Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Unter Aunden, Komödianten und wilden Tieren

Bäcker. In Lengenfeld wurde damals gerade das Rathaus gebant. Um meine
Zeit auszunutzen, arbeitete ich bei dem Bau als Handlanger bis Anfang Juli und
machte hübsche Ersparnisse. Dann aber trieb es mich wieder in die Ferne, und
ich beschloß, wieder auf die Wanderschaft zu gehn. Da ich uicht noch einmal als
Kunde aus Leugeufelds Toren wandern wollte, ließ ich mich von meinem Bruder
aus der Stadt bringen und hängte erst draußen auf der Landstraße deu Berliner
wieder um, den mein Bruder in einem Korbe wohlverborgen getragen hatte. Ich
wanderte nach Zwickau und kehrte dort in der Herberge ein. Es war dies eine
christliche Herberge, die sich wie alle dieser Art in ihrem ganzen Charakter von
den sogenannten "wilden" Herbergen unterscheiden. "Sornff" (Schnaps) wird hier
nicht verabreicht, auch ist alles Lärmen, Kartenspielen usw. Verbote", dafür bietet
die Fremdeustnbe Gelegenheit zur Lektüre von Zeitschriften und zum Damenspiel.
Abends zwischen nenn und zehn Uhr findet eine Andacht statt, bei der der Herbergs¬
vater Harmonium spielt, Abschnitte aus der Bibel vorliest und ein Gebet spricht,
woran die anwesende" Kunden alle teilnehmen. Nach dieser Andacht geht man
zu Bett.


Zum erstenmal unter fahrendein Volk

Zwickati ist unter den Kunden als sehr "heiß" bekannt, d. h. die Polizei sieht
ihnen scharf auf die Finger, und deshalb sah ich mich genötigt, weil ich länger
als einen Tag dort zu bleiben gedachte, am nächsten Morgen auf die "Pollende"
(Polizeibureau) zu gehn und mir die Erlaubnis, uoch einen Tag dort bleiben zu
dürfen, zu erbitten. Ich fand in Zwickau keine Arbeit, hörte aber, daß auf einer
Wiese vor der Stadt das Vogelschießen abgehalten würde, und ging mit mehreren
Kollegen hinaus, um mir die Festwiese anzusehen und zu versuchen, ob ich dort
Beschäftigung finden könnte. Ans der Wiese standen zwei große Dvppelkarussells,
bei deren einem ich denn auch Arbeit fand. Ich mußte bei einem Tagelohn von
75 Pfennigen das Karussell schieben, brauchte aber erst Nachmittags um drei Uhr
da zu sei", wo das Geschäft begann und bis Abends zwölf Uhr dauerte. Kost
bekam ich nicht, hatte aber im Karussell freie Schlafgelegenheit, die nicht gerade sehr
bequem war.

Auf dem Festplatz war auch eine russische Schaukel, die damals gerade an
einen neuen Besitzer, Mnrtiu Heinemauu, überging. Dieser war früher Bänkel¬
sänger gewesen und hatte sich im Laufe der Zeit so weit emporgearbeitet, daß er
die russische Schaukel übernehmen konnte. Da mich das Karusselldrehn auf die
Dauer uicht zu reizen vermochte, so ging ich zu der Schaukel über und wurde
gewissermaßen von dem neuen Besitzer mit übernommen. Auf der Wiese sah ich
zum erstenmal eine Menagerie, die Fischersche. Ich stellte mich Vormittags während
meiner freien Zeit vor die recht einladend aussehende Front und hörte zu, wie die
Frau des Besitzers die "Rekommandation machte," d. h. das vor der Bude ver¬
sammelte Publikum mit einer schwungvollen, vielverheißenden Rede zur Besichtigung
einlud. Ich konnte dieser Lockung nicht widerstehn und entschloß mich, einer Vor¬
stellung beizuwohnen. An der Kasse gab ich mich als Reisenden zu erkennen und
durfte infolgedessen "für naß" (umsonst) auf den dritten Platz. Der Tierbändiger
'"achte zuerst die "Explikation" an den Käfigen, produzierte sich daun in einer
Dressnrnummer mit einem Bären und einem Panther und beschloß die Vorstellung
mit der Explikation der Riesenschlange und des Krokodils, wobei, wie üblich,
"Mansch gemacht" (Trinkgeld eingesammelt) wurde. Ich werde später Gelegenheit
haben, den Betrieb der Menagerie zu schildern und die in diesem Gewerbe ge¬
bräuchlichen Kunstnusdrücke zu erläutern. Jedenfalls gewann ich schon damals bei
dem ersten Besuch eines solchen Etablissements dem Menagerieleben Geschmack ab.

