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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

sehr lehrreiche und durchaus sachlich gehaltn-Büchlein von Otto Ruysch: "Der rote
Wärter," Hamburg 1892, Verlag von C. F. W. Vollmer), stand in der Hauptsache
allein, von der Regierung seines Amtes entsetzt, gehaßt, verdächtigt, verfolgt, und
ist doch fertig geworden. Weder in der Fischbacher Dorfschule noch auf dem
Bunzlauer Seminar, das er nur zwei Jahre lang besuchte (!), lernte er eine fremde
Sprache, und als er im reifen Mannesalter diese schmerzlich empfundnen Lücken
einigermaßen auszufüllen suchte, fehlte ihm dazu Ruhe, behagliche Muße und innere
Sammlung. So blieb er für fremde Sprachen immer auf fremden Rat und Bei¬
stand angewiesen, mußte manche Mitteilung mißverstehn und übernahm unbewußt
manche Irrtümer seiner gelegentlichen Mitarbeiter. Falsches zu verbessern, war er
unablässig bemüht, das beweist das starke Verzeichnis verbesserter Fehler am Ende
eines jeden Bandes; und in seinem Streben, etwas möglichst vollkommnes zu
leisten, liegt etwas von Schillerschen Idealismus. In willig voluisse, sat sse!

Wärters Sprichwörterlexikon bezeichnet, trotz manchen Mängeln und Lücken
im einzelnen, die sogar sein Freund Rob. Prutz nicht in Abrede stellt, den Höhe-
Punkt der deutschen Sprichwortforschung. Wie unsre großen Tondichter dem deutschen
Volke die Führung in der Musik gewonnen haben, so ist es durch Wärters SämMel-
fleiß zum sprichwörterreichsten der Welt geworden, und alle ausländischen Parömio-
graphen, wie die Italiener G. Strafforello und Marco Besso. der Holländer
Suringar und der Grieche Politis, richten sich in der Anordnung des Stoffs nach
seinem Muster oder zitieren deutsche Sprichwörter nach seiner Fassung. Möge
nun seinem Lebenswerke die lang versagte öffentliche Anerkennung auch von seinen
La M. Schwabhäuser ndsleuten und Volksgenossen zuteil werden!


Eine Geschichte der Kirchenmusik.

"Auf dem Gebiete der Kirchenmusik hat
sich seit der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts eine bedenkliche Wendung vollzogen.
Noch Tonizetti schreibt ein "Miserere", und von Berlioz werden in den französischen
Kirchen noch jetzt kleine Kirchenstücke gesungen, wir finden nicht bloß einen Spohr,
Wir finden auch einen Suppe (Requiem) und einen Kücken (Motetten) unter den
geistlichen Komponisten. Und heute? Bis auf wenige Ausnahmen stehn die Spitzen
der jüngern deutschen Tonsetzergeneration von der Kirche abseits. Die alte Musik
kann diese Lücke nur zum Teil füllen; es steht schlimm, wenn eine ganze Epoche
die religiöse Kunst ignoriert." So lesen wir in der kürzlich erschienenen dritten,
vollständig neu bearbeiteten Auflage des Bandes "Kirchliche Werke" von Hermann
Kretzschmars "Führer durch den Konzertsaal" (Leipzig, Breitkopf & Härtel). Die
Gründe für diesen Rückgang der kirchlichen Komposition sollen hier nicht erörtert'
Werden; aber allgemeiner Zustimmung dürfte man sicher sein, wenn man auf Mittel
hinweist, die dazu geeignet sein können, das Interesse an ihr neu zu beleben. Die
"Geschichte der Kirchenmusik," die wir in dem eben erwähnten Führerband Kretzschmars
neu erhalten haben, kann in hervorragendem Maße zu einem solchen werden, wenn
sie nur genügend bekannt und benutzt wird. Die ältern Auflagen sind in kirchenmusi¬
kalischen Kreisen zwar schon allgemein verbreitet; bei großen Aufführungen einzelner
Werke wird der "Führer" auch schon von vielen Konzertbesuchern zur Gewinnung
eines bessern Verständnisses mit beigezogen; aber was man immer noch zu wenig
weiß. ist. daß die Führerbände immer auch die ganze Geschichte der darin behandelten
Gattungen enthalten. So ist es erst kürzlich noch vorgekommen, daß ein Fachmann
über die Geschichte des Lwoat matsr schrieb, ohne Kretzschmars grundlegende Dar¬
stellung im "Führer" zu kennen. ^ ? < /"

Die Neubearbeitung des Bandes "Kirchliche Werke erstreckt sich hauptsächlich
auf den historischen Teil. Der Stoff ist nach den Hauptgattungen der kirchlichen
Komposition geordnet: Passionen, Messen, Hymnen, Psalmen, Motetten, Kantaten.
Durch Bachs Passionen, die der Laie in der Regel kurzweg zu den Oratorien zählt,
die aber historisch altliturgisckem Boden entwachsen sind, ist das Interesse an der
Geschichte dieser Gattung stark gewachsen. Kretzschmars Darstellung derselben, die


