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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.

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Herrenmenschen

beschäftigt, den am Tage vorher ermordeten Aufseher der von uns besuchten
Fischstation zu sezieren. In fließendem Deutsch fragte er uns, ob es uns
vielleicht interessiere, hierbei zuzusehen! Eine etwas sonderbare Zumutung,
die wir bestens dankend ablehnten. Wir erkundigten uns aber noch nach
allerhand und erhielten auf die Frage, ob die Täter schon gefaßt seien, die
Antwort, daß das nicht der Fall sei, daß man sich auch gar nicht die Mühe
gebe, sie zu fangen; man müsse sie ja dann nur wieder füttern! Sie hatten
ja nur einen "Berufsgenossen" umgebracht, und bald wird ihnen vielleicht von
andrer Seite dasselbe Schicksal zuteil!

Am nächsten Morgen lichtete unser Dampfer die Anker, um uns nach
Japan zurückzubringen. Meine Gedanken aber flogen zurück uach diesem Orte
des Elends und des Schreckens. Hier draußen lachender Sonnenschein, ein
herrliches leichtes Frostwetter, und dort hinter jenen vergitterten Fenstern
war in den Seelen der Menschen soviel Elend, Verzweiflung und Ver¬
kommenheit! Staunend fragt man sich: Wie ist es möglich, daß die russische
Regierung solche unmenschlichen Zustände duldet und in diesem Lande, wo
so viel Gutes und Nützliches geschaffen werden könnte, eine solche Anarchie
herrschen läßt?

Viel hatte ich schon gelesen und gehört über diese Verbrecherkolonie,
über ihre Nutzlosigkeit, ihre unmenschlichen Härten und Grausamkeiten, die
den Menschen zum Tier machen und verstockte Sünder nur noch verstockter
machen. Oft hatte ich geglaubt, daß diese Berichte auf Übertreibung und
Lügen beruhten, aber nun glaube ich den schrecklichsten Berichten, denn hier
ist alles möglich!

Es ist hier nicht meine Aufgabe, über die Zweckmäßigkeit von Straf¬
kolonien überhaupt zu sprechen. Soviel steht aber jedenfalls fest, daß die
Verbrecherkolonie Sachalin eine Schande für das große und mächtige russische
Reich ist!




Herrenmenschen
Fritz Anders (Mcix Allihu) Roman von(Fortsetzung)

s^uf dem Hofe des preußische" Schlößchens sah es böse aus. Die
?"M^^?WiKnechte waren betrunken und hatten einen Erntewagen umgeworfen,
und zwar so geschickt, daß die Garben in die Wasserlache in der
Mitte des Hofes gefallen waren. Die Mägde standen dabei, schalten
und lachten. Frau Mary war nicht zu sehen, die Tante rang die
! Hände, und im Hintergründe stand der Inspektor, gleichfalls be¬
trunken, breitbeinig, die Hände in den Taschen und die Pfeife im' Maul und
kommandierte. Aber niemand hörte auf ihn, und es schien ihm auch nicht viel
daran gelegen zu sein.

Diesesmal holte der Doktor wirklich die Reitpeitsche. Aber er hatte es nicht
nötig, sie zu brauchen, denn ihr bloßer Anblick übte eine erfreulich ernüchternde


Herrenmenschen

beschäftigt, den am Tage vorher ermordeten Aufseher der von uns besuchten
Fischstation zu sezieren. In fließendem Deutsch fragte er uns, ob es uns
vielleicht interessiere, hierbei zuzusehen! Eine etwas sonderbare Zumutung,
die wir bestens dankend ablehnten. Wir erkundigten uns aber noch nach
allerhand und erhielten auf die Frage, ob die Täter schon gefaßt seien, die
Antwort, daß das nicht der Fall sei, daß man sich auch gar nicht die Mühe
gebe, sie zu fangen; man müsse sie ja dann nur wieder füttern! Sie hatten
ja nur einen „Berufsgenossen" umgebracht, und bald wird ihnen vielleicht von
andrer Seite dasselbe Schicksal zuteil!

Am nächsten Morgen lichtete unser Dampfer die Anker, um uns nach
Japan zurückzubringen. Meine Gedanken aber flogen zurück uach diesem Orte
des Elends und des Schreckens. Hier draußen lachender Sonnenschein, ein
herrliches leichtes Frostwetter, und dort hinter jenen vergitterten Fenstern
war in den Seelen der Menschen soviel Elend, Verzweiflung und Ver¬
kommenheit! Staunend fragt man sich: Wie ist es möglich, daß die russische
Regierung solche unmenschlichen Zustände duldet und in diesem Lande, wo
so viel Gutes und Nützliches geschaffen werden könnte, eine solche Anarchie
herrschen läßt?

Viel hatte ich schon gelesen und gehört über diese Verbrecherkolonie,
über ihre Nutzlosigkeit, ihre unmenschlichen Härten und Grausamkeiten, die
den Menschen zum Tier machen und verstockte Sünder nur noch verstockter
machen. Oft hatte ich geglaubt, daß diese Berichte auf Übertreibung und
Lügen beruhten, aber nun glaube ich den schrecklichsten Berichten, denn hier
ist alles möglich!

Es ist hier nicht meine Aufgabe, über die Zweckmäßigkeit von Straf¬
kolonien überhaupt zu sprechen. Soviel steht aber jedenfalls fest, daß die
Verbrecherkolonie Sachalin eine Schande für das große und mächtige russische
Reich ist!




Herrenmenschen
Fritz Anders (Mcix Allihu) Roman von(Fortsetzung)

s^uf dem Hofe des preußische» Schlößchens sah es böse aus. Die
?«M^^?WiKnechte waren betrunken und hatten einen Erntewagen umgeworfen,
und zwar so geschickt, daß die Garben in die Wasserlache in der
Mitte des Hofes gefallen waren. Die Mägde standen dabei, schalten
und lachten. Frau Mary war nicht zu sehen, die Tante rang die
! Hände, und im Hintergründe stand der Inspektor, gleichfalls be¬
trunken, breitbeinig, die Hände in den Taschen und die Pfeife im' Maul und
kommandierte. Aber niemand hörte auf ihn, und es schien ihm auch nicht viel
daran gelegen zu sein.

Diesesmal holte der Doktor wirklich die Reitpeitsche. Aber er hatte es nicht
nötig, sie zu brauchen, denn ihr bloßer Anblick übte eine erfreulich ernüchternde


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296764/108>, abgerufen am 07.05.2024.