Die Arbeit bei der russischen Schaukel war uicht weniger mühevoll als die
bei dem Karussell, dafür war aber der Lohn höher, und ich erhielt gute Kost.
Mein Nachtquartier fand ich in einem Privatlogis auf Stroh. Der Besitzer der
Schaukel kassierte das Fahrgeld ein und sorgte für die richtige Verteilung des


Grenzboten II 1905 70
Unter Aunden, Komödianten und wilden Tieren

Bäcker. In Lengenfeld wurde damals gerade das Rathaus gebant. Um meine
Zeit auszunutzen, arbeitete ich bei dem Bau als Handlanger bis Anfang Juli und
machte hübsche Ersparnisse. Dann aber trieb es mich wieder in die Ferne, und
ich beschloß, wieder auf die Wanderschaft zu gehn. Da ich uicht noch einmal als
Kunde aus Leugeufelds Toren wandern wollte, ließ ich mich von meinem Bruder
aus der Stadt bringen und hängte erst draußen auf der Landstraße deu Berliner
wieder um, den mein Bruder in einem Korbe wohlverborgen getragen hatte. Ich
wanderte nach Zwickau und kehrte dort in der Herberge ein. Es war dies eine
christliche Herberge, die sich wie alle dieser Art in ihrem ganzen Charakter von
den sogenannten „wilden" Herbergen unterscheiden. „Sornff" (Schnaps) wird hier
nicht verabreicht, auch ist alles Lärmen, Kartenspielen usw. Verbote», dafür bietet
die Fremdeustnbe Gelegenheit zur Lektüre von Zeitschriften und zum Damenspiel.
Abends zwischen nenn und zehn Uhr findet eine Andacht statt, bei der der Herbergs¬
vater Harmonium spielt, Abschnitte aus der Bibel vorliest und ein Gebet spricht,
woran die anwesende» Kunden alle teilnehmen. Nach dieser Andacht geht man
zu Bett.


Zum erstenmal unter fahrendein Volk

Zwickati ist unter den Kunden als sehr „heiß" bekannt, d. h. die Polizei sieht
ihnen scharf auf die Finger, und deshalb sah ich mich genötigt, weil ich länger
als einen Tag dort zu bleiben gedachte, am nächsten Morgen auf die „Pollende"
(Polizeibureau) zu gehn und mir die Erlaubnis, uoch einen Tag dort bleiben zu
dürfen, zu erbitten. Ich fand in Zwickau keine Arbeit, hörte aber, daß auf einer
Wiese vor der Stadt das Vogelschießen abgehalten würde, und ging mit mehreren
Kollegen hinaus, um mir die Festwiese anzusehen und zu versuchen, ob ich dort
Beschäftigung finden könnte. Ans der Wiese standen zwei große Dvppelkarussells,
bei deren einem ich denn auch Arbeit fand. Ich mußte bei einem Tagelohn von
75 Pfennigen das Karussell schieben, brauchte aber erst Nachmittags um drei Uhr
da zu sei», wo das Geschäft begann und bis Abends zwölf Uhr dauerte. Kost
bekam ich nicht, hatte aber im Karussell freie Schlafgelegenheit, die nicht gerade sehr
bequem war.

