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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.

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Veutsche Lollwerko im Osten

in altrömischer Zeit einer der besten Teile des Kaiserreichs war, wieder ge¬
schaffen. Dem fremden Handel würde dort wenig Gelegenheit mehr bleiben,
die dreißig Jahre Freihandel sind ja nur England verbürgt, nicht andern
Ländern. Und wie bald vergehn dreißig Jahre. Auch die Verpflichtung, Tanger
nicht zu befestigen, gilt nur England gegenüber, das eines Tags vielleicht
darauf verzichten wird, weil es Gegenzngeständnisse erhält, oder weil es sich
auf seiue Flotte verläßt. Wenn Tanger ein französischer Kriegshafen wird, so
haben alle andern Länder mit zwei Sperrforts an der Straße von Gibraltar
statt mit einem zu rechnen. Bisher war das Mittelmeer für alle Staaten
offen, die mit England im Frieden lebten. In Zukunft würde auch die Er¬
laubnis Frankreichs zum Passieren der Meerenge nötig sein. Die Verschlechterung
der Dinge für die andern Mächte wäre also mit Händen zu greifen gewesen.
Nunmehr darf man es wohl als sehr wahrscheinlich ansehen, daß über Tanger
nicht die Flagge der Republik wehn, daß vielmehr Marokko seine Unabhängig¬
keit retten wird, wenn es nur halbwegs Ordnung im Innern zu halten ver¬
steht. Ohne solche kann allerdings nur zu leicht ein Konflikt mit Frankreich
ausbrechen, dessen Verlauf gar nicht abzusehen wäre.

Fragen wir uns nun, welchen Einfluß der Gaug der Dinge auf das
Gleichgewicht im Mittelmeer haben muß, so kann die Antwort nnr lauten:
Wenn England und Frankreich Verbündete sind, so kann von einem Gleich¬
gewicht überhaupt gar keine Rede mehr sein. Italien und Österreich-Ungarn
sind viel zu schwach, wider den Stachel locken zu können. Rußlands Flotte,
für sich allein ohnehin ganz unzureichend, bleibt ins Schwarze Meer gebannt.
Eine Koalition zwischen Rußland, Österreich und Italien gehört nicht ins Be¬
reich der praktischen Politik. Sind England und Frankreich in verschiednen
Schalen der Wage, so verbessert die Erhaltung der Unabhängigkeit Marokkos
sehr die Chancen Englands, mit oder ohne den Beistand Italiens der über¬
legne Teil zu bleiben. Bleibt England neutral, so sind Italien und Österreich
den Franzosen unter besonders glücklichen Kombinationen vielleicht gewachsen,
vorausgesetzt daß die Russen an dem Seekrieg im Mittelmer nicht teilnehmen
können. Die Kombinationen sind zu mannigfaltig, als daß sie alle erörtert
werden könnten. Mit einem Worte: In einem Kriege ist es vorteilhaft für
jeden Gegner Frankreichs, wenn dieses sich nicht zu allen sonstigen Mittelmeer¬
vorteilen auch noch der Herrschaft über Marokko bedienen kann.




Deutsche Bollwerke im Osten

el der Beratung des Kultusetats im preußischen Abgeordneten¬
hause hat der Kultusminister eingehende Mitteilungen über den
Stand der neuen wissenschaftlichen Schöpfungen gegeben, die zur
Durchführung einer kräftigen Ostmarkenpolitik von der preußischen
Regierung ins Leben gerufen worden sind: die Königliche Akademie
zu Posen und die dortige Kaiser-Wilhelm-Bibliothek. Bekanntlich ist der
Staatszuschuß für die Bibliothek im neuen Etat von 30000 auf 40000 Mark


Veutsche Lollwerko im Osten

in altrömischer Zeit einer der besten Teile des Kaiserreichs war, wieder ge¬
schaffen. Dem fremden Handel würde dort wenig Gelegenheit mehr bleiben,
die dreißig Jahre Freihandel sind ja nur England verbürgt, nicht andern
Ländern. Und wie bald vergehn dreißig Jahre. Auch die Verpflichtung, Tanger
nicht zu befestigen, gilt nur England gegenüber, das eines Tags vielleicht
darauf verzichten wird, weil es Gegenzngeständnisse erhält, oder weil es sich
auf seiue Flotte verläßt. Wenn Tanger ein französischer Kriegshafen wird, so
haben alle andern Länder mit zwei Sperrforts an der Straße von Gibraltar
statt mit einem zu rechnen. Bisher war das Mittelmeer für alle Staaten
offen, die mit England im Frieden lebten. In Zukunft würde auch die Er¬
laubnis Frankreichs zum Passieren der Meerenge nötig sein. Die Verschlechterung
der Dinge für die andern Mächte wäre also mit Händen zu greifen gewesen.
Nunmehr darf man es wohl als sehr wahrscheinlich ansehen, daß über Tanger
nicht die Flagge der Republik wehn, daß vielmehr Marokko seine Unabhängig¬
keit retten wird, wenn es nur halbwegs Ordnung im Innern zu halten ver¬
steht. Ohne solche kann allerdings nur zu leicht ein Konflikt mit Frankreich
ausbrechen, dessen Verlauf gar nicht abzusehen wäre.

