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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Deutsche Volks- und Bauernkunst

Tradition und Heimatgefühl müssen den starken Wall bilden, der gegen un¬
gesunde Stadtsucht und großstädtische Bauspekulation aufzurichten ist. Die
Stadt hat das alles verschuldet, das ist wahr, aber schließlich ist es wieder
die Stadt, die sich für die Bauernkunst einsetzt. Denn auch sie hat ein großes
Interesse daran, daß das Land seine Eigentümlichkeit und ursprüngliche
Schönheit, seine Kultur und seine produktive Kraft, seine Hauskunst und
Hausindustrie bewahre, und daß der wertvolle Bestand organischer Formen
erhalten bleibe, die gerade für den schöpferischen Künstler, der sich in seinen
Leistungen um diesen organischen Ausdruck als der höchsten Zweckmäßigkeit
bemüht, eine wahre Offenbarung sind.

Eine solche Offenbarung sind aber auch die andern volkstümlichen, nicht
bäuerlichen Denkmäler, wie sie etwa auf einer Wanderung im zuständlichen
Nebeneinander angetroffen werden können, wenn man alte Stadtteile, abgelegne
Vororte und Landstädte betritt, wo die alte Kultur im Ausgedinge lebt. Es gibt
zahlreiche Werke, die uns zur Genüge über den offiziellen Kunstaufwand der
Fürsten unterrichtet haben, der in ungenügenden, lächerlichen Nachahmungen bis
in die kleinste Bürgerwohnung herab seit einem halben Jahrhundert als kraß ver¬
zerrtes Vorbild wirkt. Dagegen wissen wir viel zu wenig, wie einst das Volk mit
feinem Leben formal fertig wurde. Wir wissen nicht, wie der Bürger im Barock¬
zeitalter gelebt hat, wir wissen kaum, wie unsre Großeltern gelebt haben. Viele
der charakterisierten Bauwerke führen nur noch ein papierncs Dasein. Während
der letzten Jahre sind sie verschwunden. So rasch arbeitet die Vernichtungswut
des Pöbels. Die Folgen, die sich daraus ergaben, daß wir der Volkskunst so
lange den Rücken gekehrt haben, können wir an den neuen Stadtteilen sehen, die
neben den ehrwürdigen Resten einer alten, von vielen Geschlechtern überlieferten
Volksknltur aufwachsen und die ebensogut im wildesten West stehn könnten,
so schablonenhaft und nichtssagend sind sie. Häuserzeilen entstehn, die Fassaden
überladen mit lächerlichem Zierat, die Rückseiten gefangenhcmsmäßig kahl und
nüchtern, wahre Spottgeburten neben den alten biedern Wohnhausbauten der
Barockzeit mit den reizvollen alten Höfen, die heute als Vorbilder heimischer
Baukunst gelten können. Protzenhafte Cottages stehn an der Peripherie der
Stadt, mit Gurten, die kaum einen schwachen Abglanz der einstigen Garten¬
kultur überliefern. Wo ist das heimatliche Gartenmotiv, die gemütliche Laube,
mit Wein, Ahorn oder Geißblatt umsponnen, in den heutigen öffentlichen oder
Privaten Gärten zu finden? Wie wird auf den alten ausgelassenen Friedhöfen
gewirtschaftet? Gibt es keine bessere Verwendung für alte Skulpturen, als sie
dem Steinmetz zu verkaufen? Würden sie nicht, in Gärten, aus öffentlichen
Plätzen, an den Außenseiten der Kirchen, in den Höfen der öffentlichen Gebäude
aufgestellt, dazu beitragen, auch in der Großstadt ein Heimatgefühl zu nähren?
Für neue Anlagen, Denkmäler und sonstige sogenannte "Ausschmückungen"
der Städte werden Unsummen aufgebracht, Spekulantentum und Verschönerungs¬
vereine arbeiten einmütig daran, die Städte so häßlich zu machen wie möglich;