Auf dem Festplatz war auch eine russische Schaukel, die damals gerade an
einen neuen Besitzer, Mnrtiu Heinemauu, überging. Dieser war früher Bänkel¬
sänger gewesen und hatte sich im Laufe der Zeit so weit emporgearbeitet, daß er
die russische Schaukel übernehmen konnte. Da mich das Karusselldrehn auf die
Dauer uicht zu reizen vermochte, so ging ich zu der Schaukel über und wurde
gewissermaßen von dem neuen Besitzer mit übernommen. Auf der Wiese sah ich
zum erstenmal eine Menagerie, die Fischersche. Ich stellte mich Vormittags während
meiner freien Zeit vor die recht einladend aussehende Front und hörte zu, wie die
Frau des Besitzers die „Rekommandation machte," d. h. das vor der Bude ver¬
sammelte Publikum mit einer schwungvollen, vielverheißenden Rede zur Besichtigung
einlud. Ich konnte dieser Lockung nicht widerstehn und entschloß mich, einer Vor¬
stellung beizuwohnen. An der Kasse gab ich mich als Reisenden zu erkennen und
durfte infolgedessen „für naß" (umsonst) auf den dritten Platz. Der Tierbändiger
'»achte zuerst die „Explikation" an den Käfigen, produzierte sich daun in einer
Dressnrnummer mit einem Bären und einem Panther und beschloß die Vorstellung
mit der Explikation der Riesenschlange und des Krokodils, wobei, wie üblich,
"Mansch gemacht" (Trinkgeld eingesammelt) wurde. Ich werde später Gelegenheit
haben, den Betrieb der Menagerie zu schildern und die in diesem Gewerbe ge¬
bräuchlichen Kunstnusdrücke zu erläutern. Jedenfalls gewann ich schon damals bei
dem ersten Besuch eines solchen Etablissements dem Menagerieleben Geschmack ab.

Die Arbeit bei der russischen Schaukel war uicht weniger mühevoll als die
bei dem Karussell, dafür war aber der Lohn höher, und ich erhielt gute Kost.
Mein Nachtquartier fand ich in einem Privatlogis auf Stroh. Der Besitzer der
Schaukel kassierte das Fahrgeld ein und sorgte für die richtige Verteilung des


