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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Die Katastrophe von Tsuschima.

Am 27. und 28. Mai ist die lang
erwartete Entscheidung zur See in der Koreastraße gefallen; die beiden russischen
Geschwader, die mit so großer Anstrengung ausgerüstet und mit so viel Umsicht
und Energie von ihren Admiralen Roschdjestwenskij und Njebogatow um die halbe
Erde herum allen Schwierigkeiten zum Trotz bis nach Ostasien geführt worden
waren, sind bei dem Versuche, nach Wladiwostok durchzubrechen, der überlegnen
Schnelligkeit, Artilleriestärke und Taktik der Japaner erlegen, ja bis zur Vernichtung
geschlagen worden; von den Linienschiffen ist keins entkommen, von den Kreuzern
nur der eine oder der andre. Es gibt keine russische Seemacht mehr im Großen
Ozean, es gibt überhaupt kaum noch eine russische Kriegsflotte. Es ist ein Sieg
von weltgeschichtlicher Bedeutung, die größte Seeschlacht seit der von Trafalgar am
21. Oktober 1805, und der siegreiche japanische Admiral Togo gehört in eine Reihe
mit Seehelden wie Nelson und Tegetthoff. Aber die Tragweite von Tsuschima ist
weit größer als die von Trafalgar. Diese Schlacht an der spanischen Küste stellte
allerdings die englische Vorherrschaft zur See überhaupt fest, doch auf den Gang
und den Erfolg des gleichzeitigen Landkrieges übte sie kaum einen Einfluß; der
Seesieg in der Koreastraße begründet die Herrschaft Japans mir in deu ostasiatischen
Gewässern, doch er entscheidet auch deu Landkrieg. Jede Aussicht auf die Über¬
wältigung Japans ist für die Russen jetzt verschwunden; das höchste, was sie noch
erreichen können, ist ein Landsieg, der ihre Waffenehre wiederherstellt und ihnen
einen ehrenvollen Frieden ermöglicht, aber auch für einen solchen Sieg haben sie
nach den bisherigen Erfahrungen und unter der Depression, unter der nach so vielen
Niederlagen und so ungeheuern Menschenverlnsten auch so tapfre und ausdauernde
Truppen wie die russischen leiden müssen, nur noch wenig Chancen. So wird der
Ruf nach Friede" in Rußland immer lauter erschallen. Zugleich hat der zarische
Absolutismus eiuen letzten schweren Stoß erlitten; der Übergang zu irgendeiner
Form des Verfassungsstaats scheint nunmehr unvermeidlich geworden zu sein, und
wie sich in diesen Formen die russischen Verhältnisse entwickeln werden, das kann
kein Mensch heute voraussagen. Es ist möglich, daß Nußland durch die furcht¬
baren Opfer und die Niederlagen dieses Krieges wie durch innere Wirren auf
längere Zeit hinaus gelähmt wird, daß es, wie nach dem Krimkriege, verhindert
ist, eine kräftige, aktive auswärtige Politik zu führen, daß es wie damals eine
Reihe von Jahren braucht, sich zu sammeln.

Der eigentliche Sieger im Krimkriege war England, weil er die russische
Flotte im Schwarzen Meere vernichtete, dieses nentralisierte und dadurch der
russischen Politik gegenüber der Türkei einen Riegel vorschob. Auch von dem
Siege bei Tsuschima hat es neben Japan den größten Vorteil; Rußland hat im
fernsten Osten die Frucht der Arbeit langer Jahre verloren, es ist vorläufig aus
der Reihe der Seemächte gestrichen, eines der Gegengewichte gegen die Übermacht
Englands zur See ist damit beseitigt worden, und zu dem gefürchteten Vormarsch
auf Indien wird den Russen für die nächste Zeit die Kraft wie die Neigung fehlen.
Aber die Freude der Engländer über Tsuschima muß gedämpft werden durch die
Erwägung, daß da im fernen Osten eine zu See und Land gleich furchtbare Gro߬
macht entstanden ist, die ihre eignen, der englischen Politik nicht immer bequemen
Wege einschlagen wird, und daß diese Großmacht eine asiatische ist. Kein Krieg des
neunzehnten Jahrhunderts hat deshalb die Wichtigkeit dieses ostasiatischen. Denn es
ist doch sonnenklar: bei Tsuschima ist nicht nur Rußland geschlagen worden, sondern
mit ihm die ganze weiße Rasse; das ohnehin starke Selbstgefühl der Japaner muß
sich mächtig steigern: sie werden ihren Anteil fordern an der Herrschaft über den
Großen Ozean, vor der Spitze ihres Schwertes liegen die Philippinen und Hinter-
indien, und dabei sind sie die Nebenbuhler vor allem Englands und der ameri¬
kanischen Union. Über diese Gegensätze helfen keine Verträge hinweg. Die Japaner
werden allerdings wohl zu klug sein, das Mißtrauen der an Ostasien beteiligten Mächte
sobald nicht herauszufordern, und deshalb sind auch die Befürchtungen für unser


Grenzboten II 190S 72
Maßgebliches und Unmaßgebliches

Die Katastrophe von Tsuschima.

