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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.

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er eine strategische Position gegen jeden Feind Rußlands werden. Denn wenn
der Zar hier eine Flotte hat, kann -- außer vielleicht Deutschland auf Grund
des Nordostseekanals -- kein Feind achtlos vorübergehn. Jeder ist genötigt,
ein Beobachtungs- oder Blockadegeschwader zurückzulassen, und dadurch hielte
sich Nußland wahrscheinlich seine Ostseehäfen offen. Nußland, das muß man
anerkennen, hat keinen Schritt zur Erlangung eines südskandinavischen Hafens
getan und ist auch auf absehbare Zeit nicht in der Lage dazu. In Güte
würde es ihn auch nicht in seinen Besitz bringen. Ob gewaltsam, das ist
auch das Ergebnis einer vorläufig ganz unübersehbaren Reihe von Kompli¬
kationen. Hier kann nur gesagt werden, daß sich als Punkte von Wert für
die russische Flotte vor allem zwei eignen würden: Gotenburg gleich nördlich
vom Sunde und Christiansund an der Südspitze Norwegens. Jenes liegt der
Ostsee am nächsten und ist durch viele, leicht zu befestigende Felseninseln ge¬
schützt. Dieses ist defensiv nicht so stark, hat aber den Vorteil einer weit in
die Nordsee vorgeschobnen Lage.

Die ganze Sache wäre wohl jenseits des Horizonts der -Tagespolitik ver¬
blieben, wenn sie nicht durch den abstoßenden Streit der beiden skandinavischen
Brudervölker aufgerüttelt wäre. Möge dieser bald geschlichtet werden, und
damit auch die Hafenfrage wieder in das Reich der Unsichtbarkeit hinab-
tauchen! ___




Der britische Staatshaushalt
von Hugo Bartels (Fortsetzung)

i as hat nun England mit seinen Schwesterköingreichen Schottland
und Irland erhalten dafür, daß es sich auf viele Geschlechter
hinaus den Mühlstein einer so ungeheuern Schuld um den Hals
gehängt hat? Unmittelbar nichts. Weder Eisenbahnen noch sonst
gewinnabwerfende Unternehmungen sind dafür in den Besitz des
Staates gelangt. Fast die ganze Schuld ist durch Kriege entstanden, und
die Schuldsumme umfaßt bei weitem nicht alle Kriegsauslagen. Die gesamten
Kosten der Kriege von 1688 bis heute, nach Abzug der Rüstung, die auch
bei Fortdauer des Friedens unterhalten worden wäre, also allein die durch
den Kriegszustand verursachten Mehrausgaben belaufen sich in runder Summe
auf 1500 Millionen Pfund, wobei die Kriege in Indien nicht gerechnet sind,
weil deren Kosten nicht England, sondern Indien zur Last fallen. Als reiner
Verlust sind die 97 Millionen für den amerikanischen Krieg zu betrachten,
und nicht viel besser steht es mit den 69 Millionen für den Krimkrieg, der
wohl Rußland geschadet, aber England wenig genützt hat. Aber die übrigen
1333 Millionen waren nicht weggeworfen, obgleich bei besserer Wirtschaft eine
geringere Summe genügt hätte. Sie waren der Preis, um den England die
Seeherrschaft und sein Weltreich erworben hat. Für el" Reich, das mehr


er eine strategische Position gegen jeden Feind Rußlands werden. Denn wenn
der Zar hier eine Flotte hat, kann — außer vielleicht Deutschland auf Grund
des Nordostseekanals — kein Feind achtlos vorübergehn. Jeder ist genötigt,
ein Beobachtungs- oder Blockadegeschwader zurückzulassen, und dadurch hielte
sich Nußland wahrscheinlich seine Ostseehäfen offen. Nußland, das muß man
anerkennen, hat keinen Schritt zur Erlangung eines südskandinavischen Hafens
getan und ist auch auf absehbare Zeit nicht in der Lage dazu. In Güte
würde es ihn auch nicht in seinen Besitz bringen. Ob gewaltsam, das ist
auch das Ergebnis einer vorläufig ganz unübersehbaren Reihe von Kompli¬
kationen. Hier kann nur gesagt werden, daß sich als Punkte von Wert für
die russische Flotte vor allem zwei eignen würden: Gotenburg gleich nördlich
vom Sunde und Christiansund an der Südspitze Norwegens. Jenes liegt der
Ostsee am nächsten und ist durch viele, leicht zu befestigende Felseninseln ge¬
schützt. Dieses ist defensiv nicht so stark, hat aber den Vorteil einer weit in
die Nordsee vorgeschobnen Lage.

Die ganze Sache wäre wohl jenseits des Horizonts der -Tagespolitik ver¬
blieben, wenn sie nicht durch den abstoßenden Streit der beiden skandinavischen
Brudervölker aufgerüttelt wäre. Möge dieser bald geschlichtet werden, und
damit auch die Hafenfrage wieder in das Reich der Unsichtbarkeit hinab-
tauchen! ___




Der britische Staatshaushalt
von Hugo Bartels (Fortsetzung)

i as hat nun England mit seinen Schwesterköingreichen Schottland
und Irland erhalten dafür, daß es sich auf viele Geschlechter
hinaus den Mühlstein einer so ungeheuern Schuld um den Hals
gehängt hat? Unmittelbar nichts. Weder Eisenbahnen noch sonst
gewinnabwerfende Unternehmungen sind dafür in den Besitz des
Staates gelangt. Fast die ganze Schuld ist durch Kriege entstanden, und
die Schuldsumme umfaßt bei weitem nicht alle Kriegsauslagen. Die gesamten
Kosten der Kriege von 1688 bis heute, nach Abzug der Rüstung, die auch
bei Fortdauer des Friedens unterhalten worden wäre, also allein die durch
den Kriegszustand verursachten Mehrausgaben belaufen sich in runder Summe
auf 1500 Millionen Pfund, wobei die Kriege in Indien nicht gerechnet sind,
weil deren Kosten nicht England, sondern Indien zur Last fallen. Als reiner
Verlust sind die 97 Millionen für den amerikanischen Krieg zu betrachten,
und nicht viel besser steht es mit den 69 Millionen für den Krimkrieg, der
wohl Rußland geschadet, aber England wenig genützt hat. Aber die übrigen
1333 Millionen waren nicht weggeworfen, obgleich bei besserer Wirtschaft eine
geringere Summe genügt hätte. Sie waren der Preis, um den England die
Seeherrschaft und sein Weltreich erworben hat. Für el» Reich, das mehr


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296764/532>, abgerufen am 07.05.2024.