauptsache auf dem Bilde steht in der Regel isoliert ohne Verbindung mit der Umgebung, feinere Schattierungen und Übergänge gibt es nicht, im ganzen ist mit dein Schatten gespart, alles hebt sich mit scharfen Konturen und mit starken, bunten Farben ab." Aber was hier von Öhlenschlüger gesagt ist, kann mit ebenso großem Recht von vielen von Andersens Landschaftsschilderungen gesagt werden; man denke nur an Gedichte wie „Abendlandschaft" und „Studie uach der Natur" oder an die paar Zeiten, mit denen er uns in „Unterm Weiter¬ bauen" das ganze Nürnberg schildert! Man muß unwillkürlich an den Guck¬ kasten seiner eignen Kindheit denken, von dem er vielleicht mehr gelernt hat, als er selber ahnt. Zunächst und mit besondrer Vorliebe hat er, namentlich in den Romanen, Bilder von seiner Heimatinsel Fünen wiedergegeben, doch kann man ihn dieser Naturschilderungen halber nicht eigentlich als den Dichter Fünens bezeichnen, sein Reich ist größer. Wollte man sich eine Karte vorstellen, auf der mit ver- schiednen Farben angegeben wäre, wo die Domäne eines jeden Dichters läge, so würde die von Bucher in dem nördlichen Mitteljütland und die von Christian

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296010
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296010/87
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296010/87>, abgerufen am 07.05.2024.