Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


Neue Romane und Novellen

ührend die Ewiggestrigen noch darüber streiten, ob wir unsre
afrikanischen Kolonien behalten und Geld für sie ausgeben sollen
oder nicht, knallt drüben die Büchse, und jeden Tag melden uns
an möglichst unauffälliger Stelle die mit Gleichgültigkeiten voll¬
gestopften Zeitungen, daß wieder deutsches Blut drüben geflossen ist,
und daß Söhne deutscher Mütter in südwestafrikanischer Erde begraben werden.
Der Roman "Pioniere" von Orla Holm (Berlin, F. Fontane u. Co.) führt in
die Zeit des beginnenden Aufstandes und gibt Bilder aus den ersten Etappen
des Krieges. Rein ästhetisch genommen bedeutet das Buch nicht viel. Der
Verfasser ist offenbar ein Offizier; ich schließe das aus einzelnen Eindrücken,
zum Beispiel aus der auch bei Wilhelm von Potenz so häufig vorkommenden
Wendung: er zeichnete nicht auf irgend etwas, statt: er tat, als ob er irgend
etwas nicht bemerkte. Aber das ist freilich bisher die einzige Verwandtschaft
mit diesem zu früh abgeschiednen hervorragenden Erzähler. Holm verfügt über
geringe Mittel, sein Wortschatz ist nicht groß, und die Kraft seiner Bilder nicht
Zwingend. Trotzdem möchte ich das Buch empfehlen, weil es, soweit das der
Nichtkenner vergleichsweise beurteilen kann, echt ist und wirkliche Situationen
und Stimmungen wiedergibt. Holm hätte freilich bei Frida von Bülow lernen
tonnen, die Schädlinge unsrer jungen Kolonie lebendiger zu zeichnen, als ihm das
"u Zorn und im patriotischen Schmerz gelungen ist; aber eben dieser Zorn und
dieses vaterländische Empfinden machen dann wieder den Verfasser dem Leser
^eb und lassen diesen künstlerische Bedenken hintansetzen. Schweigen können sie
freilich nur vor der Schilderung der Ankunft der Ansiedlerfamilie in den schönen
Gefilden des Bergtals und vor der fürchterlichen Katastrophe, die im Beginn
des Orlogs über sie hereinbricht. Es läßt sich immerhin aus diesem Buche
etwas lernen.

In andre Kämpfe, die nicht erst wenig Jahre zurückreichen, führt Friedrich
Werner van Oesterens Roman "Christus, nicht Jesus" (Berlin, Egon Fleischel
U- Co.). Oefterer nennt sein Werk einen Jesuitenroman und hätte es ebenso¬
gut einen Jntrigantenroman nennen können. Man bekommt beim Lesen immer
mehr das Gefühl, von einem riesigen Spinnennetz umschlungen zu sein, und es
spricht für Oesterens Erzühlergabe, daß er einen so festzuhalten versteht. Freilich
sind es keine dichterischen Anlagen, sondern die eines guten Unterhalters, die
er da bewährt. Denn mehr als ein spannender Gesellschaftsroman ist das Buch
eben nicht geworden. Alle Requisiten, die in Gutzkows oder in Spielhagens


Grenzboten IV 1906 58


Neue Romane und Novellen

ührend die Ewiggestrigen noch darüber streiten, ob wir unsre
afrikanischen Kolonien behalten und Geld für sie ausgeben sollen
oder nicht, knallt drüben die Büchse, und jeden Tag melden uns
an möglichst unauffälliger Stelle die mit Gleichgültigkeiten voll¬
gestopften Zeitungen, daß wieder deutsches Blut drüben geflossen ist,
und daß Söhne deutscher Mütter in südwestafrikanischer Erde begraben werden.
Der Roman „Pioniere" von Orla Holm (Berlin, F. Fontane u. Co.) führt in
die Zeit des beginnenden Aufstandes und gibt Bilder aus den ersten Etappen
des Krieges. Rein ästhetisch genommen bedeutet das Buch nicht viel. Der
Verfasser ist offenbar ein Offizier; ich schließe das aus einzelnen Eindrücken,
zum Beispiel aus der auch bei Wilhelm von Potenz so häufig vorkommenden
Wendung: er zeichnete nicht auf irgend etwas, statt: er tat, als ob er irgend
etwas nicht bemerkte. Aber das ist freilich bisher die einzige Verwandtschaft
mit diesem zu früh abgeschiednen hervorragenden Erzähler. Holm verfügt über
geringe Mittel, sein Wortschatz ist nicht groß, und die Kraft seiner Bilder nicht
Zwingend. Trotzdem möchte ich das Buch empfehlen, weil es, soweit das der
Nichtkenner vergleichsweise beurteilen kann, echt ist und wirkliche Situationen
und Stimmungen wiedergibt. Holm hätte freilich bei Frida von Bülow lernen
tonnen, die Schädlinge unsrer jungen Kolonie lebendiger zu zeichnen, als ihm das
"u Zorn und im patriotischen Schmerz gelungen ist; aber eben dieser Zorn und
dieses vaterländische Empfinden machen dann wieder den Verfasser dem Leser
^eb und lassen diesen künstlerische Bedenken hintansetzen. Schweigen können sie
freilich nur vor der Schilderung der Ankunft der Ansiedlerfamilie in den schönen
Gefilden des Bergtals und vor der fürchterlichen Katastrophe, die im Beginn
des Orlogs über sie hereinbricht. Es läßt sich immerhin aus diesem Buche
etwas lernen.