Deutsche Volks- und Bauernkunst

Tradition und Heimatgefühl müssen den starken Wall bilden, der gegen un¬
gesunde Stadtsucht und großstädtische Bauspekulation aufzurichten ist. Die
Stadt hat das alles verschuldet, das ist wahr, aber schließlich ist es wieder
die Stadt, die sich für die Bauernkunst einsetzt. Denn auch sie hat ein großes
Interesse daran, daß das Land seine Eigentümlichkeit und ursprüngliche
Schönheit, seine Kultur und seine produktive Kraft, seine Hauskunst und
Hausindustrie bewahre, und daß der wertvolle Bestand organischer Formen
erhalten bleibe, die gerade für den schöpferischen Künstler, der sich in seinen
Leistungen um diesen organischen Ausdruck als der höchsten Zweckmäßigkeit
bemüht, eine wahre Offenbarung sind.

Eine solche Offenbarung sind aber auch die andern volkstümlichen, nicht
bäuerlichen Denkmäler, wie sie etwa auf einer Wanderung im zuständlichen
Nebeneinander angetroffen werden können, wenn man alte Stadtteile, abgelegne
Vororte und Landstädte betritt, wo die alte Kultur im Ausgedinge lebt. Es gibt
zahlreiche Werke, die uns zur Genüge über den offiziellen Kunstaufwand der
Fürsten unterrichtet haben, der in ungenügenden, lächerlichen Nachahmungen bis
in die kleinste Bürgerwohnung herab seit einem halben Jahrhundert als kraß ver¬
zerrtes Vorbild wirkt. Dagegen wissen wir viel zu wenig, wie einst das Volk mit
feinem Leben formal fertig wurde. Wir wissen nicht, wie der Bürger im Barock¬
zeitalter gelebt hat, wir wissen kaum, wie unsre Großeltern gelebt haben. Viele
der charakterisierten Bauwerke führen nur noch ein papierncs Dasein. Während
der letzten Jahre sind sie verschwunden. So rasch arbeitet die Vernichtungswut
des Pöbels. Die Folgen, die sich daraus ergaben, daß wir der Volkskunst so
lange den Rücken gekehrt haben, können wir an den neuen Stadtteilen sehen, die
neben den ehrwürdigen Resten einer alten, von vielen Geschlechtern überlieferten
Volksknltur aufwachsen und die ebensogut im wildesten West stehn könnten,
so schablonenhaft und nichtssagend sind sie. Häuserzeilen entstehn, die Fassaden
überladen mit lächerlichem Zierat, die Rückseiten gefangenhcmsmäßig kahl und
nüchtern, wahre Spottgeburten neben den alten biedern Wohnhausbauten der
Barockzeit mit den reizvollen alten Höfen, die heute als Vorbilder heimischer
Baukunst gelten können. Protzenhafte Cottages stehn an der Peripherie der
Stadt, mit Gurten, die kaum einen schwachen Abglanz der einstigen Garten¬
kultur überliefern. Wo ist das heimatliche Gartenmotiv, die gemütliche Laube,
mit Wein, Ahorn oder Geißblatt umsponnen, in den heutigen öffentlichen oder
Privaten Gärten zu finden? Wie wird auf den alten ausgelassenen Friedhöfen
gewirtschaftet? Gibt es keine bessere Verwendung für alte Skulpturen, als sie
dem Steinmetz zu verkaufen? Würden sie nicht, in Gärten, aus öffentlichen
Plätzen, an den Außenseiten der Kirchen, in den Höfen der öffentlichen Gebäude
aufgestellt, dazu beitragen, auch in der Großstadt ein Heimatgefühl zu nähren?
Für neue Anlagen, Denkmäler und sonstige sogenannte „Ausschmückungen"
der Städte werden Unsummen aufgebracht, Spekulantentum und Verschönerungs¬
vereine arbeiten einmütig daran, die Städte so häßlich zu machen wie möglich;


