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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Blücher und Bismarck

Gängelbande der Zeitungen und Parteien losmachten und ihre politischen und
wirtschaftlichen Interessen selbst in die Hand nähmen. Dazu ist aber freilich
eine Voraussetzung, daß sie sich über die innere politische Lage selbständig
unterrichteten und vor allen das Grundbuch dafür, die Verfassung, ordentlich
kennten, dann würden sie sich schon ohne Bearbeitung von Parteiorganen
durch eigne Gedankenarbeit weiterhelfen können. Jeder deutsche Reichsbürger
müßte sich doch eigentlich schämen, daß er seine Verfassung nicht kennt. Er
frage einmal einen Bürger der Schweiz nach der seinigen, der kennt sie gewiß.
Und die deutsche Reichsverfassung ist faßlich, leicht zu verstehn, denn in ihren
Hauptsätzen besteht sie noch in dem Diktat Bismarcks an Lothar Bucher.
Diese zum Teil noch rein persönliche Arbeit Bismarcks hat sich als ein Werk
von dauerndem Bestand erwiesen, und schon darum sollte jeder Deutsche es
genau keimen. Es wäre eine wahrhaftige Bismarckehrung des deutschen Volkes,
eine würdige Aufgabe für die Gebildeten der Nation und des Schweißes
der Edeln wert, für dieses Meisterstück der Staatskunst, für dieses bewährte
Einigungsmittel des deutschen Vaterlands in seinem echten Sinne und bis auf
den letzten Wortlaut wider jedermann einzutreten. Dem Dentschen Reiche und
seinen Söhnen könnte das nur zum Segen gereichen.




Blücher und Bismarck
G. v. Bismarck von in Dessau
(Schluß)

n der Entwicklung hervorragender Männer Pflegen sich die Keime
der Eigenschaften, die als Haupttriebkräfte ihres besondern Wirkens
und Schaffens betrachtet werden müssen, frühzeitig geltend zu
machen. Dazu kommt natürlich der besondre Einfluß des Nähr¬
bodens. Blücher und Bismarck sind hierfür der Beleg. Als
Sprossen des alten Landadels, der sich nach Herkommen und Neigung seit
Geschlechtern dem Waffendienste widmete, entweder als Lebensberuf oder nur
bis zur Übernahme des ererbten Besitzes, war ihrer beiderseitigen Individualität
von vornherein das bestimmte Gepräge aufgedrückt, wie es sich infolge der
alten, engen Wechselbeziehungen beider Berufe im Laufe der Zeit als ein Typus
ausgebildet hatte. Daher auch neben dem Vollbewußtsein ihrer Eigenschaft
als preußischer Offizier der sich immer wieder einstellende Hang zum landwirt¬
schaftlichen Berufe.

Auf dem Lande geboren und während seiner frühesten Jugendzeit dort
erzogen ist nur Bismarck; erst später übernahm die Stadtschule seine geistige
Ausbildung. Blüchers Geburtsort ist Rostock, dort empfing er auch seinen
ersten Unterreiche, dort waren Bürgerkinder seine Spielkameraden. Aber gerade
dieser frühzeitige Umgang mit den Söhnen von Hanseaten war für ihn von
bleibendem Einfluß. Alles was er sah, was ihn umgab, Handel und Wandel,


Blücher und Bismarck

Gängelbande der Zeitungen und Parteien losmachten und ihre politischen und
wirtschaftlichen Interessen selbst in die Hand nähmen. Dazu ist aber freilich
eine Voraussetzung, daß sie sich über die innere politische Lage selbständig
unterrichteten und vor allen das Grundbuch dafür, die Verfassung, ordentlich
kennten, dann würden sie sich schon ohne Bearbeitung von Parteiorganen
durch eigne Gedankenarbeit weiterhelfen können. Jeder deutsche Reichsbürger
müßte sich doch eigentlich schämen, daß er seine Verfassung nicht kennt. Er
frage einmal einen Bürger der Schweiz nach der seinigen, der kennt sie gewiß.
Und die deutsche Reichsverfassung ist faßlich, leicht zu verstehn, denn in ihren
Hauptsätzen besteht sie noch in dem Diktat Bismarcks an Lothar Bucher.
Diese zum Teil noch rein persönliche Arbeit Bismarcks hat sich als ein Werk
von dauerndem Bestand erwiesen, und schon darum sollte jeder Deutsche es
genau keimen. Es wäre eine wahrhaftige Bismarckehrung des deutschen Volkes,
eine würdige Aufgabe für die Gebildeten der Nation und des Schweißes
der Edeln wert, für dieses Meisterstück der Staatskunst, für dieses bewährte
Einigungsmittel des deutschen Vaterlands in seinem echten Sinne und bis auf
den letzten Wortlaut wider jedermann einzutreten. Dem Dentschen Reiche und
seinen Söhnen könnte das nur zum Segen gereichen.




Blücher und Bismarck
G. v. Bismarck von in Dessau
(Schluß)

n der Entwicklung hervorragender Männer Pflegen sich die Keime
der Eigenschaften, die als Haupttriebkräfte ihres besondern Wirkens
und Schaffens betrachtet werden müssen, frühzeitig geltend zu
machen. Dazu kommt natürlich der besondre Einfluß des Nähr¬
bodens. Blücher und Bismarck sind hierfür der Beleg. Als
Sprossen des alten Landadels, der sich nach Herkommen und Neigung seit
Geschlechtern dem Waffendienste widmete, entweder als Lebensberuf oder nur
bis zur Übernahme des ererbten Besitzes, war ihrer beiderseitigen Individualität
von vornherein das bestimmte Gepräge aufgedrückt, wie es sich infolge der
alten, engen Wechselbeziehungen beider Berufe im Laufe der Zeit als ein Typus
ausgebildet hatte. Daher auch neben dem Vollbewußtsein ihrer Eigenschaft
als preußischer Offizier der sich immer wieder einstellende Hang zum landwirt¬
schaftlichen Berufe.

Auf dem Lande geboren und während seiner frühesten Jugendzeit dort
erzogen ist nur Bismarck; erst später übernahm die Stadtschule seine geistige
Ausbildung. Blüchers Geburtsort ist Rostock, dort empfing er auch seinen
ersten Unterreiche, dort waren Bürgerkinder seine Spielkameraden. Aber gerade
dieser frühzeitige Umgang mit den Söhnen von Hanseaten war für ihn von
bleibendem Einfluß. Alles was er sah, was ihn umgab, Handel und Wandel,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/716>, abgerufen am 03.05.2024.