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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Erstes Vierteljahr.

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Aus Polens letzten Tagen

Ilnious in England beleuchtet, und auch die Geschichte der "Zuchthausvorlage"
wird ausführlich erzählt. -- Das umfangreiche Werk Buecks ist als urkundliche
Geschichte der ganzen deutschen Sozialgesetzgebung und eines wichtigen Abschnitts
der deutschen Gewerbe- und Handelsgesetzgebung auch für solche von hohem
Wert, die einen andern Standpunkt einnehmen als der Zentralverband.




Aus Polens letzten Tagen
Georg Peiser Erinnerungen eines deutschen Dichters von
(Schluß)

iinige Zeit noch verweilte Seume in dem eroberten Warschau, dann
rief ihn die dringende Bitte seines frühern Chefs nach Riga.
Nach seinem Ausbruch aus der feindlichen Hauptstadt hatte
Jgelström noch bis zum 14. Juni das Kommando über die
! russischen Truppen in Polen behalten dürfen. Dann war er
abberufen und durch General Fersen ersetzt worden. Durch die Ungnade
seiner Kaiserin tief gebeugt, hatte er sich nach Riga zurückgezogen. Jetzt
wollte er sich der gewandten Feder seines einstigen Sekretärs bedienen, sich in
Petersburg zu rehabilitieren. Unterwegs begegnete Seume den Wagenreihen,
die die große öffentliche Bibliothek, die einst Bischof Zakuski gestiftet hatte,
von Warschau nach Petersburg führten. Das Herz des Leipziger Magisters
empörte sich, als er sah, daß man die Bücherschütze so unordentlich verpackt
hatte, daß sie Wind und Wetter ausgesetzt waren. Ein Wagen war in einen
Hohlweg gestürzt, und die Gelehrsamkeit lag in einem traurigen Mischmasch
auf der Erde. In Riga sah er dann auf dem Zollhause zwei Beamte, die
eine lateinische Handschrift aus der Zatuskischen Bibliothek untersuchten und
sich darüber stritten, ob sie chemisch oder keltisch sei.

Seume traf den General krank und bettlägerig. Wochenlang saß er an
seinem Bett und hörte seine Auseinandersetzungen. Wie einen vertrauten
Freund weihte ihn Jgelström in alle Geheimnisse seines öffentlichen und privaten
Lebens ein. Die Ausarbeitungen, die Seume auf Grund dieser Mitteilungen
anfertigte, hat Jgelström seiner Kaiserin überreicht. In seinen Mußestunden
verkehrte er viel bei den "schwarzen Häuptern," der Vereinigung, worin die
Nigaer Gesellschaft ihren Mittelpunkt hat, und schrieb wohl auch schon an seiner
Poetischen "Erzählung aus dem letzten Kriege: Das polnische Mädchen." Liest
man das kleine Epos, das, wie Seume bemerkt, der Wirklichkeit entnommen
ist, so kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß es ein Herzensroman
des Dichters selbst ist, der hier mit einigen Änderungen erzählt ist.

Ein polnischer Edelhof in der Nähe Warschaus wird von Kosaken über¬
fallen und ausgeplündert. Die junge Soska, die zum Besuch auf dem Gute
weilt, flieht aus dem brennenden Hause, fällt aber einer russischen Streifwache
in die Hände. Um die schöne Beute bricht Streit aus. Schon blitzen die
Klingen, da macht ein alter Kosak den teuflischen Vorschlag, lieber das Mädchen


Aus Polens letzten Tagen

Ilnious in England beleuchtet, und auch die Geschichte der „Zuchthausvorlage"
wird ausführlich erzählt. — Das umfangreiche Werk Buecks ist als urkundliche
Geschichte der ganzen deutschen Sozialgesetzgebung und eines wichtigen Abschnitts
der deutschen Gewerbe- und Handelsgesetzgebung auch für solche von hohem
Wert, die einen andern Standpunkt einnehmen als der Zentralverband.




Aus Polens letzten Tagen
Georg Peiser Erinnerungen eines deutschen Dichters von
(Schluß)

iinige Zeit noch verweilte Seume in dem eroberten Warschau, dann
rief ihn die dringende Bitte seines frühern Chefs nach Riga.
Nach seinem Ausbruch aus der feindlichen Hauptstadt hatte
Jgelström noch bis zum 14. Juni das Kommando über die
! russischen Truppen in Polen behalten dürfen. Dann war er
abberufen und durch General Fersen ersetzt worden. Durch die Ungnade
seiner Kaiserin tief gebeugt, hatte er sich nach Riga zurückgezogen. Jetzt
wollte er sich der gewandten Feder seines einstigen Sekretärs bedienen, sich in
Petersburg zu rehabilitieren. Unterwegs begegnete Seume den Wagenreihen,
die die große öffentliche Bibliothek, die einst Bischof Zakuski gestiftet hatte,
von Warschau nach Petersburg führten. Das Herz des Leipziger Magisters
empörte sich, als er sah, daß man die Bücherschütze so unordentlich verpackt
hatte, daß sie Wind und Wetter ausgesetzt waren. Ein Wagen war in einen
Hohlweg gestürzt, und die Gelehrsamkeit lag in einem traurigen Mischmasch
auf der Erde. In Riga sah er dann auf dem Zollhause zwei Beamte, die
eine lateinische Handschrift aus der Zatuskischen Bibliothek untersuchten und
sich darüber stritten, ob sie chemisch oder keltisch sei.