Am 27. und 28. Mai ist die lang
erwartete Entscheidung zur See in der Koreastraße gefallen; die beiden russischen
Geschwader, die mit so großer Anstrengung ausgerüstet und mit so viel Umsicht
und Energie von ihren Admiralen Roschdjestwenskij und Njebogatow um die halbe
Erde herum allen Schwierigkeiten zum Trotz bis nach Ostasien geführt worden
waren, sind bei dem Versuche, nach Wladiwostok durchzubrechen, der überlegnen
Schnelligkeit, Artilleriestärke und Taktik der Japaner erlegen, ja bis zur Vernichtung
geschlagen worden; von den Linienschiffen ist keins entkommen, von den Kreuzern
nur der eine oder der andre. Es gibt keine russische Seemacht mehr im Großen
Ozean, es gibt überhaupt kaum noch eine russische Kriegsflotte. Es ist ein Sieg
von weltgeschichtlicher Bedeutung, die größte Seeschlacht seit der von Trafalgar am
21. Oktober 1805, und der siegreiche japanische Admiral Togo gehört in eine Reihe
mit Seehelden wie Nelson und Tegetthoff. Aber die Tragweite von Tsuschima ist
weit größer als die von Trafalgar. Diese Schlacht an der spanischen Küste stellte
allerdings die englische Vorherrschaft zur See überhaupt fest, doch auf den Gang
und den Erfolg des gleichzeitigen Landkrieges übte sie kaum einen Einfluß; der
Seesieg in der Koreastraße begründet die Herrschaft Japans mir in deu ostasiatischen
Gewässern, doch er entscheidet auch deu Landkrieg. Jede Aussicht auf die Über¬
wältigung Japans ist für die Russen jetzt verschwunden; das höchste, was sie noch
erreichen können, ist ein Landsieg, der ihre Waffenehre wiederherstellt und ihnen
einen ehrenvollen Frieden ermöglicht, aber auch für einen solchen Sieg haben sie
nach den bisherigen Erfahrungen und unter der Depression, unter der nach so vielen
Niederlagen und so ungeheuern Menschenverlnsten auch so tapfre und ausdauernde
Truppen wie die russischen leiden müssen, nur noch wenig Chancen. So wird der
Ruf nach Friede» in Rußland immer lauter erschallen. Zugleich hat der zarische
Absolutismus eiuen letzten schweren Stoß erlitten; der Übergang zu irgendeiner
Form des Verfassungsstaats scheint nunmehr unvermeidlich geworden zu sein, und
wie sich in diesen Formen die russischen Verhältnisse entwickeln werden, das kann
kein Mensch heute voraussagen. Es ist möglich, daß Nußland durch die furcht¬
baren Opfer und die Niederlagen dieses Krieges wie durch innere Wirren auf
längere Zeit hinaus gelähmt wird, daß es, wie nach dem Krimkriege, verhindert
ist, eine kräftige, aktive auswärtige Politik zu führen, daß es wie damals eine
Reihe von Jahren braucht, sich zu sammeln.

Der eigentliche Sieger im Krimkriege war England, weil er die russische
Flotte im Schwarzen Meere vernichtete, dieses nentralisierte und dadurch der
russischen Politik gegenüber der Türkei einen Riegel vorschob. Auch von dem
Siege bei Tsuschima hat es neben Japan den größten Vorteil; Rußland hat im
fernsten Osten die Frucht der Arbeit langer Jahre verloren, es ist vorläufig aus
der Reihe der Seemächte gestrichen, eines der Gegengewichte gegen die Übermacht
Englands zur See ist damit beseitigt worden, und zu dem gefürchteten Vormarsch
auf Indien wird den Russen für die nächste Zeit die Kraft wie die Neigung fehlen.
Aber die Freude der Engländer über Tsuschima muß gedämpft werden durch die
Erwägung, daß da im fernen Osten eine zu See und Land gleich furchtbare Gro߬
macht entstanden ist, die ihre eignen, der englischen Politik nicht immer bequemen
Wege einschlagen wird, und daß diese Großmacht eine asiatische ist. Kein Krieg des
neunzehnten Jahrhunderts hat deshalb die Wichtigkeit dieses ostasiatischen. Denn es
ist doch sonnenklar: bei Tsuschima ist nicht nur Rußland geschlagen worden, sondern
mit ihm die ganze weiße Rasse; das ohnehin starke Selbstgefühl der Japaner muß
sich mächtig steigern: sie werden ihren Anteil fordern an der Herrschaft über den
Großen Ozean, vor der Spitze ihres Schwertes liegen die Philippinen und Hinter-
indien, und dabei sind sie die Nebenbuhler vor allem Englands und der ameri¬
kanischen Union. Über diese Gegensätze helfen keine Verträge hinweg. Die Japaner
werden allerdings wohl zu klug sein, das Mißtrauen der an Ostasien beteiligten Mächte
sobald nicht herauszufordern, und deshalb sind auch die Befürchtungen für unser


