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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.

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Unter Kunden, Komödianten und milden Tieren

zu, um die Gerechten und namentlich die Kinder aus dieser bösen Welt zu er¬
retten. Der Tod durch die Pest "ist ja tausendmal besser, denn daß sie der
Tiirk wegführet, oder daß sie Mieder in Klöster gesteckt oder sonst durch falsche
Lehre oder bös Exempel von Christus geschieden werden." Gott läßt die
Seuchen nur zu, ihr Urheber ist der Teufel, dessen Gifthauch die Stelle unsrer
heutigen Bazillen einnimmt. Darin stimmt Mathesius mit deu gemäßigten unter
den Bakteriologen überein, daß man die naus-re ssounäu" nicht übersehen und
geringschätzen dürfe, da Diätfehler und Unsauberkeit den Leib für die Aufnahme
des Giftstoffs empfänglicher machten. Er mahnt darum, die Schutzmittel zu
gebrauchen, die von den Ärzten empfohlen würden, wie Räucherungen und deu
Genuß von Einhorn sPulver ans dem Stoßzahne des Narwals. Mithridat,
Latwergen, Wacholder, Raute, Feigen, Nüssen, frischer Butter, Pimpinelle, und
sich den Reinlichkeitsvvrschriften der Obrigkeit zu fügen, die damals noch weit
notwendiger waren als heutzutage, wie man auch wieder aus einige" An¬
deutungen unsers Predigers erfährt. Die ihre Pflicht bindet, sollen sich vor
der Ansteckung nicht fürchten, die übrigen sich ihr nicht leichtsinnig aussetzen.

(Schluß folgt)




Unter Kunden, Komödianten und wilden Tieren
Robert Thomas Lebenserinnerungen von
(Fortsetzung)
Auf der Walze

> is Geselle erhielt ich wöchentlich fünf Mark. Diese Ausgabe glaubte
mein Meister jedoch sparen zu können, da der nach mir folgende
Lehrling meine Arbeiten schon verrichten konnte. Auch hatte ich selbst
I schon das Bedürfnis gefühlt, mich in einem andern Betriebe ümm-
> sehen, und so lösten wir denn im März 1879 unser Verhältnis.
I Meine Bemühungen, in der Umgegend eine Stelle zu finden, waren
erfolglos geblieben. Ich mußte mich also entschließen, in die Fremde zu gehn.
Ich besorgte mir bei der Polizei ein Arbeitsbuch, ließ niir von meinem Meister
ein Zeugnis schreiben und glaubte, daß mir mit diesen Papieren die Welt offen
stünde. Mein Vater, der auch gewandert war, hatte mir einen Meter Wnchslein-
wnud gekauft und zeigte mir, wie man nach altem Handwerkerbrauch kunstgerecht
den "Berliner" schnürt. So packte ich denn an einem kalten Märztage bei hohem
Schnee mein Bündel, zog meine alten Sachen an, steckte die zwei Taler ein, die
mir mein Vater als Notpfennig gegeben hatte, wobei er sagte- "Damit kannst du
weit kommen!" und wanderte frühmorgens um sechs Uhr aus deu Toren Lengen¬
felds. Mein Vorsatz war, nach Ncichenbnch zu gehn. Ich wollte zunächst nach
Leisnig über Waldheim, um meinen Onkel, der dort Gastwirt war, zu besuchen,
hatte aber die Bedenken meiner Mutter zu bekämpfen, die von Waldheim keine
gute Meinung hegte und in dem Passieren dieses Ortes keine gute Vorbedeutung
für meine Wanderschaft sah.

In Reichenbach besuchte ich die Meister und fragte nach Arbeit, erhielt aber
nur ein paar Brötchen oder einige Pfennige. Als ich Reichenbach verlassen hatte


Unter Kunden, Komödianten und milden Tieren

zu, um die Gerechten und namentlich die Kinder aus dieser bösen Welt zu er¬
retten. Der Tod durch die Pest „ist ja tausendmal besser, denn daß sie der
Tiirk wegführet, oder daß sie Mieder in Klöster gesteckt oder sonst durch falsche
Lehre oder bös Exempel von Christus geschieden werden." Gott läßt die
Seuchen nur zu, ihr Urheber ist der Teufel, dessen Gifthauch die Stelle unsrer
heutigen Bazillen einnimmt. Darin stimmt Mathesius mit deu gemäßigten unter
den Bakteriologen überein, daß man die naus-re ssounäu« nicht übersehen und
geringschätzen dürfe, da Diätfehler und Unsauberkeit den Leib für die Aufnahme
des Giftstoffs empfänglicher machten. Er mahnt darum, die Schutzmittel zu
gebrauchen, die von den Ärzten empfohlen würden, wie Räucherungen und deu
Genuß von Einhorn sPulver ans dem Stoßzahne des Narwals. Mithridat,
Latwergen, Wacholder, Raute, Feigen, Nüssen, frischer Butter, Pimpinelle, und
sich den Reinlichkeitsvvrschriften der Obrigkeit zu fügen, die damals noch weit
notwendiger waren als heutzutage, wie man auch wieder aus einige» An¬
deutungen unsers Predigers erfährt. Die ihre Pflicht bindet, sollen sich vor
der Ansteckung nicht fürchten, die übrigen sich ihr nicht leichtsinnig aussetzen.

