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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

marschall Graf von Moltke Chef des Generalstabes eines Armeekorps gewesen ist.
Der Feldmarschall hatte allerdings den Vorzug gehabt, nicht nur in den Jahren
1838 bis 1840 während der türkischen Feldzüge in Kleinasien Studien über
Truppenführung im Kriege machen zu können -- ebenso wie Graf Waldersee durch
sein eigentümliches Kommando zur Loirearmee --, sondern er hatte von da ab
achtzehn Jahre lang dem Generalstabe angehört, bevor er an dessen Spitze trat.
Sein jetziger dritter Nachfolger stammt aber immerhin noch aus seiner, der alten
Moltkeschen Schule. und die Berechtigung zu der Frage: "Aber wer ist General
von Moltke?" ist heute jedenfalls geringer, als sie es am 3. Juli 1866 bei König-
"z" grcitz ans dem Munde eines preußischen Generals war.




Die amerikanische Gefahr.

Unter diesem Titel ist bei Stephan Geibel in
Altenburg eine Broschüre erschienen, die wir nicht übersehe" wollen. Sie kostet nur
75 Pfennige, ihr Titel hat den Zusatz: "keine wirtschaftliche, sondern eine geistige,"
und ihr Verfasser nennt sich Germanus. Der erste Teil, daß die amerikanische
Gefahr keine wirtschaftliche sei, d. h. nicht für uns, sondern vielmehr für die Amerikaner
selbst, enthält gute und klare allgemeine Urteile über Amerika, aber die Schlu߬
folgerungen werden wenig Glauben finden: Eine Gefahr bestehe weder für unsre
Industrie, denn die Industrie der Union sei durch die Trusts geknebelt und über¬
schüttet, noch für unsre Landwirtschaft, denn dnrch unsre Getreidezölle hielten wir
unsre Preise unabhängig vom Weltmarkt in einer Höhe, daß sie zu bestehn vermöge.
Es ist reiner Optimismus, der dem Verfasser die Augen verschließt, daß er in
unsrer Landwirtschaft "die überall hervortretende Tendenz ans Verkleinerung und
Teilung der Betriebe" für etwas gutes hält, daß er glaubt, es werde genau das
Gegenteil von dem eintreten, was der Sozialismus erwarte. "Ein sozialdemo¬
kratischer Knecht, sagt er, ist mir noch nicht vorgekommen." Wie ist das möglich,
da es doch Tausende von Sozialdemokraten sogar unter den häusliche" Dienstboten
gibt? Es will uns scheinen, als hätte der Verfasser seine im einzelnen oft recht
anregenden Gedanken doch zu wenig auf ihre Tragfähigkeit geprüft. Wenn mans
so hört, mondes leidlich scheinen. Aber seine Ausführung gibt keine Beweise, z. B.
von dem, was er über den amerikanischen Arbeiter sagt, über seinen höhern Lohn,
seinen Bildungsmangel, seinen politischen Jndifferentismus und seinen Stumpfsinn
gegen den Sozialismus! Der amerikanische Arbeiter hat doch die Bildung, die er
braucht, die Sozialdemokratie aber braucht ihn drüben herzlich wenig zu kümmern; eher
könnte ihn die Fruchtbarkeit der schwarzen Nasse beunruhigen, wenn er sich Gedanken
um seine Zukunft machen wollte. Was soll man ferner zu folgendem sagen? "Der
Amerikaner hat keinen Begriff vom Werte der Zeit. Daher hat er das schauder¬
hafteste Eisenbahnwesen der Welt; Zugverspätung, und zwar beträchtliche, ist die
allgemeine Regel." Ich habe immer gehört, der Komfort in den großen Zügen
sei von einer anderswo unerhörten Vollkommenheit, und von der Unpünktlichkeit
des Betriebes erklären meine amerikanischen Freunde noch nichts bemerkt zu haben.
Was die uns von Amerika drohende geistige Gefahr anlangt, können wir uns die
allgemeinen Leitsätze des Verfassers Wohl aneignen. Sie richten sich gegen die
übertriebne Bewunderung der amerikanischen Erfolgmacherei und weisen eindringend
auf die tiefern, geistigen Werte unsrer alten, historischen Kultur hin, auf das
griechische Ideal, das humanistische Gymnasium usw. Man wird das alles mit
Vergnügen lesen. Aber wie soll man es anwenden? Der Amerikaner lache über
die altgrichischen Lampen, weil sie für unsre Zeit jammervolle Beleuchtungskörper
seien; uns entzücke ihre Eleganz, ihre "Kultur," der nichts aus unsern Tagen
gleichkomme. Aber, entgegnen wir, der Amerikaner kauft doch auch Antiken, vielleicht
sogar Ton- oder Bronzelampeu, nur sperrt er sie in seine Museen und erfreut
sich dann ebenfalls auf seine Weise daran. Und anstecken und brennen wollen wir sie
doch auch nicht, sondern wir sind froh, daß wir Gas und elektrisches Licht haben,
obwohl wir dem Verfasser recht geben, daß darin kein Fortschritt der Kultur, sondern