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[0261] Deutsche Volks- und Bauernkunst Tradition und Heimatgefühl müssen den starken Wall bilden, der gegen un¬ gesunde Stadtsucht und großstädtische Bauspekulation aufzurichten ist. Die Stadt hat das alles verschuldet, das ist wahr, aber schließlich ist es wieder die Stadt, die sich für die Bauernkunst einsetzt. Denn auch sie hat ein großes Interesse daran, daß das Land seine Eigentümlichkeit und ursprüngliche Schönheit, seine Kultur und seine produktive Kraft, seine Hauskunst und Hausindustrie bewahre, und daß der wertvolle Bestand organischer Formen erhalten bleibe, die gerade für den schöpferischen Künstler, der sich in seinen Leistungen um diesen organischen Ausdruck als der höchsten Zweckmäßigkeit bemüht, eine wahre Offenbarung sind. Eine solche Offenbarung sind aber auch die andern volkstümlichen, nicht bäuerlichen Denkmäler, wie sie etwa auf einer Wanderung im zuständlichen Nebeneinander angetroffen werden können, wenn man alte Stadtteile, abgelegne Vororte und Landstädte betritt, wo die alte Kultur im Ausgedinge lebt. Es gibt zahlreiche Werke, die uns zur Genüge über den offiziellen Kunstaufwand der Fürsten unterrichtet haben, der in ungenügenden, lächerlichen Nachahmungen bis in die kleinste Bürgerwohnung herab seit einem halben Jahrhundert als kraß ver¬ zerrtes Vorbild wirkt. Dagegen wissen wir viel zu wenig, wie einst das Volk mit feinem Leben formal fertig wurde. Wir wissen nicht, wie der Bürger im Barock¬ zeitalter gelebt hat, wir wissen kaum, wie unsre Großeltern gelebt haben. Viele der charakterisierten Bauwerke führen nur noch ein papierncs Dasein. Während der letzten Jahre sind sie verschwunden. So rasch arbeitet die Vernichtungswut des Pöbels. Die Folgen, die sich daraus ergaben, daß wir der Volkskunst so lange den Rücken gekehrt haben, können wir an den neuen Stadtteilen sehen, die neben den ehrwürdigen Resten einer alten, von vielen Geschlechtern überlieferten Volksknltur aufwachsen und die ebensogut im wildesten West stehn könnten, so schablonenhaft und nichtssagend sind sie. Häuserzeilen entstehn, die Fassaden überladen mit lächerlichem Zierat, die Rückseiten gefangenhcmsmäßig kahl und nüchtern, wahre Spottgeburten neben den alten biedern Wohnhausbauten der Barockzeit mit den reizvollen alten Höfen, die heute als Vorbilder heimischer Baukunst gelten können. Protzenhafte Cottages stehn an der Peripherie der Stadt, mit Gurten, die kaum einen schwachen Abglanz der einstigen Garten¬ kultur überliefern. Wo ist das heimatliche Gartenmotiv, die gemütliche Laube, mit Wein, Ahorn oder Geißblatt umsponnen, in den heutigen öffentlichen oder Privaten Gärten zu finden? Wie wird auf den alten ausgelassenen Friedhöfen gewirtschaftet? Gibt es keine bessere Verwendung für alte Skulpturen, als sie dem Steinmetz zu verkaufen? Würden sie nicht, in Gärten, aus öffentlichen Plätzen, an den Außenseiten der Kirchen, in den Höfen der öffentlichen Gebäude aufgestellt, dazu beitragen, auch in der Großstadt ein Heimatgefühl zu nähren? Für neue Anlagen, Denkmäler und sonstige sogenannte „Ausschmückungen" der Städte werden Unsummen aufgebracht, Spekulantentum und Verschönerungs¬ vereine arbeiten einmütig daran, die Städte so häßlich zu machen wie möglich;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/261>, abgerufen am 26.05.2024.