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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.

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Das alte Preußen vor ^806
von Otto Aaemmel

or hundert Jahren tat die preußische Politik die verhängnisvollen
entscheidenden Schritte, die den Staat binnen Jahresfrist in den
Abgrund führten. In unverständiger Friedensliebe verweigerte
König Friedrich Wilhelm der Dritte deu Beitritt zur Koalition
zwischen Frankreich und Rußland; dann befahl er, erzürnt über
eine Verletzung seiner Neutralität durch die Franzosen, die Mobilisierung und
deu Aufmarsch seiner gesamten Armee und schickte den Grafen Haugwitz mit
einem Vermittlungsvvrschlagc an Napoleon, der tatsächlich ein drohendes Ulti¬
matum war, nud doch befahl er ihm persönlich, den Frieden unter allen Um¬
ständen zu bewahren. So schloß dieser nach der Entscheidungsschlacht von
Austerlitz den verhängnisvollen Vertrag von Schönbrunn, der Preußen nur
noch die Wahl zwischen einer würdelosen Abhängigkeit von Frankreich und dem
Kriege ließ, und wieder wurde dieser 1806 in einer an sich berechtigten aber
ni diesem Augenblick unklugen Aufwallung s.v irato und im unglücklichsten
Momente begonnen. Aber weder diese haltlose, zwischen Übereilung und Ver¬
säumnis schwankende Politik, für die unstreitig die Verantwortung den König
Mlz persönlich trifft, noch die veraltete Zusammensetzung und Taktik der
Preußischen Armee hat für sich den jähen Fall des Staates herbeigeführt. Bei
Jena wie bei Auerstädt haben sich die Truppen aufs tapferste geschlagen,
dort, verzettelt wie sie waren, gegen eine Übermacht, hier gegen einen Feind in
fester Stellung, und die vielgeschmähten Junker ließen hier 47 tote und 221
verwundete Offiziere auf dem Platze. Die Ursachen liegen viel tiefer. Nicht
Tapferkeit fehlte es, auch nicht an Intelligenz, sondern an Entschlußkraft,
dem festen Willen zu siegen. Wenn man aus dem tiefen Saaltale bei
^ma den steilen Apoldischen Steiger nach dem Landgrafenberge hinaufsteigt
und dann auf der freien Hochebene den Windknollen als einen sie völlig be¬
herrschenden langgestreckten kahlen Höhenzug vor sich sieht, so versteht man
kaum, wie Fürst Hohenlohe diese fast unbezwinglichen Stellungen nicht hat be-
^tzm uni) halten können, statt dann bei dem auf baumlosen, offnem Plateau
Gärten versteckten Vierzehnheiligen seine tapfern Bataillone dem nberwnl-