Grenzboten II 1905 70
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0557" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/296936"/>
            <fw type="header" place="top"> Unter Aunden, Komödianten und wilden Tieren</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_2542" prev="#ID_2541"> Bäcker. In Lengenfeld wurde damals gerade das Rathaus gebant. Um meine<lb/>
Zeit auszunutzen, arbeitete ich bei dem Bau als Handlanger bis Anfang Juli und<lb/>
machte hübsche Ersparnisse. Dann aber trieb es mich wieder in die Ferne, und<lb/>
ich beschloß, wieder auf die Wanderschaft zu gehn. Da ich uicht noch einmal als<lb/>
Kunde aus Leugeufelds Toren wandern wollte, ließ ich mich von meinem Bruder<lb/>
aus der Stadt bringen und hängte erst draußen auf der Landstraße deu Berliner<lb/>
wieder um, den mein Bruder in einem Korbe wohlverborgen getragen hatte. Ich<lb/>
wanderte nach Zwickau und kehrte dort in der Herberge ein. Es war dies eine<lb/>
christliche Herberge, die sich wie alle dieser Art in ihrem ganzen Charakter von<lb/>
den sogenannten &#x201E;wilden" Herbergen unterscheiden. &#x201E;Sornff" (Schnaps) wird hier<lb/>
nicht verabreicht, auch ist alles Lärmen, Kartenspielen usw. Verbote», dafür bietet<lb/>
die Fremdeustnbe Gelegenheit zur Lektüre von Zeitschriften und zum Damenspiel.<lb/>
Abends zwischen nenn und zehn Uhr findet eine Andacht statt, bei der der Herbergs¬<lb/>
vater Harmonium spielt, Abschnitte aus der Bibel vorliest und ein Gebet spricht,<lb/>
woran die anwesende» Kunden alle teilnehmen. Nach dieser Andacht geht man<lb/>
zu Bett.</p><lb/>
          </div>
          <div n="2">
            <head> Zum erstenmal unter fahrendein Volk</head><lb/>
            <p xml:id="ID_2543"> Zwickati ist unter den Kunden als sehr &#x201E;heiß" bekannt, d. h. die Polizei sieht<lb/>
ihnen scharf auf die Finger, und deshalb sah ich mich genötigt, weil ich länger<lb/>
als einen Tag dort zu bleiben gedachte, am nächsten Morgen auf die &#x201E;Pollende"<lb/>
(Polizeibureau) zu gehn und mir die Erlaubnis, uoch einen Tag dort bleiben zu<lb/>
dürfen, zu erbitten. Ich fand in Zwickau keine Arbeit, hörte aber, daß auf einer<lb/>
Wiese vor der Stadt das Vogelschießen abgehalten würde, und ging mit mehreren<lb/>
Kollegen hinaus, um mir die Festwiese anzusehen und zu versuchen, ob ich dort<lb/>
Beschäftigung finden könnte. Ans der Wiese standen zwei große Dvppelkarussells,<lb/>
bei deren einem ich denn auch Arbeit fand. Ich mußte bei einem Tagelohn von<lb/>
75 Pfennigen das Karussell schieben, brauchte aber erst Nachmittags um drei Uhr<lb/>
da zu sei», wo das Geschäft begann und bis Abends zwölf Uhr dauerte. Kost<lb/>
bekam ich nicht, hatte aber im Karussell freie Schlafgelegenheit, die nicht gerade sehr<lb/>
bequem war.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2544"> Auf dem Festplatz war auch eine russische Schaukel, die damals gerade an<lb/>
einen neuen Besitzer, Mnrtiu Heinemauu, überging. Dieser war früher Bänkel¬<lb/>
sänger gewesen und hatte sich im Laufe der Zeit so weit emporgearbeitet, daß er<lb/>
die russische Schaukel übernehmen konnte. Da mich das Karusselldrehn auf die<lb/>
Dauer uicht zu reizen vermochte, so ging ich zu der Schaukel über und wurde<lb/>
gewissermaßen von dem neuen Besitzer mit übernommen. Auf der Wiese sah ich<lb/>
zum erstenmal eine Menagerie, die Fischersche. Ich stellte mich Vormittags während<lb/>
meiner freien Zeit vor die recht einladend aussehende Front und hörte zu, wie die<lb/>
Frau des Besitzers die &#x201E;Rekommandation machte," d. h. das vor der Bude ver¬<lb/>
sammelte Publikum mit einer schwungvollen, vielverheißenden Rede zur Besichtigung<lb/>
einlud. Ich konnte dieser Lockung nicht widerstehn und entschloß mich, einer Vor¬<lb/>
stellung beizuwohnen. An der Kasse gab ich mich als Reisenden zu erkennen und<lb/>
durfte infolgedessen &#x201E;für naß" (umsonst) auf den dritten Platz. Der Tierbändiger<lb/>
'»achte zuerst die &#x201E;Explikation" an den Käfigen, produzierte sich daun in einer<lb/>
Dressnrnummer mit einem Bären und einem Panther und beschloß die Vorstellung<lb/>
mit der Explikation der Riesenschlange und des Krokodils, wobei, wie üblich,<lb/>
"Mansch gemacht" (Trinkgeld eingesammelt) wurde. Ich werde später Gelegenheit<lb/>
haben, den Betrieb der Menagerie zu schildern und die in diesem Gewerbe ge¬<lb/>
bräuchlichen Kunstnusdrücke zu erläutern. Jedenfalls gewann ich schon damals bei<lb/>
dem ersten Besuch eines solchen Etablissements dem Menagerieleben Geschmack ab.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2545" next="#ID_2546"> Die Arbeit bei der russischen Schaukel war uicht weniger mühevoll als die<lb/>
