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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.

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Deutschland und die äußere Politik Frankreichs

der Neichszugehörigkeit pflegen würde, und den der Kaiser dann nur mit Hilfe
des Bundesrath absetzen könnte! Der lebenslängliche Statthalter wäre, nicht
heute, aber in fernerer Zukunft, der direkte Weg zum Verlust des Reichslandes.
Wer das nicht einsehen will, befrage gefälligst die deutsche Geschichte des
sechzehnten und des siebzehnten Jahrhunderts.

Nein! Will man in Elsaß-Lothringen und an Elsaß-Lothringen irgend
etwas ändern, so kann es nur im Sinne der Erstarkung und Ver¬
stärkung der kaiserlichen Gewalt- und Machtbefugnis, der Beziehungen
der Kaiserkrone zum Lande geschehen. Alles andre wäre ein gefährlicher
Unsegen. Ob aber der Kaiser selbst dazu bereit ist, ob die deutschen Fürsten
geneigt sind, sich ihres ideellen Mitbesitzes zu entäußern, ist eine keineswegs
-z" ohne weiteres zu bejahende Frage.




Deutschland und die äußere Politik Frankreichs

n dem Schreiben, das der frühere Ministerpräsident Combes beim
Abschied dem Staatschef überreichte, heißt es: "Ich habe das
Vertrauen zur geeinigten Linken, daß sie das Werk der geistigen
Befreiung, des sozialen Fortschritts und der Annäherung zwischen
den Völkern, das mein Ministerium vollbracht hat, verteidigen
und weiter fortsetzen wird." Der neue Premier, Maurice Rouvier, sagte in
seiner Prvgrammrede in der Deputiertenkammcr: "Nach außen werden wir die
Politik fortsetzen, die dank der Unterstützung durch das Parlament und der
Zustimmung der Nation, durch die kraftvolle Betätigung unsrer Allianz und
die Durchführung vorteilhafter Annäherung uach andrer Seite unsre Stellung
in der Welt befestigt und unser Land in Stunden der Gefahr zu einem
einflußreichen Faktor der Eintracht unter den Völkern gemacht hat." Das
heißt, aus der amtlichen Phraseologie ins Gemeinverständliche übersetzt: Herr
Deleasse wird die Politik fortsetzen, die er seit mehr als sechs Jahren vom
Quai d'Orsay aus getrieben hat. Bis dahin hatte er das Koloniale verwaltet,
und seine erste Tat war es, den Rückzug von Faschoda zu decken. Weder im
Volk noch in der Kammer ist man mit allem einverstanden gewesen, was er
inzwischen unternommen hat; doch zeigte er von Anfang an eine große Sicher¬
heit und Gewandtheit in der Geschäftsführung, die ihm das Vertrauen der
maßgebenden Kreise erwarb. Für sein Fach kam ihm zugute, daß er, der in
jungen Jahren der Patriotcnliga angehört hatte, später in innerpolitischcn Dingen
einem in allen Farben schillernden Opportunismus huldigte, der ihm erlaubte,
aus eitlem Ministerium ins andre ohne Anstrengung überzugehn. Persönlich
ein wohlhabender Mann war er auch den Ansprüchen seiner Stellung nach
repräsentativer Seite gewachsen und konnte nicht leicht in den Verdacht kommen,
pekuniären Lockungen zugänglich zu sein, was bei französischen Staatswürden¬
trägern, besonders seit den Tagen von Panama, durchaus nicht so ohne weiteres


Deutschland und die äußere Politik Frankreichs

der Neichszugehörigkeit pflegen würde, und den der Kaiser dann nur mit Hilfe
des Bundesrath absetzen könnte! Der lebenslängliche Statthalter wäre, nicht
heute, aber in fernerer Zukunft, der direkte Weg zum Verlust des Reichslandes.
Wer das nicht einsehen will, befrage gefälligst die deutsche Geschichte des
sechzehnten und des siebzehnten Jahrhunderts.

Nein! Will man in Elsaß-Lothringen und an Elsaß-Lothringen irgend
etwas ändern, so kann es nur im Sinne der Erstarkung und Ver¬
stärkung der kaiserlichen Gewalt- und Machtbefugnis, der Beziehungen
der Kaiserkrone zum Lande geschehen. Alles andre wäre ein gefährlicher
Unsegen. Ob aber der Kaiser selbst dazu bereit ist, ob die deutschen Fürsten
geneigt sind, sich ihres ideellen Mitbesitzes zu entäußern, ist eine keineswegs
-z» ohne weiteres zu bejahende Frage.




Deutschland und die äußere Politik Frankreichs

n dem Schreiben, das der frühere Ministerpräsident Combes beim
Abschied dem Staatschef überreichte, heißt es: „Ich habe das
Vertrauen zur geeinigten Linken, daß sie das Werk der geistigen
Befreiung, des sozialen Fortschritts und der Annäherung zwischen
den Völkern, das mein Ministerium vollbracht hat, verteidigen
und weiter fortsetzen wird." Der neue Premier, Maurice Rouvier, sagte in
seiner Prvgrammrede in der Deputiertenkammcr: „Nach außen werden wir die
Politik fortsetzen, die dank der Unterstützung durch das Parlament und der
Zustimmung der Nation, durch die kraftvolle Betätigung unsrer Allianz und
die Durchführung vorteilhafter Annäherung uach andrer Seite unsre Stellung
in der Welt befestigt und unser Land in Stunden der Gefahr zu einem
einflußreichen Faktor der Eintracht unter den Völkern gemacht hat." Das
heißt, aus der amtlichen Phraseologie ins Gemeinverständliche übersetzt: Herr
Deleasse wird die Politik fortsetzen, die er seit mehr als sechs Jahren vom
Quai d'Orsay aus getrieben hat. Bis dahin hatte er das Koloniale verwaltet,
und seine erste Tat war es, den Rückzug von Faschoda zu decken. Weder im
Volk noch in der Kammer ist man mit allem einverstanden gewesen, was er
inzwischen unternommen hat; doch zeigte er von Anfang an eine große Sicher¬
heit und Gewandtheit in der Geschäftsführung, die ihm das Vertrauen der
maßgebenden Kreise erwarb. Für sein Fach kam ihm zugute, daß er, der in
jungen Jahren der Patriotcnliga angehört hatte, später in innerpolitischcn Dingen
einem in allen Farben schillernden Opportunismus huldigte, der ihm erlaubte,
aus eitlem Ministerium ins andre ohne Anstrengung überzugehn. Persönlich
ein wohlhabender Mann war er auch den Ansprüchen seiner Stellung nach
repräsentativer Seite gewachsen und konnte nicht leicht in den Verdacht kommen,
pekuniären Lockungen zugänglich zu sein, was bei französischen Staatswürden¬
trägern, besonders seit den Tagen von Panama, durchaus nicht so ohne weiteres


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296764/24>, abgerufen am 07.05.2024.