(Schluß folgt)




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Robert Thomas Lebenserinnerungen von
(Fortsetzung)
Auf der Walze

> is Geselle erhielt ich wöchentlich fünf Mark. Diese Ausgabe glaubte
mein Meister jedoch sparen zu können, da der nach mir folgende
Lehrling meine Arbeiten schon verrichten konnte. Auch hatte ich selbst
I schon das Bedürfnis gefühlt, mich in einem andern Betriebe ümm-
> sehen, und so lösten wir denn im März 1879 unser Verhältnis.
I Meine Bemühungen, in der Umgegend eine Stelle zu finden, waren
erfolglos geblieben. Ich mußte mich also entschließen, in die Fremde zu gehn.
Ich besorgte mir bei der Polizei ein Arbeitsbuch, ließ niir von meinem Meister
ein Zeugnis schreiben und glaubte, daß mir mit diesen Papieren die Welt offen
stünde. Mein Vater, der auch gewandert war, hatte mir einen Meter Wnchslein-
wnud gekauft und zeigte mir, wie man nach altem Handwerkerbrauch kunstgerecht
den „Berliner" schnürt. So packte ich denn an einem kalten Märztage bei hohem
Schnee mein Bündel, zog meine alten Sachen an, steckte die zwei Taler ein, die
mir mein Vater als Notpfennig gegeben hatte, wobei er sagte- „Damit kannst du
weit kommen!" und wanderte frühmorgens um sechs Uhr aus deu Toren Lengen¬
felds. Mein Vorsatz war, nach Ncichenbnch zu gehn. Ich wollte zunächst nach
Leisnig über Waldheim, um meinen Onkel, der dort Gastwirt war, zu besuchen,
hatte aber die Bedenken meiner Mutter zu bekämpfen, die von Waldheim keine
gute Meinung hegte und in dem Passieren dieses Ortes keine gute Vorbedeutung
für meine Wanderschaft sah.

In Reichenbach besuchte ich die Meister und fragte nach Arbeit, erhielt aber
nur ein paar Brötchen oder einige Pfennige. Als ich Reichenbach verlassen hatte


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[0551] Unter Kunden, Komödianten und milden Tieren zu, um die Gerechten und namentlich die Kinder aus dieser bösen Welt zu er¬ retten. Der Tod durch die Pest „ist ja tausendmal besser, denn daß sie der Tiirk wegführet, oder daß sie Mieder in Klöster gesteckt oder sonst durch falsche Lehre oder bös Exempel von Christus geschieden werden." Gott läßt die Seuchen nur zu, ihr Urheber ist der Teufel, dessen Gifthauch die Stelle unsrer heutigen Bazillen einnimmt. Darin stimmt Mathesius mit deu gemäßigten unter den Bakteriologen überein, daß man die naus-re ssounäu« nicht übersehen und geringschätzen dürfe, da Diätfehler und Unsauberkeit den Leib für die Aufnahme des Giftstoffs empfänglicher machten. Er mahnt darum, die Schutzmittel zu gebrauchen, die von den Ärzten empfohlen würden, wie Räucherungen und deu Genuß von Einhorn sPulver ans dem Stoßzahne des Narwals. Mithridat, Latwergen, Wacholder, Raute, Feigen, Nüssen, frischer Butter, Pimpinelle, und sich den Reinlichkeitsvvrschriften der Obrigkeit zu fügen, die damals noch weit notwendiger waren als heutzutage, wie man auch wieder aus einige» An¬ deutungen unsers Predigers erfährt. Die ihre Pflicht bindet, sollen sich vor der Ansteckung nicht fürchten, die übrigen sich ihr nicht leichtsinnig aussetzen. (Schluß folgt) Unter Kunden, Komödianten und wilden Tieren Robert Thomas Lebenserinnerungen von (Fortsetzung) Auf der Walze > is Geselle erhielt ich wöchentlich fünf Mark. Diese Ausgabe glaubte mein Meister jedoch sparen zu können, da der nach mir folgende Lehrling meine Arbeiten schon verrichten konnte. Auch hatte ich selbst I schon das Bedürfnis gefühlt, mich in einem andern Betriebe ümm- > sehen, und so lösten wir denn im März 1879 unser Verhältnis. I Meine Bemühungen, in der Umgegend eine Stelle zu finden, waren erfolglos geblieben. Ich mußte mich also entschließen, in die Fremde zu gehn. Ich besorgte mir bei der Polizei ein Arbeitsbuch, ließ niir von meinem Meister ein Zeugnis schreiben und glaubte, daß mir mit diesen Papieren die Welt offen stünde. Mein Vater, der auch gewandert war, hatte mir einen Meter Wnchslein- wnud gekauft und zeigte mir, wie man nach altem Handwerkerbrauch kunstgerecht den „Berliner" schnürt. So packte ich denn an einem kalten Märztage bei hohem Schnee mein Bündel, zog meine alten Sachen an, steckte die zwei Taler ein, die mir mein Vater als Notpfennig gegeben hatte, wobei er sagte- „Damit kannst du weit kommen!" und wanderte frühmorgens um sechs Uhr aus deu Toren Lengen¬ felds. Mein Vorsatz war, nach Ncichenbnch zu gehn. Ich wollte zunächst nach Leisnig über Waldheim, um meinen Onkel, der dort Gastwirt war, zu besuchen, hatte aber die Bedenken meiner Mutter zu bekämpfen, die von Waldheim keine gute Meinung hegte und in dem Passieren dieses Ortes keine gute Vorbedeutung für meine Wanderschaft sah. In Reichenbach besuchte ich die Meister und fragte nach Arbeit, erhielt aber nur ein paar Brötchen oder einige Pfennige. Als ich Reichenbach verlassen hatte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296764/551>, abgerufen am 07.05.2024.