Maßgebliches und Unmaßgebliches

sehr lehrreiche und durchaus sachlich gehaltn-Büchlein von Otto Ruysch: „Der rote
Wärter," Hamburg 1892, Verlag von C. F. W. Vollmer), stand in der Hauptsache
allein, von der Regierung seines Amtes entsetzt, gehaßt, verdächtigt, verfolgt, und
ist doch fertig geworden. Weder in der Fischbacher Dorfschule noch auf dem
Bunzlauer Seminar, das er nur zwei Jahre lang besuchte (!), lernte er eine fremde
Sprache, und als er im reifen Mannesalter diese schmerzlich empfundnen Lücken
einigermaßen auszufüllen suchte, fehlte ihm dazu Ruhe, behagliche Muße und innere
Sammlung. So blieb er für fremde Sprachen immer auf fremden Rat und Bei¬
stand angewiesen, mußte manche Mitteilung mißverstehn und übernahm unbewußt
manche Irrtümer seiner gelegentlichen Mitarbeiter. Falsches zu verbessern, war er
unablässig bemüht, das beweist das starke Verzeichnis verbesserter Fehler am Ende
eines jeden Bandes; und in seinem Streben, etwas möglichst vollkommnes zu
leisten, liegt etwas von Schillerschen Idealismus. In willig voluisse, sat sse!

Wärters Sprichwörterlexikon bezeichnet, trotz manchen Mängeln und Lücken
im einzelnen, die sogar sein Freund Rob. Prutz nicht in Abrede stellt, den Höhe-
Punkt der deutschen Sprichwortforschung. Wie unsre großen Tondichter dem deutschen
Volke die Führung in der Musik gewonnen haben, so ist es durch Wärters SämMel-
fleiß zum sprichwörterreichsten der Welt geworden, und alle ausländischen Parömio-
graphen, wie die Italiener G. Strafforello und Marco Besso. der Holländer
Suringar und der Grieche Politis, richten sich in der Anordnung des Stoffs nach
seinem Muster oder zitieren deutsche Sprichwörter nach seiner Fassung. Möge
nun seinem Lebenswerke die lang versagte öffentliche Anerkennung auch von seinen
La M. Schwabhäuser ndsleuten und Volksgenossen zuteil werden!


Eine Geschichte der Kirchenmusik.

„Auf dem Gebiete der Kirchenmusik hat
sich seit der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts eine bedenkliche Wendung vollzogen.
Noch Tonizetti schreibt ein »Miserere«, und von Berlioz werden in den französischen
Kirchen noch jetzt kleine Kirchenstücke gesungen, wir finden nicht bloß einen Spohr,
Wir finden auch einen Suppe (Requiem) und einen Kücken (Motetten) unter den
geistlichen Komponisten. Und heute? Bis auf wenige Ausnahmen stehn die Spitzen
der jüngern deutschen Tonsetzergeneration von der Kirche abseits. Die alte Musik
kann diese Lücke nur zum Teil füllen; es steht schlimm, wenn eine ganze Epoche
die religiöse Kunst ignoriert." So lesen wir in der kürzlich erschienenen dritten,
vollständig neu bearbeiteten Auflage des Bandes „Kirchliche Werke" von Hermann
Kretzschmars „Führer durch den Konzertsaal" (Leipzig, Breitkopf & Härtel). Die
Gründe für diesen Rückgang der kirchlichen Komposition sollen hier nicht erörtert'
Werden; aber allgemeiner Zustimmung dürfte man sicher sein, wenn man auf Mittel
hinweist, die dazu geeignet sein können, das Interesse an ihr neu zu beleben. Die
"Geschichte der Kirchenmusik," die wir in dem eben erwähnten Führerband Kretzschmars
neu erhalten haben, kann in hervorragendem Maße zu einem solchen werden, wenn
sie nur genügend bekannt und benutzt wird. Die ältern Auflagen sind in kirchenmusi¬
kalischen Kreisen zwar schon allgemein verbreitet; bei großen Aufführungen einzelner
Werke wird der „Führer" auch schon von vielen Konzertbesuchern zur Gewinnung
eines bessern Verständnisses mit beigezogen; aber was man immer noch zu wenig
weiß. ist. daß die Führerbände immer auch die ganze Geschichte der darin behandelten
Gattungen enthalten. So ist es erst kürzlich noch vorgekommen, daß ein Fachmann
über die Geschichte des Lwoat matsr schrieb, ohne Kretzschmars grundlegende Dar¬
stellung im „Führer" zu kennen. ^ ? < /"

Die Neubearbeitung des Bandes „Kirchliche Werke erstreckt sich hauptsächlich
auf den historischen Teil. Der Stoff ist nach den Hauptgattungen der kirchlichen
Komposition geordnet: Passionen, Messen, Hymnen, Psalmen, Motetten, Kantaten.
Durch Bachs Passionen, die der Laie in der Regel kurzweg zu den Oratorien zählt,
die aber historisch altliturgisckem Boden entwachsen sind, ist das Interesse an der
Geschichte dieser Gattung stark gewachsen. Kretzschmars Darstellung derselben, die


