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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Baku

So vollendet sich Lily Barts Schicksal. Da ihre Augen nach den Höhen
des Lebens schauten, hatte sie nicht acht, wohin ihre Füße traten, obwohl sie
ahnte, daß sie durch Blumen über trügerisches, sumpfiges Erdreich schritt. Die
Teilnahme für das tragische Geschick der Einzelnen überwiegt am Ende das
Interesse an dem meisterhaft entworfnen Sittengemälde mit dem schimmernden
Hintergrunde, der, wie die Verfasserin mit so sicherm Urteil dentet, nur vergäng¬
liches Truggold ist.

Drüben über dem Ozean pulsiert das Leben so rasch und ungestüm, daß
wir dem unaufhaltsamen Aufundnieder kaum folgen können. Solche unsteten
Wallungen spiegeln sich natürlich auch in der Literatur. Es ist ein Keimen,
ein rasches Blühen, und der treibenden Frucht bleibt kaum Zeit zum Reifen, ehe
eine neue Blüteufüllc andrer Art sie überdeckt. So darf es uns nicht wundern,
daß im Lande der schroffen Übergänge unter dem Banner des Materialismus,
der gegenwärtig den Sieg des Reichtums über die Ideale des Lebens verkündet,
im Verborgnen schon eine neue, gesundere Weltanschauung heranreift.


Beda prilipp


Baku H. Toexfer Reiseenmierungen von

"le Fahrt von Tiflis nach Baku kaun ohne Gewissensbisse in die
Nacht verlegt werden. Nur bei Ssogut-Bulach treten die Ausläufer
I des armenischen Berglandes malerisch an die Knra heran, die zu¬
nächst der Eisenbahn zur Rechten bleibt und eine wenig Interesse
! erregende Ebene durchfließt. Zweimal wird der Fluß noch über¬
schritten, ehe er sich jenseits von Jelissawetpol nach Südosten wendet, worauf er
sich durch die Transkaukasische Steppe zum Knspischen Meere schleppt und nicht
allzuweit vom Grenzfluß Arax, durch eine Landzunge getrennt und vorher durch
einen Nebenarm mit ihm verbunden, mündet. Fast alle von den Gebirgen kommenden
Wasserläufe verzehrt die öde Landschaft. Die Schleier der Nacht verdecken
uns, was noch an angebauter Gegend im Kuratal durcheilt wird, auch den Ort
Akstafa, von dem aus die alte Poststraße am Goktschasee vorüber nach Eriwcm
führt, die Gouvernementshauptstadt Jelissawetpol und die Kurabrücke bei
Jewlach. Von hier aus kann man die Städte nucha in Kachetien und das
letzthin vielgenannte Schuscha, beide kaukasische Jndustricorte, auf guten Post-
straßen erreichen. Alle diese Punkte sind sonst lohnende Ziele, die wir uns
leider für diesesmal nicht stecken können.

Beim Erwachen aus traumlosen Schlaf begrüßt uns in der Steppe seit
längerer Zeit zum erstenmal ein trüber Morgen, in dessen regenfeuchten Nebel¬
schwaden die flache Landschaft nur noch öder als sonst erscheint. Mühelos


Baku

So vollendet sich Lily Barts Schicksal. Da ihre Augen nach den Höhen
des Lebens schauten, hatte sie nicht acht, wohin ihre Füße traten, obwohl sie
ahnte, daß sie durch Blumen über trügerisches, sumpfiges Erdreich schritt. Die
Teilnahme für das tragische Geschick der Einzelnen überwiegt am Ende das
Interesse an dem meisterhaft entworfnen Sittengemälde mit dem schimmernden
Hintergrunde, der, wie die Verfasserin mit so sicherm Urteil dentet, nur vergäng¬
liches Truggold ist.

Drüben über dem Ozean pulsiert das Leben so rasch und ungestüm, daß
wir dem unaufhaltsamen Aufundnieder kaum folgen können. Solche unsteten
Wallungen spiegeln sich natürlich auch in der Literatur. Es ist ein Keimen,
ein rasches Blühen, und der treibenden Frucht bleibt kaum Zeit zum Reifen, ehe
eine neue Blüteufüllc andrer Art sie überdeckt. So darf es uns nicht wundern,
daß im Lande der schroffen Übergänge unter dem Banner des Materialismus,
der gegenwärtig den Sieg des Reichtums über die Ideale des Lebens verkündet,
im Verborgnen schon eine neue, gesundere Weltanschauung heranreift.


Beda prilipp


Baku H. Toexfer Reiseenmierungen von

«le Fahrt von Tiflis nach Baku kaun ohne Gewissensbisse in die
Nacht verlegt werden. Nur bei Ssogut-Bulach treten die Ausläufer
I des armenischen Berglandes malerisch an die Knra heran, die zu¬
nächst der Eisenbahn zur Rechten bleibt und eine wenig Interesse
! erregende Ebene durchfließt. Zweimal wird der Fluß noch über¬
schritten, ehe er sich jenseits von Jelissawetpol nach Südosten wendet, worauf er
sich durch die Transkaukasische Steppe zum Knspischen Meere schleppt und nicht
allzuweit vom Grenzfluß Arax, durch eine Landzunge getrennt und vorher durch
einen Nebenarm mit ihm verbunden, mündet. Fast alle von den Gebirgen kommenden
Wasserläufe verzehrt die öde Landschaft. Die Schleier der Nacht verdecken
uns, was noch an angebauter Gegend im Kuratal durcheilt wird, auch den Ort
Akstafa, von dem aus die alte Poststraße am Goktschasee vorüber nach Eriwcm
führt, die Gouvernementshauptstadt Jelissawetpol und die Kurabrücke bei
Jewlach. Von hier aus kann man die Städte nucha in Kachetien und das
letzthin vielgenannte Schuscha, beide kaukasische Jndustricorte, auf guten Post-
straßen erreichen. Alle diese Punkte sind sonst lohnende Ziele, die wir uns
leider für diesesmal nicht stecken können.

Beim Erwachen aus traumlosen Schlaf begrüßt uns in der Steppe seit
längerer Zeit zum erstenmal ein trüber Morgen, in dessen regenfeuchten Nebel¬
schwaden die flache Landschaft nur noch öder als sonst erscheint. Mühelos


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/320>, abgerufen am 29.04.2024.