bei dem Karussell, dafür war aber der Lohn höher, und ich erhielt gute Kost.<lb/>
Mein Nachtquartier fand ich in einem Privatlogis auf Stroh.  Der Besitzer der<lb/>
Schaukel kassierte das Fahrgeld ein und sorgte für die richtige Verteilung des</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II 1905 70</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0557] Unter Aunden, Komödianten und wilden Tieren Bäcker. In Lengenfeld wurde damals gerade das Rathaus gebant. Um meine Zeit auszunutzen, arbeitete ich bei dem Bau als Handlanger bis Anfang Juli und machte hübsche Ersparnisse. Dann aber trieb es mich wieder in die Ferne, und ich beschloß, wieder auf die Wanderschaft zu gehn. Da ich uicht noch einmal als Kunde aus Leugeufelds Toren wandern wollte, ließ ich mich von meinem Bruder aus der Stadt bringen und hängte erst draußen auf der Landstraße deu Berliner wieder um, den mein Bruder in einem Korbe wohlverborgen getragen hatte. Ich wanderte nach Zwickau und kehrte dort in der Herberge ein. Es war dies eine christliche Herberge, die sich wie alle dieser Art in ihrem ganzen Charakter von den sogenannten „wilden" Herbergen unterscheiden. „Sornff" (Schnaps) wird hier nicht verabreicht, auch ist alles Lärmen, Kartenspielen usw. Verbote», dafür bietet die Fremdeustnbe Gelegenheit zur Lektüre von Zeitschriften und zum Damenspiel. Abends zwischen nenn und zehn Uhr findet eine Andacht statt, bei der der Herbergs¬ vater Harmonium spielt, Abschnitte aus der Bibel vorliest und ein Gebet spricht, woran die anwesende» Kunden alle teilnehmen. Nach dieser Andacht geht man zu Bett. Zum erstenmal unter fahrendein Volk Zwickati ist unter den Kunden als sehr „heiß" bekannt, d. h. die Polizei sieht ihnen scharf auf die Finger, und deshalb sah ich mich genötigt, weil ich länger als einen Tag dort zu bleiben gedachte, am nächsten Morgen auf die „Pollende" (Polizeibureau) zu gehn und mir die Erlaubnis, uoch einen Tag dort bleiben zu dürfen, zu erbitten. Ich fand in Zwickau keine Arbeit, hörte aber, daß auf einer Wiese vor der Stadt das Vogelschießen abgehalten würde, und ging mit mehreren Kollegen hinaus, um mir die Festwiese anzusehen und zu versuchen, ob ich dort Beschäftigung finden könnte. Ans der Wiese standen zwei große Dvppelkarussells, bei deren einem ich denn auch Arbeit fand. Ich mußte bei einem Tagelohn von 75 Pfennigen das Karussell schieben, brauchte aber erst Nachmittags um drei Uhr da zu sei», wo das Geschäft begann und bis Abends zwölf Uhr dauerte. Kost bekam ich nicht, hatte aber im Karussell freie Schlafgelegenheit, die nicht gerade sehr bequem war. Auf dem Festplatz war auch eine russische Schaukel, die damals gerade an einen neuen Besitzer, Mnrtiu Heinemauu, überging. Dieser war früher Bänkel¬ sänger gewesen und hatte sich im Laufe der Zeit so weit emporgearbeitet, daß er die russische Schaukel übernehmen konnte. Da mich das Karusselldrehn auf die Dauer uicht zu reizen vermochte, so ging ich zu der Schaukel über und wurde gewissermaßen von dem neuen Besitzer mit übernommen. Auf der Wiese sah ich zum erstenmal eine Menagerie, die Fischersche. Ich stellte mich Vormittags während meiner freien Zeit vor die recht einladend aussehende Front und hörte zu, wie die Frau des Besitzers die „Rekommandation machte," d. h. das vor der Bude ver¬ sammelte Publikum mit einer schwungvollen, vielverheißenden Rede zur Besichtigung einlud. Ich konnte dieser Lockung nicht widerstehn und entschloß mich, einer Vor¬ stellung beizuwohnen. An der Kasse gab ich mich als Reisenden zu erkennen und durfte infolgedessen „für naß" (umsonst) auf den dritten Platz. Der Tierbändiger '»achte zuerst die „Explikation" an den Käfigen, produzierte sich daun in einer Dressnrnummer mit einem Bären und einem Panther und beschloß die Vorstellung mit der Explikation der Riesenschlange und des Krokodils, wobei, wie üblich, "Mansch gemacht" (Trinkgeld eingesammelt) wurde. Ich werde später Gelegenheit haben, den Betrieb der Menagerie zu schildern und die in diesem Gewerbe ge¬ bräuchlichen Kunstnusdrücke zu erläutern. Jedenfalls gewann ich schon damals bei dem ersten Besuch eines solchen Etablissements dem Menagerieleben Geschmack ab. Die Arbeit bei der russischen Schaukel war uicht weniger mühevoll als die bei dem Karussell, dafür war aber der Lohn höher, und ich erhielt gute Kost. Mein Nachtquartier fand ich in einem Privatlogis auf Stroh. Der Besitzer der Schaukel kassierte das Fahrgeld ein und sorgte für die richtige Verteilung des Grenzboten II 1905 70

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296764
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296764/557
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296764/557>, abgerufen am 07.05.2024.