In andre Kämpfe, die nicht erst wenig Jahre zurückreichen, führt Friedrich
Werner van Oesterens Roman „Christus, nicht Jesus" (Berlin, Egon Fleischel
U- Co.). Oefterer nennt sein Werk einen Jesuitenroman und hätte es ebenso¬
gut einen Jntrigantenroman nennen können. Man bekommt beim Lesen immer
mehr das Gefühl, von einem riesigen Spinnennetz umschlungen zu sein, und es
spricht für Oesterens Erzühlergabe, daß er einen so festzuhalten versteht. Freilich
sind es keine dichterischen Anlagen, sondern die eines guten Unterhalters, die
er da bewährt. Denn mehr als ein spannender Gesellschaftsroman ist das Buch
eben nicht geworden. Alle Requisiten, die in Gutzkows oder in Spielhagens


Grenzboten IV 1906 58
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0417" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/300916"/>
          <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341883_300500/figures/grenzboten_341883_300500_300916_000.jpg"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Neue Romane und Novellen</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1710"> ührend die Ewiggestrigen noch darüber streiten, ob wir unsre<lb/>
afrikanischen Kolonien behalten und Geld für sie ausgeben sollen<lb/>
oder nicht, knallt drüben die Büchse, und jeden Tag melden uns<lb/>
an möglichst unauffälliger Stelle die mit Gleichgültigkeiten voll¬<lb/>
gestopften Zeitungen, daß wieder deutsches Blut drüben geflossen ist,<lb/>
und daß Söhne deutscher Mütter in südwestafrikanischer Erde begraben werden.<lb/>
Der Roman &#x201E;Pioniere" von Orla Holm (Berlin, F. Fontane u. Co.) führt in<lb/>
die Zeit des beginnenden Aufstandes und gibt Bilder aus den ersten Etappen<lb/>
des Krieges. Rein ästhetisch genommen bedeutet das Buch nicht viel. Der<lb/>
Verfasser ist offenbar ein Offizier; ich schließe das aus einzelnen Eindrücken,<lb/>
zum Beispiel aus der auch bei Wilhelm von Potenz so häufig vorkommenden<lb/>
Wendung: er zeichnete nicht auf irgend etwas, statt: er tat, als ob er irgend<lb/>
etwas nicht bemerkte. Aber das ist freilich bisher die einzige Verwandtschaft<lb/>
mit diesem zu früh abgeschiednen hervorragenden Erzähler. Holm verfügt über<lb/>
geringe Mittel, sein Wortschatz ist nicht groß, und die Kraft seiner Bilder nicht<lb/>
Zwingend. Trotzdem möchte ich das Buch empfehlen, weil es, soweit das der<lb/>
Nichtkenner vergleichsweise beurteilen kann, echt ist und wirkliche Situationen<lb/>
und Stimmungen wiedergibt. Holm hätte freilich bei Frida von Bülow lernen<lb/>
tonnen, die Schädlinge unsrer jungen Kolonie lebendiger zu zeichnen, als ihm das<lb/>
"u Zorn und im patriotischen Schmerz gelungen ist; aber eben dieser Zorn und<lb/>
dieses vaterländische Empfinden machen dann wieder den Verfasser dem Leser<lb/>
^eb und lassen diesen künstlerische Bedenken hintansetzen. Schweigen können sie<lb/>
freilich nur vor der Schilderung der Ankunft der Ansiedlerfamilie in den schönen<lb/>
Gefilden des Bergtals und vor der fürchterlichen Katastrophe, die im Beginn<lb/>
des Orlogs über sie hereinbricht. Es läßt sich immerhin aus diesem Buche<lb/>
etwas lernen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1711" next="#ID_1712"> In andre Kämpfe, die nicht erst wenig Jahre zurückreichen, führt Friedrich<lb/>
Werner van Oesterens Roman &#x201E;Christus, nicht Jesus" (Berlin, Egon Fleischel<lb/>
U- Co.). Oefterer nennt sein Werk einen Jesuitenroman und hätte es ebenso¬<lb/>
