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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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von der Reichshauptstadt nach dein Riesengebirge dnrch die Luft

uns hervorgebracht: sie habe" die Überzeugung von dem starken Einflüsse der
Phönizier auf die ältesten Griechen im allgemeinen und auf den oder die
Verfasser der homerischen Gedichte im besondern gegen jeden Zweifel sicher
gestellt, und sie haben unsre Ehrfurcht vor Homer -- wir bleiben schon der
einfachen Ausdrucksweise wegen gern bei der Einzahl -- vertieft. Die Genauig¬
keit und gewissenhafte Sorgfalt seiner Beschreibungen haben wir ja immer be¬
wundert, aber man muß die Zergliederung solcher Beschreibungen, zum Beispiel
der Schiffbrüche, bei Berard studieren, wenn man von dem Technisch-exakten des
großen Gedichts den vollen Begriff bekommen will. Es könnte den Neuern
nichts schaden, wenn sie an Homer lernten, was echter Realismus ist, und daß
dichten nicht tönende aber leere Worte machen heißt.




Von der Reichshauptstadt nach dem Riesengebirge
durch die Lust
Johannes poeschel von

cum jemand zur Stärkung seiner Nerven eine mehrwöchige See¬
fahrt unternimmt, wenn er Wintermonate in Afrika zubringt oder
in die Sommerfrische nach Spitzbergen geht, wer findet da heut¬
zutage noch etwas Besondres darin? Hört man aber, daß jemand,
ohne durch Beruf oder wissenschaftliche Forschungen dazu gedrängt
zu werden, eine Luftreise macht, so ist mancher geneigt, darin eine moderne
Art des Selbstmords zu sehen, oder man flüstert einander zu, er sei nicht ganz
normal. Und das zu einer Zeit, wo der Automobilsport in Blüte steht, der
kürzlich gnr nicht übel als ein Mittel zur Hebung der Sargindustrie besprochen
wurde. Tatsächlich fordert dieser, ebenso wie der Bergsport, weit mehr Opfer
als die heutige Luftschiffahrt mit ihrer so verbesserten Technik. Denn die
Unglücksfälle, die durch die kühnen Versuche, das Problem des lenkbarem Luft¬
schiffs zu lösen, veranlaßt werden, dürfen nicht ans die Rechnung der gewöhn¬
lichen Ballonfahrt gesetzt werden.

Welches sind denn die Gefahren, wodurch eine Luftreise noch immer so
unheimlich erscheint? "Der Ballon könnte platzen!" Aber der ist ja nach
unten zu in dem schlauchartigen Füllansatz geöffnet, sodaß beim Steigen das
Gas, wenn es sich unter dem Einfluß der Sonne und dem verminderten Luft¬
druck erwärmt und ausdehnt, nach Bedarf entweichen kann, und die Ballon¬
hülle ist nach Möglichkeit vor dem Zerreißen geschützt. Sie besteht jetzt meist
aus zwei Baumwollstvfflagcu, von denen das Gewebe der einen diagonal zu
dem der andern länft, während zwischen ihnen zur Dichtung eine Gummischicht
angebracht ist. Einen Spirituskocher oder eine Zigarre darf man im Korbe
natürlich nicht anzünden. Dafür sind die Eindrücke einer solchen Fahrt aber
so überwältigend, daß auch dem Verwöhntesten der Verzicht auf ein warmes
Mittagessen nicht schwer fällt, und wer bei einer Dauerfahrt es dennoch


von der Reichshauptstadt nach dein Riesengebirge dnrch die Luft

uns hervorgebracht: sie habe» die Überzeugung von dem starken Einflüsse der
Phönizier auf die ältesten Griechen im allgemeinen und auf den oder die
Verfasser der homerischen Gedichte im besondern gegen jeden Zweifel sicher
gestellt, und sie haben unsre Ehrfurcht vor Homer — wir bleiben schon der
einfachen Ausdrucksweise wegen gern bei der Einzahl — vertieft. Die Genauig¬
keit und gewissenhafte Sorgfalt seiner Beschreibungen haben wir ja immer be¬
wundert, aber man muß die Zergliederung solcher Beschreibungen, zum Beispiel
der Schiffbrüche, bei Berard studieren, wenn man von dem Technisch-exakten des
großen Gedichts den vollen Begriff bekommen will. Es könnte den Neuern
nichts schaden, wenn sie an Homer lernten, was echter Realismus ist, und daß
dichten nicht tönende aber leere Worte machen heißt.




Von der Reichshauptstadt nach dem Riesengebirge
durch die Lust
Johannes poeschel von

cum jemand zur Stärkung seiner Nerven eine mehrwöchige See¬
fahrt unternimmt, wenn er Wintermonate in Afrika zubringt oder
in die Sommerfrische nach Spitzbergen geht, wer findet da heut¬
zutage noch etwas Besondres darin? Hört man aber, daß jemand,
ohne durch Beruf oder wissenschaftliche Forschungen dazu gedrängt
zu werden, eine Luftreise macht, so ist mancher geneigt, darin eine moderne
Art des Selbstmords zu sehen, oder man flüstert einander zu, er sei nicht ganz
normal. Und das zu einer Zeit, wo der Automobilsport in Blüte steht, der
kürzlich gnr nicht übel als ein Mittel zur Hebung der Sargindustrie besprochen
wurde. Tatsächlich fordert dieser, ebenso wie der Bergsport, weit mehr Opfer
als die heutige Luftschiffahrt mit ihrer so verbesserten Technik. Denn die
Unglücksfälle, die durch die kühnen Versuche, das Problem des lenkbarem Luft¬
schiffs zu lösen, veranlaßt werden, dürfen nicht ans die Rechnung der gewöhn¬
lichen Ballonfahrt gesetzt werden.

Welches sind denn die Gefahren, wodurch eine Luftreise noch immer so
unheimlich erscheint? „Der Ballon könnte platzen!" Aber der ist ja nach
unten zu in dem schlauchartigen Füllansatz geöffnet, sodaß beim Steigen das
Gas, wenn es sich unter dem Einfluß der Sonne und dem verminderten Luft¬
druck erwärmt und ausdehnt, nach Bedarf entweichen kann, und die Ballon¬
hülle ist nach Möglichkeit vor dem Zerreißen geschützt. Sie besteht jetzt meist
aus zwei Baumwollstvfflagcu, von denen das Gewebe der einen diagonal zu
dem der andern länft, während zwischen ihnen zur Dichtung eine Gummischicht
angebracht ist. Einen Spirituskocher oder eine Zigarre darf man im Korbe
natürlich nicht anzünden. Dafür sind die Eindrücke einer solchen Fahrt aber
so überwältigend, daß auch dem Verwöhntesten der Verzicht auf ein warmes
Mittagessen nicht schwer fällt, und wer bei einer Dauerfahrt es dennoch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/97>, abgerufen am 03.05.2024.