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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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)n der Residenz zu Kleinhausen
Mains Imsen von (Fortsetzung)

ille Oktober war herangekommen. Nach warm-goldnen Wochen brachen
eines Abends unerwartet die Herbststürme herein. Erst leise singend --
auf den weißen Kieswegen im Parke fing das gelbe Laub an sich
raschelnd zu drehen, hier und da fiel eine Kastanie, dumpf auf¬
schlagend, dazwischen nieder.

Durch die entblätterten Bäume, die noch vor kurzem als grüner
Wall auf den Rasenflächen gestanden hatten, schauten blaue Bergzüge herüber, nah¬
unheimlich -- als kämen sie gegen die Stadt herangerückt. Leise knackte es in den
Zweigen, unter denen im welken Laub die Amseln raschelnd hüpften. Hier und
da sprang ein Häslein im Dämmerschein über das vergilbte Gras; ein herber
Geruch vou letzten Kräutern und modernden Blättern stieg daraus hervor.

Vor den hohen Glastüren der Villa Teresa sang klagend der Wind. Kalt
kam es ans dem Mosaikboden der Halle herauf. Sie war ja nur für den Sommer
gebaut, an der Winterwehr fehlte es ihr völlig.

Aber der junge Maler merkte nichts davon. Die dicken Filzschuhe, die ihm
seine Mutter mitgegeben hatte, lagen unbeachtet in der Ecke. Er selbst stand oben
auf seiner Stiege und arbeitete.

Nun blickte er zusammenschreckend um. War da die Tür gegangen? Hatte
nicht der Kies draußen wie unter Rädern geknirscht?

Nein. Es mußte der Sturm gewesen sein. Alles blieb still, nur sein eignes
Herz klopfte laut.

Er sprang vom Tritt herunter und trat vor das Bild. Augen und Kopf
schmerzten ihn von der langen Arbeit. Den ganzen Morgen schon war er daran
gewesen, hatte über Mittag nur hastig ein mitgebrachtes Butterbrot hinuntergezwungen
und weiter gearbeitet. Immer wieder, immer wieder an der einen Gestalt! Es
war die vorderste Amazone, über Lebensgröße, in schimmerndem Panzer, die einem
blonden Knaben ihren Speer ins Herz gestoßen hatte. Gierig zuschauend neigte
sie sich vornüber, um zu sehen, wie das rote Blut hervorsickerte -- kein Schimmer
von Mitleid lag in dem kalten Auge.

Robert trat ans Fenster und sah hinaus. Gleich schwarzen Reiterscharen jagten
die schweren Wolken am Himmel entlang. Die alten Weiden bogen sich und ächzten,
grau spritzte das Wasser an ihnen in die Höhe. Ach, das tat wohl, wohl!

Hast und Unruhe sprachen aus seinem Blicke, ans jeder Bewegung.

Er hatte damals, als er die Fürstin nach jenem Abend wiedergesehen, ihr unter
stammelnder Verwirrung das Gedicht überreicht. Sie hatte einen Blick darauf ge¬
worfen, war finster geworden; dann hatte sie es mehrmals durchgerissen und die
Stücke, zu einem Knäuel zusammengedrückt, in die Tasche geschoben.




)n der Residenz zu Kleinhausen
Mains Imsen von (Fortsetzung)

ille Oktober war herangekommen. Nach warm-goldnen Wochen brachen
eines Abends unerwartet die Herbststürme herein. Erst leise singend —
auf den weißen Kieswegen im Parke fing das gelbe Laub an sich
raschelnd zu drehen, hier und da fiel eine Kastanie, dumpf auf¬
schlagend, dazwischen nieder.

Durch die entblätterten Bäume, die noch vor kurzem als grüner
Wall auf den Rasenflächen gestanden hatten, schauten blaue Bergzüge herüber, nah¬
unheimlich — als kämen sie gegen die Stadt herangerückt. Leise knackte es in den
Zweigen, unter denen im welken Laub die Amseln raschelnd hüpften. Hier und
da sprang ein Häslein im Dämmerschein über das vergilbte Gras; ein herber
Geruch vou letzten Kräutern und modernden Blättern stieg daraus hervor.

Vor den hohen Glastüren der Villa Teresa sang klagend der Wind. Kalt
kam es ans dem Mosaikboden der Halle herauf. Sie war ja nur für den Sommer
gebaut, an der Winterwehr fehlte es ihr völlig.

Aber der junge Maler merkte nichts davon. Die dicken Filzschuhe, die ihm
seine Mutter mitgegeben hatte, lagen unbeachtet in der Ecke. Er selbst stand oben
auf seiner Stiege und arbeitete.

Nun blickte er zusammenschreckend um. War da die Tür gegangen? Hatte
nicht der Kies draußen wie unter Rädern geknirscht?

