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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Das preußische Gffizierkorvs von ^806
im Lichte neuer Forschungen und Veröffentlichungen

> n der kleinen Festungstadt am Rhein, wo ich die Jahre vor der
Schulzeit und das erste Schuljahr verlebt habe, zog sich nach
meinen Erinnerungen vom Französischen Tor zum kleinen Parade¬
platz eine Kastanienanlage. Ein Soldat mit einem Messingschild
lauf der Brust hütete den grünen Fleck. Zur Zeit der Vcilchen-
blüte und des Maikäferflugs hatte er mit der Jugend der engen Festungs¬
gassen Kämpfe zu bestehn, danach hatte er leichten Dienst, und im August war
seine Hut überflüssig, das Laub der Kastanien und der Rasen waren unter
der heißen Sonne der Rheinebne Herbstfarben und dürr geworden.

Von den wenigen Gestalten, die sich als Stammgäste der Anlage des
kurzlebigen Grüns freuten, hat sich eine mir tief eingeprägt: ein hagrer,
hochgewachsner Mann von militärischer Haltung, immer in Grau -- Feldgrau
nennt man die Farbe jetzt -- gekleidet, ein graues Käppi auf dem Haupte,
grau der Schnurrbart, grau die Farbe des gefurchten Gesichts. Er muß der
Festungsjugend als Störer ihrer "Blumen- und Käferfreude" lästig geworden
sein, vielleicht hat auch mißverstandner Klatsch die jungen Herzen vergiftet --
so oft er auf seinen Spaziergängen in der dürftigen Anlage von Jungen
erspäht wurde, klang ihm aus sicherm Versteck ein Spottrnf nach, dessen erster
Bestandteil das Wort "Abgedankter" und dessen zweiter eine militärische Rang¬
bezeichnung war. Ich weiß nicht mehr, welche, obwohl ich mich selbst durch
den Ehrgeiz, es größern Jungen gleichzutun, verleiten ließ, dem Manne jene
Worte nachzurufen, die ihm weh tun sollten. Ich habe diese kindliche Roheit
gebüßt. Denn die Erinnerung an sie erzeugte später in mir ein Gefühl,
das die peinlichste Gewissenserforschung, die eindringlichste exlivrtatio unsers
Religionslehrers und mein ernstester Wille nie in mir zu wecken vermochten:
schmerzliche Reue. Der Mann konnte nichts Unehrenhaftes begangen haben,
sonst hätte er sich in der kleinen Festungstadt, in die ihn Heimatliebe oder


Grenzboten IV 1906 23


Das preußische Gffizierkorvs von ^806
im Lichte neuer Forschungen und Veröffentlichungen

> n der kleinen Festungstadt am Rhein, wo ich die Jahre vor der
Schulzeit und das erste Schuljahr verlebt habe, zog sich nach
meinen Erinnerungen vom Französischen Tor zum kleinen Parade¬
platz eine Kastanienanlage. Ein Soldat mit einem Messingschild
lauf der Brust hütete den grünen Fleck. Zur Zeit der Vcilchen-
blüte und des Maikäferflugs hatte er mit der Jugend der engen Festungs¬
gassen Kämpfe zu bestehn, danach hatte er leichten Dienst, und im August war
seine Hut überflüssig, das Laub der Kastanien und der Rasen waren unter
der heißen Sonne der Rheinebne Herbstfarben und dürr geworden.

Von den wenigen Gestalten, die sich als Stammgäste der Anlage des
kurzlebigen Grüns freuten, hat sich eine mir tief eingeprägt: ein hagrer,
hochgewachsner Mann von militärischer Haltung, immer in Grau — Feldgrau
nennt man die Farbe jetzt — gekleidet, ein graues Käppi auf dem Haupte,
grau der Schnurrbart, grau die Farbe des gefurchten Gesichts. Er muß der
Festungsjugend als Störer ihrer „Blumen- und Käferfreude" lästig geworden
sein, vielleicht hat auch mißverstandner Klatsch die jungen Herzen vergiftet —
so oft er auf seinen Spaziergängen in der dürftigen Anlage von Jungen
erspäht wurde, klang ihm aus sicherm Versteck ein Spottrnf nach, dessen erster
Bestandteil das Wort „Abgedankter" und dessen zweiter eine militärische Rang¬
bezeichnung war. Ich weiß nicht mehr, welche, obwohl ich mich selbst durch
den Ehrgeiz, es größern Jungen gleichzutun, verleiten ließ, dem Manne jene
Worte nachzurufen, die ihm weh tun sollten. Ich habe diese kindliche Roheit
gebüßt. Denn die Erinnerung an sie erzeugte später in mir ein Gefühl,
das die peinlichste Gewissenserforschung, die eindringlichste exlivrtatio unsers
Religionslehrers und mein ernstester Wille nie in mir zu wecken vermochten:
schmerzliche Reue. Der Mann konnte nichts Unehrenhaftes begangen haben,
sonst hätte er sich in der kleinen Festungstadt, in die ihn Heimatliebe oder


Grenzboten IV 1906 23
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[0185] [Abbildung] Das preußische Gffizierkorvs von ^806 im Lichte neuer Forschungen und Veröffentlichungen > n der kleinen Festungstadt am Rhein, wo ich die Jahre vor der Schulzeit und das erste Schuljahr verlebt habe, zog sich nach meinen Erinnerungen vom Französischen Tor zum kleinen Parade¬ platz eine Kastanienanlage. Ein Soldat mit einem Messingschild lauf der Brust hütete den grünen Fleck. Zur Zeit der Vcilchen- blüte und des Maikäferflugs hatte er mit der Jugend der engen Festungs¬ gassen Kämpfe zu bestehn, danach hatte er leichten Dienst, und im August war seine Hut überflüssig, das Laub der Kastanien und der Rasen waren unter der heißen Sonne der Rheinebne Herbstfarben und dürr geworden. Von den wenigen Gestalten, die sich als Stammgäste der Anlage des kurzlebigen Grüns freuten, hat sich eine mir tief eingeprägt: ein hagrer, hochgewachsner Mann von militärischer Haltung, immer in Grau — Feldgrau nennt man die Farbe jetzt — gekleidet, ein graues Käppi auf dem Haupte, grau der Schnurrbart, grau die Farbe des gefurchten Gesichts. Er muß der Festungsjugend als Störer ihrer „Blumen- und Käferfreude" lästig geworden sein, vielleicht hat auch mißverstandner Klatsch die jungen Herzen vergiftet — so oft er auf seinen Spaziergängen in der dürftigen Anlage von Jungen erspäht wurde, klang ihm aus sicherm Versteck ein Spottrnf nach, dessen erster Bestandteil das Wort „Abgedankter" und dessen zweiter eine militärische Rang¬ bezeichnung war. Ich weiß nicht mehr, welche, obwohl ich mich selbst durch den Ehrgeiz, es größern Jungen gleichzutun, verleiten ließ, dem Manne jene Worte nachzurufen, die ihm weh tun sollten. Ich habe diese kindliche Roheit gebüßt. Denn die Erinnerung an sie erzeugte später in mir ein Gefühl, das die peinlichste Gewissenserforschung, die eindringlichste exlivrtatio unsers Religionslehrers und mein ernstester Wille nie in mir zu wecken vermochten: schmerzliche Reue. Der Mann konnte nichts Unehrenhaftes begangen haben, sonst hätte er sich in der kleinen Festungstadt, in die ihn Heimatliebe oder Grenzboten IV 1906 23

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/185>, abgerufen am 29.04.2024.