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[0359] Maßgebliches und Unmaßgebliches sehr lehrreiche und durchaus sachlich gehaltn-Büchlein von Otto Ruysch: „Der rote Wärter," Hamburg 1892, Verlag von C. F. W. Vollmer), stand in der Hauptsache allein, von der Regierung seines Amtes entsetzt, gehaßt, verdächtigt, verfolgt, und ist doch fertig geworden. Weder in der Fischbacher Dorfschule noch auf dem Bunzlauer Seminar, das er nur zwei Jahre lang besuchte (!), lernte er eine fremde Sprache, und als er im reifen Mannesalter diese schmerzlich empfundnen Lücken einigermaßen auszufüllen suchte, fehlte ihm dazu Ruhe, behagliche Muße und innere Sammlung. So blieb er für fremde Sprachen immer auf fremden Rat und Bei¬ stand angewiesen, mußte manche Mitteilung mißverstehn und übernahm unbewußt manche Irrtümer seiner gelegentlichen Mitarbeiter. Falsches zu verbessern, war er unablässig bemüht, das beweist das starke Verzeichnis verbesserter Fehler am Ende eines jeden Bandes; und in seinem Streben, etwas möglichst vollkommnes zu leisten, liegt etwas von Schillerschen Idealismus. In willig voluisse, sat sse! Wärters Sprichwörterlexikon bezeichnet, trotz manchen Mängeln und Lücken im einzelnen, die sogar sein Freund Rob. Prutz nicht in Abrede stellt, den Höhe- Punkt der deutschen Sprichwortforschung. Wie unsre großen Tondichter dem deutschen Volke die Führung in der Musik gewonnen haben, so ist es durch Wärters SämMel- fleiß zum sprichwörterreichsten der Welt geworden, und alle ausländischen Parömio- graphen, wie die Italiener G. Strafforello und Marco Besso. der Holländer Suringar und der Grieche Politis, richten sich in der Anordnung des Stoffs nach seinem Muster oder zitieren deutsche Sprichwörter nach seiner Fassung. Möge nun seinem Lebenswerke die lang versagte öffentliche Anerkennung auch von seinen La M. Schwabhäuser ndsleuten und Volksgenossen zuteil werden! Eine Geschichte der Kirchenmusik. „Auf dem Gebiete der Kirchenmusik hat sich seit der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts eine bedenkliche Wendung vollzogen. Noch Tonizetti schreibt ein »Miserere«, und von Berlioz werden in den französischen Kirchen noch jetzt kleine Kirchenstücke gesungen, wir finden nicht bloß einen Spohr, Wir finden auch einen Suppe (Requiem) und einen Kücken (Motetten) unter den geistlichen Komponisten. Und heute? Bis auf wenige Ausnahmen stehn die Spitzen der jüngern deutschen Tonsetzergeneration von der Kirche abseits. Die alte Musik kann diese Lücke nur zum Teil füllen; es steht schlimm, wenn eine ganze Epoche die religiöse Kunst ignoriert." So lesen wir in der kürzlich erschienenen dritten, vollständig neu bearbeiteten Auflage des Bandes „Kirchliche Werke" von Hermann Kretzschmars „Führer durch den Konzertsaal" (Leipzig, Breitkopf & Härtel). Die Gründe für diesen Rückgang der kirchlichen Komposition sollen hier nicht erörtert' Werden; aber allgemeiner Zustimmung dürfte man sicher sein, wenn man auf Mittel hinweist, die dazu geeignet sein können, das Interesse an ihr neu zu beleben. Die "Geschichte der Kirchenmusik," die wir in dem eben erwähnten Führerband Kretzschmars neu erhalten haben, kann in hervorragendem Maße zu einem solchen werden, wenn sie nur genügend bekannt und benutzt wird. Die ältern Auflagen sind in kirchenmusi¬ kalischen Kreisen zwar schon allgemein verbreitet; bei großen Aufführungen einzelner Werke wird der „Führer" auch schon von vielen Konzertbesuchern zur Gewinnung eines bessern Verständnisses mit beigezogen; aber was man immer noch zu wenig weiß. ist. daß die Führerbände immer auch die ganze Geschichte der darin behandelten Gattungen enthalten. So ist es erst kürzlich noch vorgekommen, daß ein Fachmann über die Geschichte des Lwoat matsr schrieb, ohne Kretzschmars grundlegende Dar¬ stellung im „Führer" zu kennen. ^ ? < /" Die Neubearbeitung des Bandes „Kirchliche Werke erstreckt sich hauptsächlich auf den historischen Teil. Der Stoff ist nach den Hauptgattungen der kirchlichen Komposition geordnet: Passionen, Messen, Hymnen, Psalmen, Motetten, Kantaten. Durch Bachs Passionen, die der Laie in der Regel kurzweg zu den Oratorien zählt, die aber historisch altliturgisckem Boden entwachsen sind, ist das Interesse an der Geschichte dieser Gattung stark gewachsen. Kretzschmars Darstellung derselben, die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_298274/359>, abgerufen am 08.05.2024.