Nein. Es mußte der Sturm gewesen sein. Alles blieb still, nur sein eignes
Herz klopfte laut.

Er sprang vom Tritt herunter und trat vor das Bild. Augen und Kopf
schmerzten ihn von der langen Arbeit. Den ganzen Morgen schon war er daran
gewesen, hatte über Mittag nur hastig ein mitgebrachtes Butterbrot hinuntergezwungen
und weiter gearbeitet. Immer wieder, immer wieder an der einen Gestalt! Es
war die vorderste Amazone, über Lebensgröße, in schimmerndem Panzer, die einem
blonden Knaben ihren Speer ins Herz gestoßen hatte. Gierig zuschauend neigte
sie sich vornüber, um zu sehen, wie das rote Blut hervorsickerte — kein Schimmer
von Mitleid lag in dem kalten Auge.

Robert trat ans Fenster und sah hinaus. Gleich schwarzen Reiterscharen jagten
die schweren Wolken am Himmel entlang. Die alten Weiden bogen sich und ächzten,
grau spritzte das Wasser an ihnen in die Höhe. Ach, das tat wohl, wohl!

Hast und Unruhe sprachen aus seinem Blicke, ans jeder Bewegung.

Er hatte damals, als er die Fürstin nach jenem Abend wiedergesehen, ihr unter
stammelnder Verwirrung das Gedicht überreicht. Sie hatte einen Blick darauf ge¬
worfen, war finster geworden; dann hatte sie es mehrmals durchgerissen und die
Stücke, zu einem Knäuel zusammengedrückt, in die Tasche geschoben.


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[0226] [Abbildung] )n der Residenz zu Kleinhausen Mains Imsen von (Fortsetzung) ille Oktober war herangekommen. Nach warm-goldnen Wochen brachen eines Abends unerwartet die Herbststürme herein. Erst leise singend — auf den weißen Kieswegen im Parke fing das gelbe Laub an sich raschelnd zu drehen, hier und da fiel eine Kastanie, dumpf auf¬ schlagend, dazwischen nieder. Durch die entblätterten Bäume, die noch vor kurzem als grüner Wall auf den Rasenflächen gestanden hatten, schauten blaue Bergzüge herüber, nah¬ unheimlich — als kämen sie gegen die Stadt herangerückt. Leise knackte es in den Zweigen, unter denen im welken Laub die Amseln raschelnd hüpften. Hier und da sprang ein Häslein im Dämmerschein über das vergilbte Gras; ein herber Geruch vou letzten Kräutern und modernden Blättern stieg daraus hervor. Vor den hohen Glastüren der Villa Teresa sang klagend der Wind. Kalt kam es ans dem Mosaikboden der Halle herauf. Sie war ja nur für den Sommer gebaut, an der Winterwehr fehlte es ihr völlig. Aber der junge Maler merkte nichts davon. Die dicken Filzschuhe, die ihm seine Mutter mitgegeben hatte, lagen unbeachtet in der Ecke. Er selbst stand oben auf seiner Stiege und arbeitete. Nun blickte er zusammenschreckend um. War da die Tür gegangen? Hatte nicht der Kies draußen wie unter Rädern geknirscht? Nein. Es mußte der Sturm gewesen sein. Alles blieb still, nur sein eignes Herz klopfte laut. Er sprang vom Tritt herunter und trat vor das Bild. Augen und Kopf schmerzten ihn von der langen Arbeit. Den ganzen Morgen schon war er daran gewesen, hatte über Mittag nur hastig ein mitgebrachtes Butterbrot hinuntergezwungen und weiter gearbeitet. Immer wieder, immer wieder an der einen Gestalt! Es war die vorderste Amazone, über Lebensgröße, in schimmerndem Panzer, die einem blonden Knaben ihren Speer ins Herz gestoßen hatte. Gierig zuschauend neigte sie sich vornüber, um zu sehen, wie das rote Blut hervorsickerte — kein Schimmer von Mitleid lag in dem kalten Auge. Robert trat ans Fenster und sah hinaus. Gleich schwarzen Reiterscharen jagten die schweren Wolken am Himmel entlang. Die alten Weiden bogen sich und ächzten, grau spritzte das Wasser an ihnen in die Höhe. Ach, das tat wohl, wohl! Hast und Unruhe sprachen aus seinem Blicke, ans jeder Bewegung. Er hatte damals, als er die Fürstin nach jenem Abend wiedergesehen, ihr unter stammelnder Verwirrung das Gedicht überreicht. Sie hatte einen Blick darauf ge¬ worfen, war finster geworden; dann hatte sie es mehrmals durchgerissen und die Stücke, zu einem Knäuel zusammengedrückt, in die Tasche geschoben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/226>, abgerufen am 29.04.2024.