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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.

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Herrenmenschen

Wird, Ich war selbst mit meinem Freunde auf der Petersburger Polizei ge¬
wesen, die sich beim Anblick der Preobrashenskojeuniform in Liebenswürdigkeiten
erschöpfte und darüber ganz vergessen hatte, mir das nötige Leumundszeugnis
auszustellen. Während ich nämlich vergnügt auf dem Bahnhof umherschlenderte,
kam ein fremder Gendarmeriekapitän auf mich zu mit den Worten: Mein Herr,
Sie dürfen nicht weiter fahren, ich muß erst nach Petersburg telegraphieren,
denn Ihr Paß ist nicht in Ordnung. Ein Soldat hatte schon meine Sachen
aus dem Wagen genommen, und mir wurde freigestellt, mich beliebig zu amü¬
sieren, doch dürfe ich den Bahnhof nicht verlassen. Ein sonderbares Gefühl
beschlich mich, als ich zum erstenmal im Leben meiner Freiheit beraubt war,
und in nicht gerade angenehmer Stimmung eilte ich in das Telegraphenbureau,
um meinem Freunde zu telegraphieren; inzwischen hatten aber auch Schaffner
und Passagiere auf den Gendarmen eingesprochen und ihm mitgeteilt, daß sich
in Petersburg zahlreiche Offiziere von mir verabschiedet hätten. Das machte
ihn stutzig, und als ich noch an der Depesche schrieb, kam er angestürzt: Mein
Herr, der Zug geht in einer Minute, kommen Sie, Ihr Gepäck liegt schon
wieder im Wagen, das ist ja alles Unsinn mit den dummen Paßformalitüten;
bitte nehmen Sie es mir nicht übel, ich fahre dafür selbst mit nach Eydtkuhnen
und werde dort die Verzollung Ihres vielen Gepäcks besorgen, damit Sie nichts
damit zu tun haben. Na, ich atmete auf und empfand abermals die Wohltat,
einflußreiche Freunde zu haben. In Eydtkuhnen stand wieder einsam der alte
Gendarm, den ich vor Freude am liebsten umarmt hätte. Als er um meinen
Paß bat, sagte ich: Ach, lassen Sie doch das dumme Ding, ich bin ja ein
Deutscher und fühle mich so glücklich, daß ich wieder im lieben Vaterlande bin.
Lachend ließ er mich ziehn.




Herrenmenschen
Fritz Anders (Max Allihn) Roman von(Fortsetzung)

! er Doktor hatte mit Kondrot seit der Beichte nicht wieder gesprochen.
Es lag ihm nichts daran, in dieser unbehaglichen Geschichte eine
Rolle zu spielen, die ihm nicht lag. Er hatte Kondrot wiederholt
gesehen, wie er sich in der Umgebung des Schlößchens zu tun machte,
und wohl bemerkt, daß er gern angeredet werden wollte, er, der
I Doktor, war aber nicht darauf eingegangen. Als er nun am Abend
Kondrot am Schlößchen vorbeigehn und seine Augen begehrlich auf das Hvftor
richten sah, rief er ihn herein, nahm ihn mit auf seine Stube und sagte: Kondrot,
sehen Sie diese beiden Handschuhe. Sie gehören Frau Bau Term. -- Kondrot
ließ den Kopf sinken. -- Sie hat sie an dem Tage, als sie verschwand, verloren,
den einen beim Bruchteichc, deu andern zwei Stunden weiter in der Heide. Was
schließen Sie daraus? -- Kondrot atmete auf, aber es schien so, als wagte er
nicht den Schluß zu ziehn. -- Kondrot, sagte der Doktor, sie liegt nicht im Teiche,
sie ist geflohen und hält sich irgendwo verborgen.


Herrenmenschen

Wird, Ich war selbst mit meinem Freunde auf der Petersburger Polizei ge¬
wesen, die sich beim Anblick der Preobrashenskojeuniform in Liebenswürdigkeiten
erschöpfte und darüber ganz vergessen hatte, mir das nötige Leumundszeugnis
auszustellen. Während ich nämlich vergnügt auf dem Bahnhof umherschlenderte,
kam ein fremder Gendarmeriekapitän auf mich zu mit den Worten: Mein Herr,
Sie dürfen nicht weiter fahren, ich muß erst nach Petersburg telegraphieren,
denn Ihr Paß ist nicht in Ordnung. Ein Soldat hatte schon meine Sachen
aus dem Wagen genommen, und mir wurde freigestellt, mich beliebig zu amü¬
sieren, doch dürfe ich den Bahnhof nicht verlassen. Ein sonderbares Gefühl
beschlich mich, als ich zum erstenmal im Leben meiner Freiheit beraubt war,
und in nicht gerade angenehmer Stimmung eilte ich in das Telegraphenbureau,
um meinem Freunde zu telegraphieren; inzwischen hatten aber auch Schaffner
und Passagiere auf den Gendarmen eingesprochen und ihm mitgeteilt, daß sich
in Petersburg zahlreiche Offiziere von mir verabschiedet hätten. Das machte
ihn stutzig, und als ich noch an der Depesche schrieb, kam er angestürzt: Mein
Herr, der Zug geht in einer Minute, kommen Sie, Ihr Gepäck liegt schon
wieder im Wagen, das ist ja alles Unsinn mit den dummen Paßformalitüten;
bitte nehmen Sie es mir nicht übel, ich fahre dafür selbst mit nach Eydtkuhnen
und werde dort die Verzollung Ihres vielen Gepäcks besorgen, damit Sie nichts
damit zu tun haben. Na, ich atmete auf und empfand abermals die Wohltat,
einflußreiche Freunde zu haben. In Eydtkuhnen stand wieder einsam der alte
Gendarm, den ich vor Freude am liebsten umarmt hätte. Als er um meinen
Paß bat, sagte ich: Ach, lassen Sie doch das dumme Ding, ich bin ja ein
Deutscher und fühle mich so glücklich, daß ich wieder im lieben Vaterlande bin.
Lachend ließ er mich ziehn.




Herrenmenschen
Fritz Anders (Max Allihn) Roman von(Fortsetzung)

! er Doktor hatte mit Kondrot seit der Beichte nicht wieder gesprochen.
Es lag ihm nichts daran, in dieser unbehaglichen Geschichte eine
Rolle zu spielen, die ihm nicht lag. Er hatte Kondrot wiederholt
gesehen, wie er sich in der Umgebung des Schlößchens zu tun machte,
und wohl bemerkt, daß er gern angeredet werden wollte, er, der
I Doktor, war aber nicht darauf eingegangen. Als er nun am Abend
Kondrot am Schlößchen vorbeigehn und seine Augen begehrlich auf das Hvftor
richten sah, rief er ihn herein, nahm ihn mit auf seine Stube und sagte: Kondrot,
sehen Sie diese beiden Handschuhe. Sie gehören Frau Bau Term. — Kondrot
ließ den Kopf sinken. — Sie hat sie an dem Tage, als sie verschwand, verloren,
den einen beim Bruchteichc, deu andern zwei Stunden weiter in der Heide. Was
schließen Sie daraus? — Kondrot atmete auf, aber es schien so, als wagte er
nicht den Schluß zu ziehn. — Kondrot, sagte der Doktor, sie liegt nicht im Teiche,
sie ist geflohen und hält sich irgendwo verborgen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296764/443>, abgerufen am 07.05.2024.