Grenzboten II 1305 44


Das alte Preußen vor ^806
von Otto Aaemmel

or hundert Jahren tat die preußische Politik die verhängnisvollen
entscheidenden Schritte, die den Staat binnen Jahresfrist in den
Abgrund führten. In unverständiger Friedensliebe verweigerte
König Friedrich Wilhelm der Dritte deu Beitritt zur Koalition
zwischen Frankreich und Rußland; dann befahl er, erzürnt über
eine Verletzung seiner Neutralität durch die Franzosen, die Mobilisierung und
deu Aufmarsch seiner gesamten Armee und schickte den Grafen Haugwitz mit
einem Vermittlungsvvrschlagc an Napoleon, der tatsächlich ein drohendes Ulti¬
matum war, nud doch befahl er ihm persönlich, den Frieden unter allen Um¬
ständen zu bewahren. So schloß dieser nach der Entscheidungsschlacht von
Austerlitz den verhängnisvollen Vertrag von Schönbrunn, der Preußen nur
noch die Wahl zwischen einer würdelosen Abhängigkeit von Frankreich und dem
Kriege ließ, und wieder wurde dieser 1806 in einer an sich berechtigten aber
ni diesem Augenblick unklugen Aufwallung s.v irato und im unglücklichsten
Momente begonnen. Aber weder diese haltlose, zwischen Übereilung und Ver¬
säumnis schwankende Politik, für die unstreitig die Verantwortung den König
Mlz persönlich trifft, noch die veraltete Zusammensetzung und Taktik der
Preußischen Armee hat für sich den jähen Fall des Staates herbeigeführt. Bei
Jena wie bei Auerstädt haben sich die Truppen aufs tapferste geschlagen,
dort, verzettelt wie sie waren, gegen eine Übermacht, hier gegen einen Feind in
fester Stellung, und die vielgeschmähten Junker ließen hier 47 tote und 221
verwundete Offiziere auf dem Platze. Die Ursachen liegen viel tiefer. Nicht
Tapferkeit fehlte es, auch nicht an Intelligenz, sondern an Entschlußkraft,
dem festen Willen zu siegen. Wenn man aus dem tiefen Saaltale bei
^ma den steilen Apoldischen Steiger nach dem Landgrafenberge hinaufsteigt
und dann auf der freien Hochebene den Windknollen als einen sie völlig be¬
herrschenden langgestreckten kahlen Höhenzug vor sich sieht, so versteht man
kaum, wie Fürst Hohenlohe diese fast unbezwinglichen Stellungen nicht hat be-
^tzm uni) halten können, statt dann bei dem auf baumlosen, offnem Plateau
Gärten versteckten Vierzehnheiligen seine tapfern Bataillone dem nberwnl-


Grenzboten II 1305 44
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[0349] [Abbildung] Das alte Preußen vor ^806 von Otto Aaemmel or hundert Jahren tat die preußische Politik die verhängnisvollen entscheidenden Schritte, die den Staat binnen Jahresfrist in den Abgrund führten. In unverständiger Friedensliebe verweigerte König Friedrich Wilhelm der Dritte deu Beitritt zur Koalition zwischen Frankreich und Rußland; dann befahl er, erzürnt über eine Verletzung seiner Neutralität durch die Franzosen, die Mobilisierung und deu Aufmarsch seiner gesamten Armee und schickte den Grafen Haugwitz mit einem Vermittlungsvvrschlagc an Napoleon, der tatsächlich ein drohendes Ulti¬ matum war, nud doch befahl er ihm persönlich, den Frieden unter allen Um¬ ständen zu bewahren. So schloß dieser nach der Entscheidungsschlacht von Austerlitz den verhängnisvollen Vertrag von Schönbrunn, der Preußen nur noch die Wahl zwischen einer würdelosen Abhängigkeit von Frankreich und dem Kriege ließ, und wieder wurde dieser 1806 in einer an sich berechtigten aber ni diesem Augenblick unklugen Aufwallung s.v irato und im unglücklichsten Momente begonnen. Aber weder diese haltlose, zwischen Übereilung und Ver¬ säumnis schwankende Politik, für die unstreitig die Verantwortung den König Mlz persönlich trifft, noch die veraltete Zusammensetzung und Taktik der Preußischen Armee hat für sich den jähen Fall des Staates herbeigeführt. Bei Jena wie bei Auerstädt haben sich die Truppen aufs tapferste geschlagen, dort, verzettelt wie sie waren, gegen eine Übermacht, hier gegen einen Feind in fester Stellung, und die vielgeschmähten Junker ließen hier 47 tote und 221 verwundete Offiziere auf dem Platze. Die Ursachen liegen viel tiefer. Nicht Tapferkeit fehlte es, auch nicht an Intelligenz, sondern an Entschlußkraft, dem festen Willen zu siegen. Wenn man aus dem tiefen Saaltale bei ^ma den steilen Apoldischen Steiger nach dem Landgrafenberge hinaufsteigt und dann auf der freien Hochebene den Windknollen als einen sie völlig be¬ herrschenden langgestreckten kahlen Höhenzug vor sich sieht, so versteht man kaum, wie Fürst Hohenlohe diese fast unbezwinglichen Stellungen nicht hat be- ^tzm uni) halten können, statt dann bei dem auf baumlosen, offnem Plateau Gärten versteckten Vierzehnheiligen seine tapfern Bataillone dem nberwnl- Grenzboten II 1305 44

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296764/349>, abgerufen am 07.05.2024.