Fragen wir uns nun, welchen Einfluß der Gaug der Dinge auf das
Gleichgewicht im Mittelmeer haben muß, so kann die Antwort nnr lauten:
Wenn England und Frankreich Verbündete sind, so kann von einem Gleich¬
gewicht überhaupt gar keine Rede mehr sein. Italien und Österreich-Ungarn
sind viel zu schwach, wider den Stachel locken zu können. Rußlands Flotte,
für sich allein ohnehin ganz unzureichend, bleibt ins Schwarze Meer gebannt.
Eine Koalition zwischen Rußland, Österreich und Italien gehört nicht ins Be¬
reich der praktischen Politik. Sind England und Frankreich in verschiednen
Schalen der Wage, so verbessert die Erhaltung der Unabhängigkeit Marokkos
sehr die Chancen Englands, mit oder ohne den Beistand Italiens der über¬
legne Teil zu bleiben. Bleibt England neutral, so sind Italien und Österreich
den Franzosen unter besonders glücklichen Kombinationen vielleicht gewachsen,
vorausgesetzt daß die Russen an dem Seekrieg im Mittelmer nicht teilnehmen
können. Die Kombinationen sind zu mannigfaltig, als daß sie alle erörtert
werden könnten. Mit einem Worte: In einem Kriege ist es vorteilhaft für
jeden Gegner Frankreichs, wenn dieses sich nicht zu allen sonstigen Mittelmeer¬
vorteilen auch noch der Herrschaft über Marokko bedienen kann.




Deutsche Bollwerke im Osten

el der Beratung des Kultusetats im preußischen Abgeordneten¬
hause hat der Kultusminister eingehende Mitteilungen über den
Stand der neuen wissenschaftlichen Schöpfungen gegeben, die zur
Durchführung einer kräftigen Ostmarkenpolitik von der preußischen
Regierung ins Leben gerufen worden sind: die Königliche Akademie
zu Posen und die dortige Kaiser-Wilhelm-Bibliothek. Bekanntlich ist der
Staatszuschuß für die Bibliothek im neuen Etat von 30000 auf 40000 Mark


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[0134] Veutsche Lollwerko im Osten in altrömischer Zeit einer der besten Teile des Kaiserreichs war, wieder ge¬ schaffen. Dem fremden Handel würde dort wenig Gelegenheit mehr bleiben, die dreißig Jahre Freihandel sind ja nur England verbürgt, nicht andern Ländern. Und wie bald vergehn dreißig Jahre. Auch die Verpflichtung, Tanger nicht zu befestigen, gilt nur England gegenüber, das eines Tags vielleicht darauf verzichten wird, weil es Gegenzngeständnisse erhält, oder weil es sich auf seiue Flotte verläßt. Wenn Tanger ein französischer Kriegshafen wird, so haben alle andern Länder mit zwei Sperrforts an der Straße von Gibraltar statt mit einem zu rechnen. Bisher war das Mittelmeer für alle Staaten offen, die mit England im Frieden lebten. In Zukunft würde auch die Er¬ laubnis Frankreichs zum Passieren der Meerenge nötig sein. Die Verschlechterung der Dinge für die andern Mächte wäre also mit Händen zu greifen gewesen. Nunmehr darf man es wohl als sehr wahrscheinlich ansehen, daß über Tanger nicht die Flagge der Republik wehn, daß vielmehr Marokko seine Unabhängig¬ keit retten wird, wenn es nur halbwegs Ordnung im Innern zu halten ver¬ steht. Ohne solche kann allerdings nur zu leicht ein Konflikt mit Frankreich ausbrechen, dessen Verlauf gar nicht abzusehen wäre. Fragen wir uns nun, welchen Einfluß der Gaug der Dinge auf das Gleichgewicht im Mittelmeer haben muß, so kann die Antwort nnr lauten: Wenn England und Frankreich Verbündete sind, so kann von einem Gleich¬ gewicht überhaupt gar keine Rede mehr sein. Italien und Österreich-Ungarn sind viel zu schwach, wider den Stachel locken zu können. Rußlands Flotte, für sich allein ohnehin ganz unzureichend, bleibt ins Schwarze Meer gebannt. Eine Koalition zwischen Rußland, Österreich und Italien gehört nicht ins Be¬ reich der praktischen Politik. Sind England und Frankreich in verschiednen Schalen der Wage, so verbessert die Erhaltung der Unabhängigkeit Marokkos sehr die Chancen Englands, mit oder ohne den Beistand Italiens der über¬ legne Teil zu bleiben. Bleibt England neutral, so sind Italien und Österreich den Franzosen unter besonders glücklichen Kombinationen vielleicht gewachsen, vorausgesetzt daß die Russen an dem Seekrieg im Mittelmer nicht teilnehmen können. Die Kombinationen sind zu mannigfaltig, als daß sie alle erörtert werden könnten. Mit einem Worte: In einem Kriege ist es vorteilhaft für jeden Gegner Frankreichs, wenn dieses sich nicht zu allen sonstigen Mittelmeer¬ vorteilen auch noch der Herrschaft über Marokko bedienen kann. Deutsche Bollwerke im Osten el der Beratung des Kultusetats im preußischen Abgeordneten¬ hause hat der Kultusminister eingehende Mitteilungen über den Stand der neuen wissenschaftlichen Schöpfungen gegeben, die zur Durchführung einer kräftigen Ostmarkenpolitik von der preußischen Regierung ins Leben gerufen worden sind: die Königliche Akademie zu Posen und die dortige Kaiser-Wilhelm-Bibliothek. Bekanntlich ist der Staatszuschuß für die Bibliothek im neuen Etat von 30000 auf 40000 Mark

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296764/134>, abgerufen am 07.05.2024.