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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Luftreisen

Wieder anfangen und so in meinen Mittheilungen fortfahren ohne zu bedenken
ob ich kluges oder dummes schreibe. Denn sonst kommt man nicht dazu. Ich
sage Ihnen heute das herzlichste Lebewohl, Sie sind immer bey nur.


Mit höchster Verehrung und LiebeIhr getreuester Eckermann, d, 9. ^ray.


Luftreisen
von Johannes poeschel 2. Line Nachtfahrt

"M
Mi cirum wollen Sie denn nur gerade in der Nacht fahren? Da
sieht man doch nichts! -- Nun, auch eine Nachtfahrt hat ihre
ganz eignen Reize, wir werden sie kennen lernen, und wer schon
eine Reihe von Tagfahrten bei günstigem wie ungünstigem Wetter,
I bei flottem und bei trägem Wind, zu den verschiednen Jahres¬
zeiten bei Sonnenschein und Regen unternommen hat, den verlangt danach,
auch einmal eine Nacht zwischen Himmel und Erde schwebend zu verbringen.

Einen Vorzug hat die Fahrt bei Nacht unter allen Umständen, das sind
die geringern senkrechten Schwankungen der Fahrtlinie infolge der gleich-
mäßigem Temperatur. Bei Tage, zumal an warmen Tagen, gleicht die Kurve
oft einem wildzerklüfteten Gebirge: bald steigt der Ballon, weil sich das
Gas unter dem Einfluß der wärmenden Sonnenstrahlen ausdehnt, bald sinkt
er, weil sich eine Wolke zwischen ihn und die Sonne schiebt, und die dadurch
abgekühlte Luft das Gas sich wieder zusammenziehn läßt. Dieses Schwanken
aber, das -- vorläufig wenigstens -- nur durch reichliches Auswerfen von
Ballast einigermaßen ausgeglichen werden kann, verkürzt die Dauer der Fahrt,
Anders, wenn es erst einmal gelingt, durch künstliche Erwärmung und Ab¬
kühlung des Gases oder durch Ergänzung des nach unten entweichenden
Gases aus Behältern mit flüssigem Wasserstoff den Ballon gleichmäßig gefüllt
zu halten. In der Nacht dagegen zeichnet der Barograph eine Linie mit auf¬
fallend geringen Abweichungen nach oben und unten. Die Ausdehnung des
Gases hält sich annähernd gleich, und große Aufmerksamkeit, die uus auch die
geringste Abwärtsbewegung des Ballons bemerken und abfangen läßt, ermög¬
licht es, daß wir länger als bei Tage unterwegs sind. Wenn dann die Sonne
aufgeht und ihren Einfluß geltend zu machen beginnt, dann haben wir schon eine
Strecke zurückgelegt, wie wir sie bei Tage vielleicht überhaupt nicht überflogen



*) Vgl, Grenzvoten, 1906, Heft 2 und 3: Von der Reichshauptstadt zum Riesengebirge
durch die Lust.
Luftreisen

Wieder anfangen und so in meinen Mittheilungen fortfahren ohne zu bedenken
ob ich kluges oder dummes schreibe. Denn sonst kommt man nicht dazu. Ich
sage Ihnen heute das herzlichste Lebewohl, Sie sind immer bey nur.


Mit höchster Verehrung und LiebeIhr getreuester Eckermann, d, 9. ^ray.


Luftreisen
von Johannes poeschel 2. Line Nachtfahrt

»M
Mi cirum wollen Sie denn nur gerade in der Nacht fahren? Da
sieht man doch nichts! — Nun, auch eine Nachtfahrt hat ihre
ganz eignen Reize, wir werden sie kennen lernen, und wer schon
eine Reihe von Tagfahrten bei günstigem wie ungünstigem Wetter,
I bei flottem und bei trägem Wind, zu den verschiednen Jahres¬
zeiten bei Sonnenschein und Regen unternommen hat, den verlangt danach,
auch einmal eine Nacht zwischen Himmel und Erde schwebend zu verbringen.

Einen Vorzug hat die Fahrt bei Nacht unter allen Umständen, das sind
die geringern senkrechten Schwankungen der Fahrtlinie infolge der gleich-
mäßigem Temperatur. Bei Tage, zumal an warmen Tagen, gleicht die Kurve
oft einem wildzerklüfteten Gebirge: bald steigt der Ballon, weil sich das
Gas unter dem Einfluß der wärmenden Sonnenstrahlen ausdehnt, bald sinkt
er, weil sich eine Wolke zwischen ihn und die Sonne schiebt, und die dadurch
abgekühlte Luft das Gas sich wieder zusammenziehn läßt. Dieses Schwanken
aber, das — vorläufig wenigstens — nur durch reichliches Auswerfen von
Ballast einigermaßen ausgeglichen werden kann, verkürzt die Dauer der Fahrt,
Anders, wenn es erst einmal gelingt, durch künstliche Erwärmung und Ab¬
kühlung des Gases oder durch Ergänzung des nach unten entweichenden
Gases aus Behältern mit flüssigem Wasserstoff den Ballon gleichmäßig gefüllt
zu halten. In der Nacht dagegen zeichnet der Barograph eine Linie mit auf¬
fallend geringen Abweichungen nach oben und unten. Die Ausdehnung des
Gases hält sich annähernd gleich, und große Aufmerksamkeit, die uus auch die
geringste Abwärtsbewegung des Ballons bemerken und abfangen läßt, ermög¬
licht es, daß wir länger als bei Tage unterwegs sind. Wenn dann die Sonne
aufgeht und ihren Einfluß geltend zu machen beginnt, dann haben wir schon eine
Strecke zurückgelegt, wie wir sie bei Tage vielleicht überhaupt nicht überflogen



*) Vgl, Grenzvoten, 1906, Heft 2 und 3: Von der Reichshauptstadt zum Riesengebirge
durch die Lust.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/40>, abgerufen am 30.04.2024.