gut einen Jntrigantenroman nennen können. Man bekommt beim Lesen immer<lb/>
mehr das Gefühl, von einem riesigen Spinnennetz umschlungen zu sein, und es<lb/>
spricht für Oesterens Erzühlergabe, daß er einen so festzuhalten versteht. Freilich<lb/>
sind es keine dichterischen Anlagen, sondern die eines guten Unterhalters, die<lb/>
er da bewährt. Denn mehr als ein spannender Gesellschaftsroman ist das Buch<lb/>
eben nicht geworden. Alle Requisiten, die in Gutzkows oder in Spielhagens</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV 1906 58</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0417] [Abbildung] Neue Romane und Novellen ührend die Ewiggestrigen noch darüber streiten, ob wir unsre afrikanischen Kolonien behalten und Geld für sie ausgeben sollen oder nicht, knallt drüben die Büchse, und jeden Tag melden uns an möglichst unauffälliger Stelle die mit Gleichgültigkeiten voll¬ gestopften Zeitungen, daß wieder deutsches Blut drüben geflossen ist, und daß Söhne deutscher Mütter in südwestafrikanischer Erde begraben werden. Der Roman „Pioniere" von Orla Holm (Berlin, F. Fontane u. Co.) führt in die Zeit des beginnenden Aufstandes und gibt Bilder aus den ersten Etappen des Krieges. Rein ästhetisch genommen bedeutet das Buch nicht viel. Der Verfasser ist offenbar ein Offizier; ich schließe das aus einzelnen Eindrücken, zum Beispiel aus der auch bei Wilhelm von Potenz so häufig vorkommenden Wendung: er zeichnete nicht auf irgend etwas, statt: er tat, als ob er irgend etwas nicht bemerkte. Aber das ist freilich bisher die einzige Verwandtschaft mit diesem zu früh abgeschiednen hervorragenden Erzähler. Holm verfügt über geringe Mittel, sein Wortschatz ist nicht groß, und die Kraft seiner Bilder nicht Zwingend. Trotzdem möchte ich das Buch empfehlen, weil es, soweit das der Nichtkenner vergleichsweise beurteilen kann, echt ist und wirkliche Situationen und Stimmungen wiedergibt. Holm hätte freilich bei Frida von Bülow lernen tonnen, die Schädlinge unsrer jungen Kolonie lebendiger zu zeichnen, als ihm das "u Zorn und im patriotischen Schmerz gelungen ist; aber eben dieser Zorn und dieses vaterländische Empfinden machen dann wieder den Verfasser dem Leser ^eb und lassen diesen künstlerische Bedenken hintansetzen. Schweigen können sie freilich nur vor der Schilderung der Ankunft der Ansiedlerfamilie in den schönen Gefilden des Bergtals und vor der fürchterlichen Katastrophe, die im Beginn des Orlogs über sie hereinbricht. Es läßt sich immerhin aus diesem Buche etwas lernen. In andre Kämpfe, die nicht erst wenig Jahre zurückreichen, führt Friedrich Werner van Oesterens Roman „Christus, nicht Jesus" (Berlin, Egon Fleischel U- Co.). Oefterer nennt sein Werk einen Jesuitenroman und hätte es ebenso¬ gut einen Jntrigantenroman nennen können. Man bekommt beim Lesen immer mehr das Gefühl, von einem riesigen Spinnennetz umschlungen zu sein, und es spricht für Oesterens Erzühlergabe, daß er einen so festzuhalten versteht. Freilich sind es keine dichterischen Anlagen, sondern die eines guten Unterhalters, die er da bewährt. Denn mehr als ein spannender Gesellschaftsroman ist das Buch eben nicht geworden. Alle Requisiten, die in Gutzkows oder in Spielhagens Grenzboten IV 1906 58

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/417
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/417>, abgerufen am 29.04.2024.