Maßgebliches und Unmaßgebliches

marschall Graf von Moltke Chef des Generalstabes eines Armeekorps gewesen ist.
Der Feldmarschall hatte allerdings den Vorzug gehabt, nicht nur in den Jahren
1838 bis 1840 während der türkischen Feldzüge in Kleinasien Studien über
Truppenführung im Kriege machen zu können — ebenso wie Graf Waldersee durch
sein eigentümliches Kommando zur Loirearmee —, sondern er hatte von da ab
achtzehn Jahre lang dem Generalstabe angehört, bevor er an dessen Spitze trat.
Sein jetziger dritter Nachfolger stammt aber immerhin noch aus seiner, der alten
Moltkeschen Schule. und die Berechtigung zu der Frage: „Aber wer ist General
von Moltke?" ist heute jedenfalls geringer, als sie es am 3. Juli 1866 bei König-
»z» grcitz ans dem Munde eines preußischen Generals war.




Die amerikanische Gefahr.

Unter diesem Titel ist bei Stephan Geibel in
Altenburg eine Broschüre erschienen, die wir nicht übersehe» wollen. Sie kostet nur
75 Pfennige, ihr Titel hat den Zusatz: „keine wirtschaftliche, sondern eine geistige,"
und ihr Verfasser nennt sich Germanus. Der erste Teil, daß die amerikanische
Gefahr keine wirtschaftliche sei, d. h. nicht für uns, sondern vielmehr für die Amerikaner
selbst, enthält gute und klare allgemeine Urteile über Amerika, aber die Schlu߬
folgerungen werden wenig Glauben finden: Eine Gefahr bestehe weder für unsre
Industrie, denn die Industrie der Union sei durch die Trusts geknebelt und über¬
schüttet, noch für unsre Landwirtschaft, denn dnrch unsre Getreidezölle hielten wir
unsre Preise unabhängig vom Weltmarkt in einer Höhe, daß sie zu bestehn vermöge.
Es ist reiner Optimismus, der dem Verfasser die Augen verschließt, daß er in
unsrer Landwirtschaft „die überall hervortretende Tendenz ans Verkleinerung und
Teilung der Betriebe" für etwas gutes hält, daß er glaubt, es werde genau das
Gegenteil von dem eintreten, was der Sozialismus erwarte. „Ein sozialdemo¬
kratischer Knecht, sagt er, ist mir noch nicht vorgekommen." Wie ist das möglich,
da es doch Tausende von Sozialdemokraten sogar unter den häusliche» Dienstboten
gibt? Es will uns scheinen, als hätte der Verfasser seine im einzelnen oft recht
anregenden Gedanken doch zu wenig auf ihre Tragfähigkeit geprüft. Wenn mans
so hört, mondes leidlich scheinen. Aber seine Ausführung gibt keine Beweise, z. B.
von dem, was er über den amerikanischen Arbeiter sagt, über seinen höhern Lohn,
seinen Bildungsmangel, seinen politischen Jndifferentismus und seinen Stumpfsinn
gegen den Sozialismus! Der amerikanische Arbeiter hat doch die Bildung, die er
braucht, die Sozialdemokratie aber braucht ihn drüben herzlich wenig zu kümmern; eher
könnte ihn die Fruchtbarkeit der schwarzen Nasse beunruhigen, wenn er sich Gedanken
um seine Zukunft machen wollte. Was soll man ferner zu folgendem sagen? „Der
Amerikaner hat keinen Begriff vom Werte der Zeit. Daher hat er das schauder¬
hafteste Eisenbahnwesen der Welt; Zugverspätung, und zwar beträchtliche, ist die
allgemeine Regel." Ich habe immer gehört, der Komfort in den großen Zügen
sei von einer anderswo unerhörten Vollkommenheit, und von der Unpünktlichkeit
des Betriebes erklären meine amerikanischen Freunde noch nichts bemerkt zu haben.
Was die uns von Amerika drohende geistige Gefahr anlangt, können wir uns die
allgemeinen Leitsätze des Verfassers Wohl aneignen. Sie richten sich gegen die
übertriebne Bewunderung der amerikanischen Erfolgmacherei und weisen eindringend
auf die tiefern, geistigen Werte unsrer alten, historischen Kultur hin, auf das
griechische Ideal, das humanistische Gymnasium usw. Man wird das alles mit
Vergnügen lesen. Aber wie soll man es anwenden? Der Amerikaner lache über
die altgrichischen Lampen, weil sie für unsre Zeit jammervolle Beleuchtungskörper
seien; uns entzücke ihre Eleganz, ihre „Kultur," der nichts aus unsern Tagen
gleichkomme. Aber, entgegnen wir, der Amerikaner kauft doch auch Antiken, vielleicht
sogar Ton- oder Bronzelampeu, nur sperrt er sie in seine Museen und erfreut
sich dann ebenfalls auf seine Weise daran. Und anstecken und brennen wollen wir sie
doch auch nicht, sondern wir sind froh, daß wir Gas und elektrisches Licht haben,
obwohl wir dem Verfasser recht geben, daß darin kein Fortschritt der Kultur, sondern