Grenzboten II 190S 72
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[0573] Maßgebliches und Unmaßgebliches Die Katastrophe von Tsuschima. Am 27. und 28. Mai ist die lang erwartete Entscheidung zur See in der Koreastraße gefallen; die beiden russischen Geschwader, die mit so großer Anstrengung ausgerüstet und mit so viel Umsicht und Energie von ihren Admiralen Roschdjestwenskij und Njebogatow um die halbe Erde herum allen Schwierigkeiten zum Trotz bis nach Ostasien geführt worden waren, sind bei dem Versuche, nach Wladiwostok durchzubrechen, der überlegnen Schnelligkeit, Artilleriestärke und Taktik der Japaner erlegen, ja bis zur Vernichtung geschlagen worden; von den Linienschiffen ist keins entkommen, von den Kreuzern nur der eine oder der andre. Es gibt keine russische Seemacht mehr im Großen Ozean, es gibt überhaupt kaum noch eine russische Kriegsflotte. Es ist ein Sieg von weltgeschichtlicher Bedeutung, die größte Seeschlacht seit der von Trafalgar am 21. Oktober 1805, und der siegreiche japanische Admiral Togo gehört in eine Reihe mit Seehelden wie Nelson und Tegetthoff. Aber die Tragweite von Tsuschima ist weit größer als die von Trafalgar. Diese Schlacht an der spanischen Küste stellte allerdings die englische Vorherrschaft zur See überhaupt fest, doch auf den Gang und den Erfolg des gleichzeitigen Landkrieges übte sie kaum einen Einfluß; der Seesieg in der Koreastraße begründet die Herrschaft Japans mir in deu ostasiatischen Gewässern, doch er entscheidet auch deu Landkrieg. Jede Aussicht auf die Über¬ wältigung Japans ist für die Russen jetzt verschwunden; das höchste, was sie noch erreichen können, ist ein Landsieg, der ihre Waffenehre wiederherstellt und ihnen einen ehrenvollen Frieden ermöglicht, aber auch für einen solchen Sieg haben sie nach den bisherigen Erfahrungen und unter der Depression, unter der nach so vielen Niederlagen und so ungeheuern Menschenverlnsten auch so tapfre und ausdauernde Truppen wie die russischen leiden müssen, nur noch wenig Chancen. So wird der Ruf nach Friede» in Rußland immer lauter erschallen. Zugleich hat der zarische Absolutismus eiuen letzten schweren Stoß erlitten; der Übergang zu irgendeiner Form des Verfassungsstaats scheint nunmehr unvermeidlich geworden zu sein, und wie sich in diesen Formen die russischen Verhältnisse entwickeln werden, das kann kein Mensch heute voraussagen. Es ist möglich, daß Nußland durch die furcht¬ baren Opfer und die Niederlagen dieses Krieges wie durch innere Wirren auf längere Zeit hinaus gelähmt wird, daß es, wie nach dem Krimkriege, verhindert ist, eine kräftige, aktive auswärtige Politik zu führen, daß es wie damals eine Reihe von Jahren braucht, sich zu sammeln. Der eigentliche Sieger im Krimkriege war England, weil er die russische Flotte im Schwarzen Meere vernichtete, dieses nentralisierte und dadurch der russischen Politik gegenüber der Türkei einen Riegel vorschob. Auch von dem Siege bei Tsuschima hat es neben Japan den größten Vorteil; Rußland hat im fernsten Osten die Frucht der Arbeit langer Jahre verloren, es ist vorläufig aus der Reihe der Seemächte gestrichen, eines der Gegengewichte gegen die Übermacht Englands zur See ist damit beseitigt worden, und zu dem gefürchteten Vormarsch auf Indien wird den Russen für die nächste Zeit die Kraft wie die Neigung fehlen. Aber die Freude der Engländer über Tsuschima muß gedämpft werden durch die Erwägung, daß da im fernen Osten eine zu See und Land gleich furchtbare Gro߬ macht entstanden ist, die ihre eignen, der englischen Politik nicht immer bequemen Wege einschlagen wird, und daß diese Großmacht eine asiatische ist. Kein Krieg des neunzehnten Jahrhunderts hat deshalb die Wichtigkeit dieses ostasiatischen. Denn es ist doch sonnenklar: bei Tsuschima ist nicht nur Rußland geschlagen worden, sondern mit ihm die ganze weiße Rasse; das ohnehin starke Selbstgefühl der Japaner muß sich mächtig steigern: sie werden ihren Anteil fordern an der Herrschaft über den Großen Ozean, vor der Spitze ihres Schwertes liegen die Philippinen und Hinter- indien, und dabei sind sie die Nebenbuhler vor allem Englands und der ameri¬ kanischen Union. Über diese Gegensätze helfen keine Verträge hinweg. Die Japaner werden allerdings wohl zu klug sein, das Mißtrauen der an Ostasien beteiligten Mächte sobald nicht herauszufordern, und deshalb sind auch die Befürchtungen für unser Grenzboten II 190S 72

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296764/573>, abgerufen am 07.05.2024.