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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Aulturbilder aus den Balkanstaaten

dagegen ist für die Erhaltung und Wahrung des alten volksmäßigen Kunst-
und Kulturcharakters kein Sinn und folglich auch kein Geld vorhanden. Schon
greift die Verheerung von der Großstadt über ins offne Land und tritt in den
Boden, was an alter Volks- und Bauernkunst übrig geblieben ist. Nun mag
es schon hohe Zeit sein, die Allgemeinheit mit der Sache zu beschäftigen und
ihr zu zeigen, was wir einst in den Landhäusern, Bauernhäusern, Höfen,
Gärten, Gartenhöfen, Lusthäusern, Toren, Erkern, Schornsteinen, Dächern,
Kirchen, Grabstätten, Stuben und im Hausrat für unerkannte Schätze besitzen,
die, wenn sie einmal erkannt sind, uns mit tiefer Beschämung über die
künstlerische Unkultur erfüllen müssen.




Kulturbilder aus den Balkanstädten
Uarl Dieterich von
2. Die Balkanstädte von der modernen 5eile

>n dieses halb orientalische, halb patriarchalische Milieu wurden
nun wie die Versatzstücke auf einer Bühne die Wahrzeichen
europäischer Zivilisation hineingestellt, aus den alten Landstädten
sollten prächtige Residenzen werden, ein neues Leben sollte aus
!den Ruinen emporblühen, man wollte teils mit dem westlichen
Europa, besonders mit Paris, wetteifern, teils sich der kunstsinnigen Vor¬
fahren würdig erweisen und ging nun mit Feuereifer an die Erneuerung
und die Einrichtung des alten Wohnhauses, man baute Schlösser, Parla¬
mente, Universitäten, Bibliotheken, Theater, Museen, legte neue Straßen,
Plätze und Parks an und erreichte so, daß in wenig Jahrzehnten diese Städte
einen gänzlich neuen Anstrich erhielten, und daß man wohl stolz sein konnte
auf das freilich mit fremder Hilfe und nach fremden Mustern vollbrachte Kultur¬
werk, das durch die Schnelligkeit, mit der es aus einem Nichts emporwuchs,
an amerikanische Vorbilder erinnert. Sind doch die ältesten dieser Städte,
Bukarest und Athen, erst siebzig Jahre alt, die jüngsten, wie Belgrad und
Sofia, gar erst vierzig und sechsundzwanzig Jahre alt. Freilich haben sie mit
amerikanischen Städten auch ihren etwas parvenumäßigen Charakter gemein,
doch ist es wohlfeil, darüber zu spotten, man muß sich vielmehr freuen, daß
hier ein junges Europa im Entsteh" begriffen ist, wenn auch zunächst nur an
den vier genannten Punkten. Man kann aber der jungen Stüdtekultur des
Balkans nur gerecht werden, wenn man sie nicht mit europäischen Großstädten
vergleicht, die auf dem Boden starker und freier Staaten erwachsen sind, sondern
mit der Stadt, die jahrhundertelang für jene Völker die "Stadt" war, mit


Aulturbilder aus den Balkanstaaten

dagegen ist für die Erhaltung und Wahrung des alten volksmäßigen Kunst-
und Kulturcharakters kein Sinn und folglich auch kein Geld vorhanden. Schon
greift die Verheerung von der Großstadt über ins offne Land und tritt in den
Boden, was an alter Volks- und Bauernkunst übrig geblieben ist. Nun mag
es schon hohe Zeit sein, die Allgemeinheit mit der Sache zu beschäftigen und
ihr zu zeigen, was wir einst in den Landhäusern, Bauernhäusern, Höfen,
Gärten, Gartenhöfen, Lusthäusern, Toren, Erkern, Schornsteinen, Dächern,
Kirchen, Grabstätten, Stuben und im Hausrat für unerkannte Schätze besitzen,
die, wenn sie einmal erkannt sind, uns mit tiefer Beschämung über die
künstlerische Unkultur erfüllen müssen.