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[0127] Maßgebliches und Unmaßgebliches marschall Graf von Moltke Chef des Generalstabes eines Armeekorps gewesen ist. Der Feldmarschall hatte allerdings den Vorzug gehabt, nicht nur in den Jahren 1838 bis 1840 während der türkischen Feldzüge in Kleinasien Studien über Truppenführung im Kriege machen zu können — ebenso wie Graf Waldersee durch sein eigentümliches Kommando zur Loirearmee —, sondern er hatte von da ab achtzehn Jahre lang dem Generalstabe angehört, bevor er an dessen Spitze trat. Sein jetziger dritter Nachfolger stammt aber immerhin noch aus seiner, der alten Moltkeschen Schule. und die Berechtigung zu der Frage: „Aber wer ist General von Moltke?" ist heute jedenfalls geringer, als sie es am 3. Juli 1866 bei König- »z» grcitz ans dem Munde eines preußischen Generals war. Die amerikanische Gefahr. Unter diesem Titel ist bei Stephan Geibel in Altenburg eine Broschüre erschienen, die wir nicht übersehe» wollen. Sie kostet nur 75 Pfennige, ihr Titel hat den Zusatz: „keine wirtschaftliche, sondern eine geistige," und ihr Verfasser nennt sich Germanus. Der erste Teil, daß die amerikanische Gefahr keine wirtschaftliche sei, d. h. nicht für uns, sondern vielmehr für die Amerikaner selbst, enthält gute und klare allgemeine Urteile über Amerika, aber die Schlu߬ folgerungen werden wenig Glauben finden: Eine Gefahr bestehe weder für unsre Industrie, denn die Industrie der Union sei durch die Trusts geknebelt und über¬ schüttet, noch für unsre Landwirtschaft, denn dnrch unsre Getreidezölle hielten wir unsre Preise unabhängig vom Weltmarkt in einer Höhe, daß sie zu bestehn vermöge. Es ist reiner Optimismus, der dem Verfasser die Augen verschließt, daß er in unsrer Landwirtschaft „die überall hervortretende Tendenz ans Verkleinerung und Teilung der Betriebe" für etwas gutes hält, daß er glaubt, es werde genau das Gegenteil von dem eintreten, was der Sozialismus erwarte. „Ein sozialdemo¬ kratischer Knecht, sagt er, ist mir noch nicht vorgekommen." Wie ist das möglich, da es doch Tausende von Sozialdemokraten sogar unter den häusliche» Dienstboten gibt? Es will uns scheinen, als hätte der Verfasser seine im einzelnen oft recht anregenden Gedanken doch zu wenig auf ihre Tragfähigkeit geprüft. Wenn mans so hört, mondes leidlich scheinen. Aber seine Ausführung gibt keine Beweise, z. B. von dem, was er über den amerikanischen Arbeiter sagt, über seinen höhern Lohn, seinen Bildungsmangel, seinen politischen Jndifferentismus und seinen Stumpfsinn gegen den Sozialismus! Der amerikanische Arbeiter hat doch die Bildung, die er braucht, die Sozialdemokratie aber braucht ihn drüben herzlich wenig zu kümmern; eher könnte ihn die Fruchtbarkeit der schwarzen Nasse beunruhigen, wenn er sich Gedanken um seine Zukunft machen wollte. Was soll man ferner zu folgendem sagen? „Der Amerikaner hat keinen Begriff vom Werte der Zeit. Daher hat er das schauder¬ hafteste Eisenbahnwesen der Welt; Zugverspätung, und zwar beträchtliche, ist die allgemeine Regel." Ich habe immer gehört, der Komfort in den großen Zügen sei von einer anderswo unerhörten Vollkommenheit, und von der Unpünktlichkeit des Betriebes erklären meine amerikanischen Freunde noch nichts bemerkt zu haben. Was die uns von Amerika drohende geistige Gefahr anlangt, können wir uns die allgemeinen Leitsätze des Verfassers Wohl aneignen. Sie richten sich gegen die übertriebne Bewunderung der amerikanischen Erfolgmacherei und weisen eindringend auf die tiefern, geistigen Werte unsrer alten, historischen Kultur hin, auf das griechische Ideal, das humanistische Gymnasium usw. Man wird das alles mit Vergnügen lesen. Aber wie soll man es anwenden? Der Amerikaner lache über die altgrichischen Lampen, weil sie für unsre Zeit jammervolle Beleuchtungskörper seien; uns entzücke ihre Eleganz, ihre „Kultur," der nichts aus unsern Tagen gleichkomme. Aber, entgegnen wir, der Amerikaner kauft doch auch Antiken, vielleicht sogar Ton- oder Bronzelampeu, nur sperrt er sie in seine Museen und erfreut sich dann ebenfalls auf seine Weise daran. Und anstecken und brennen wollen wir sie doch auch nicht, sondern wir sind froh, daß wir Gas und elektrisches Licht haben, obwohl wir dem Verfasser recht geben, daß darin kein Fortschritt der Kultur, sondern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_298274/127>, abgerufen am 08.05.2024.