Seume traf den General krank und bettlägerig. Wochenlang saß er an
seinem Bett und hörte seine Auseinandersetzungen. Wie einen vertrauten
Freund weihte ihn Jgelström in alle Geheimnisse seines öffentlichen und privaten
Lebens ein. Die Ausarbeitungen, die Seume auf Grund dieser Mitteilungen
anfertigte, hat Jgelström seiner Kaiserin überreicht. In seinen Mußestunden
verkehrte er viel bei den „schwarzen Häuptern," der Vereinigung, worin die
Nigaer Gesellschaft ihren Mittelpunkt hat, und schrieb wohl auch schon an seiner
Poetischen „Erzählung aus dem letzten Kriege: Das polnische Mädchen." Liest
man das kleine Epos, das, wie Seume bemerkt, der Wirklichkeit entnommen
ist, so kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß es ein Herzensroman
des Dichters selbst ist, der hier mit einigen Änderungen erzählt ist.

Ein polnischer Edelhof in der Nähe Warschaus wird von Kosaken über¬
fallen und ausgeplündert. Die junge Soska, die zum Besuch auf dem Gute
weilt, flieht aus dem brennenden Hause, fällt aber einer russischen Streifwache
in die Hände. Um die schöne Beute bricht Streit aus. Schon blitzen die
Klingen, da macht ein alter Kosak den teuflischen Vorschlag, lieber das Mädchen


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[0719] Aus Polens letzten Tagen Ilnious in England beleuchtet, und auch die Geschichte der „Zuchthausvorlage" wird ausführlich erzählt. — Das umfangreiche Werk Buecks ist als urkundliche Geschichte der ganzen deutschen Sozialgesetzgebung und eines wichtigen Abschnitts der deutschen Gewerbe- und Handelsgesetzgebung auch für solche von hohem Wert, die einen andern Standpunkt einnehmen als der Zentralverband. Aus Polens letzten Tagen Georg Peiser Erinnerungen eines deutschen Dichters von (Schluß) iinige Zeit noch verweilte Seume in dem eroberten Warschau, dann rief ihn die dringende Bitte seines frühern Chefs nach Riga. Nach seinem Ausbruch aus der feindlichen Hauptstadt hatte Jgelström noch bis zum 14. Juni das Kommando über die ! russischen Truppen in Polen behalten dürfen. Dann war er abberufen und durch General Fersen ersetzt worden. Durch die Ungnade seiner Kaiserin tief gebeugt, hatte er sich nach Riga zurückgezogen. Jetzt wollte er sich der gewandten Feder seines einstigen Sekretärs bedienen, sich in Petersburg zu rehabilitieren. Unterwegs begegnete Seume den Wagenreihen, die die große öffentliche Bibliothek, die einst Bischof Zakuski gestiftet hatte, von Warschau nach Petersburg führten. Das Herz des Leipziger Magisters empörte sich, als er sah, daß man die Bücherschütze so unordentlich verpackt hatte, daß sie Wind und Wetter ausgesetzt waren. Ein Wagen war in einen Hohlweg gestürzt, und die Gelehrsamkeit lag in einem traurigen Mischmasch auf der Erde. In Riga sah er dann auf dem Zollhause zwei Beamte, die eine lateinische Handschrift aus der Zatuskischen Bibliothek untersuchten und sich darüber stritten, ob sie chemisch oder keltisch sei. Seume traf den General krank und bettlägerig. Wochenlang saß er an seinem Bett und hörte seine Auseinandersetzungen. Wie einen vertrauten Freund weihte ihn Jgelström in alle Geheimnisse seines öffentlichen und privaten Lebens ein. Die Ausarbeitungen, die Seume auf Grund dieser Mitteilungen anfertigte, hat Jgelström seiner Kaiserin überreicht. In seinen Mußestunden verkehrte er viel bei den „schwarzen Häuptern," der Vereinigung, worin die Nigaer Gesellschaft ihren Mittelpunkt hat, und schrieb wohl auch schon an seiner Poetischen „Erzählung aus dem letzten Kriege: Das polnische Mädchen." Liest man das kleine Epos, das, wie Seume bemerkt, der Wirklichkeit entnommen ist, so kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß es ein Herzensroman des Dichters selbst ist, der hier mit einigen Änderungen erzählt ist. Ein polnischer Edelhof in der Nähe Warschaus wird von Kosaken über¬ fallen und ausgeplündert. Die junge Soska, die zum Besuch auf dem Gute weilt, flieht aus dem brennenden Hause, fällt aber einer russischen Streifwache in die Hände. Um die schöne Beute bricht Streit aus. Schon blitzen die Klingen, da macht ein alter Kosak den teuflischen Vorschlag, lieber das Mädchen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_298274/719>, abgerufen am 08.05.2024.