Kulturbilder aus den Balkanstädten
Uarl Dieterich von
2. Die Balkanstädte von der modernen 5eile

>n dieses halb orientalische, halb patriarchalische Milieu wurden
nun wie die Versatzstücke auf einer Bühne die Wahrzeichen
europäischer Zivilisation hineingestellt, aus den alten Landstädten
sollten prächtige Residenzen werden, ein neues Leben sollte aus
!den Ruinen emporblühen, man wollte teils mit dem westlichen
Europa, besonders mit Paris, wetteifern, teils sich der kunstsinnigen Vor¬
fahren würdig erweisen und ging nun mit Feuereifer an die Erneuerung
und die Einrichtung des alten Wohnhauses, man baute Schlösser, Parla¬
mente, Universitäten, Bibliotheken, Theater, Museen, legte neue Straßen,
Plätze und Parks an und erreichte so, daß in wenig Jahrzehnten diese Städte
einen gänzlich neuen Anstrich erhielten, und daß man wohl stolz sein konnte
auf das freilich mit fremder Hilfe und nach fremden Mustern vollbrachte Kultur¬
werk, das durch die Schnelligkeit, mit der es aus einem Nichts emporwuchs,
an amerikanische Vorbilder erinnert. Sind doch die ältesten dieser Städte,
Bukarest und Athen, erst siebzig Jahre alt, die jüngsten, wie Belgrad und
Sofia, gar erst vierzig und sechsundzwanzig Jahre alt. Freilich haben sie mit
amerikanischen Städten auch ihren etwas parvenumäßigen Charakter gemein,
doch ist es wohlfeil, darüber zu spotten, man muß sich vielmehr freuen, daß
hier ein junges Europa im Entsteh» begriffen ist, wenn auch zunächst nur an
den vier genannten Punkten. Man kann aber der jungen Stüdtekultur des
Balkans nur gerecht werden, wenn man sie nicht mit europäischen Großstädten
vergleicht, die auf dem Boden starker und freier Staaten erwachsen sind, sondern
mit der Stadt, die jahrhundertelang für jene Völker die „Stadt" war, mit


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[0262] Aulturbilder aus den Balkanstaaten dagegen ist für die Erhaltung und Wahrung des alten volksmäßigen Kunst- und Kulturcharakters kein Sinn und folglich auch kein Geld vorhanden. Schon greift die Verheerung von der Großstadt über ins offne Land und tritt in den Boden, was an alter Volks- und Bauernkunst übrig geblieben ist. Nun mag es schon hohe Zeit sein, die Allgemeinheit mit der Sache zu beschäftigen und ihr zu zeigen, was wir einst in den Landhäusern, Bauernhäusern, Höfen, Gärten, Gartenhöfen, Lusthäusern, Toren, Erkern, Schornsteinen, Dächern, Kirchen, Grabstätten, Stuben und im Hausrat für unerkannte Schätze besitzen, die, wenn sie einmal erkannt sind, uns mit tiefer Beschämung über die künstlerische Unkultur erfüllen müssen. Kulturbilder aus den Balkanstädten Uarl Dieterich von 2. Die Balkanstädte von der modernen 5eile >n dieses halb orientalische, halb patriarchalische Milieu wurden nun wie die Versatzstücke auf einer Bühne die Wahrzeichen europäischer Zivilisation hineingestellt, aus den alten Landstädten sollten prächtige Residenzen werden, ein neues Leben sollte aus !den Ruinen emporblühen, man wollte teils mit dem westlichen Europa, besonders mit Paris, wetteifern, teils sich der kunstsinnigen Vor¬ fahren würdig erweisen und ging nun mit Feuereifer an die Erneuerung und die Einrichtung des alten Wohnhauses, man baute Schlösser, Parla¬ mente, Universitäten, Bibliotheken, Theater, Museen, legte neue Straßen, Plätze und Parks an und erreichte so, daß in wenig Jahrzehnten diese Städte einen gänzlich neuen Anstrich erhielten, und daß man wohl stolz sein konnte auf das freilich mit fremder Hilfe und nach fremden Mustern vollbrachte Kultur¬ werk, das durch die Schnelligkeit, mit der es aus einem Nichts emporwuchs, an amerikanische Vorbilder erinnert. Sind doch die ältesten dieser Städte, Bukarest und Athen, erst siebzig Jahre alt, die jüngsten, wie Belgrad und Sofia, gar erst vierzig und sechsundzwanzig Jahre alt. Freilich haben sie mit amerikanischen Städten auch ihren etwas parvenumäßigen Charakter gemein, doch ist es wohlfeil, darüber zu spotten, man muß sich vielmehr freuen, daß hier ein junges Europa im Entsteh» begriffen ist, wenn auch zunächst nur an den vier genannten Punkten. Man kann aber der jungen Stüdtekultur des Balkans nur gerecht werden, wenn man sie nicht mit europäischen Großstädten vergleicht, die auf dem Boden starker und freier Staaten erwachsen sind, sondern mit der Stadt, die jahrhundertelang für jene Völker die „Stadt" war, mit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/262>, abgerufen am 29.04.2024.