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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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lsartmann über das Leben

Atome nur als immaterielle Kraftpunkte gedacht werden. Die Lebenskraft
aber, wird ausgeführt, sei keine besondre und überhaupt keine Energieart.
Denn die verschiednen Energiearten entsprechen den spezifischen Sinnen: das
Licht der Sehkraft, die Wärme der Temperaturempfindung, die chemische
Energie dem Geschmack und Geruch usw., und erzeugen durch Einwirkung auf
diese Sinne die Erscheinung der Körperwelt; diese Energiearten lassen sich eine
in die andre umsetzen, und ihre Leistungen sind meßbar. Von alledem ist bei
der unbekannten Kraft, die das organische Leben erzeugt, keine Rede. Sie
arbeitet, wie gesagt, mit dem vorhandnen Energiestrom, ist aber nicht eine
besondre Form der Energie. Sie stört auch nicht die Gesetzlichkeit des
energetischen Naturlaufs. Geist und Körper wirken aufeinander ein, ohne daß
durch die Einwirkung des Geistes die Summe der Energie vermehrt würde.
(Darüber ist Busse andrer Meinung, der nur das eine der beiden Energiegesetze,
das der Äquivalenz, anerkennt, das andre, das der Konstanz, für unbewiesen
halt.) Auch in den Entwertungsprozeß der Energie bleibt das Leben eingegliedert.
Wie es erst hat entstehen können, nachdem in dem Ansgleichsprozeß zwischen
Sonnen- und Erdenenergie die Temperatur der Erdoberfläche uuter die Ge-
riuuungstemperatur des Eiweiß gesunken war, so wird es aufhören, wenn die
Erdtemperatnr dauernd unter die Gefriertemperatur des Wassers gesunken sein,
die Energie also keinen Lebenswert mehr haben wird. Und daß es so kommen
muß, ist gut, denn "für den endämonologischeu Pessimisten, der an ein Über¬
gewicht der Unlust in allem Leben glaubt, wäre es die furchtbarste Steigerung
des Pessimismus, wenn er an die unendliche Dauer des Weltprozesses und
des Lebens in ihm glauben müßte". Und Hartenau hofft, das Ende werde
durch eine metaphysische Katastrophe herbeigeführt werden, indem auf dein
Gipfelpunkte des geistigen Lebens der Weltwille die Naturgesetze außer Kraft
setzen werde, anstatt den Weltprozeß "langweilig ausbummelu" zu lassen. Mit
dieser Hoffnung nähert sich Hartmann wieder dem christlichen Glauben, dessen
wesentlichste zwei Stücke freilich: den persönlichen Gott und die ewige Seligkeit
der Menschenseelen, er auch in seinem letzten Buche -- uur stillschweigend als
selbstverständlich -- ablehnt. Durch diese Ablehnung wird eben der Pessimismus
unvermeidlich. Wir sind schon zufrieden damit und erkennen es als ein un¬
sterbliches Verdienst des dahingeschiednen großen Philosophen an, daß er der
Sturmflut des Materialismus ohne Wanken standgehalten, dessen antiethischen
Folgerungen seinen ethischen Idealismus entgegengesetzt, zur Widerlegung des
Darwinismus und der Haeckelei den richtigen Weg gezeigt und die Nichtigkeit
der biologischen Trugbilder enthüllt hat, die dreißig Jahre lang dem gläubigen
Publikum als Ergebnisse der exakten Forschung aufgeschwatzt worden sind.




lsartmann über das Leben

Atome nur als immaterielle Kraftpunkte gedacht werden. Die Lebenskraft
aber, wird ausgeführt, sei keine besondre und überhaupt keine Energieart.
Denn die verschiednen Energiearten entsprechen den spezifischen Sinnen: das
Licht der Sehkraft, die Wärme der Temperaturempfindung, die chemische
Energie dem Geschmack und Geruch usw., und erzeugen durch Einwirkung auf
diese Sinne die Erscheinung der Körperwelt; diese Energiearten lassen sich eine
in die andre umsetzen, und ihre Leistungen sind meßbar. Von alledem ist bei
der unbekannten Kraft, die das organische Leben erzeugt, keine Rede. Sie
arbeitet, wie gesagt, mit dem vorhandnen Energiestrom, ist aber nicht eine
besondre Form der Energie. Sie stört auch nicht die Gesetzlichkeit des
energetischen Naturlaufs. Geist und Körper wirken aufeinander ein, ohne daß
durch die Einwirkung des Geistes die Summe der Energie vermehrt würde.
(Darüber ist Busse andrer Meinung, der nur das eine der beiden Energiegesetze,
das der Äquivalenz, anerkennt, das andre, das der Konstanz, für unbewiesen
halt.) Auch in den Entwertungsprozeß der Energie bleibt das Leben eingegliedert.
Wie es erst hat entstehen können, nachdem in dem Ansgleichsprozeß zwischen
Sonnen- und Erdenenergie die Temperatur der Erdoberfläche uuter die Ge-
riuuungstemperatur des Eiweiß gesunken war, so wird es aufhören, wenn die
Erdtemperatnr dauernd unter die Gefriertemperatur des Wassers gesunken sein,
die Energie also keinen Lebenswert mehr haben wird. Und daß es so kommen
muß, ist gut, denn „für den endämonologischeu Pessimisten, der an ein Über¬
gewicht der Unlust in allem Leben glaubt, wäre es die furchtbarste Steigerung
des Pessimismus, wenn er an die unendliche Dauer des Weltprozesses und
des Lebens in ihm glauben müßte". Und Hartenau hofft, das Ende werde
durch eine metaphysische Katastrophe herbeigeführt werden, indem auf dein
Gipfelpunkte des geistigen Lebens der Weltwille die Naturgesetze außer Kraft
setzen werde, anstatt den Weltprozeß „langweilig ausbummelu" zu lassen. Mit
dieser Hoffnung nähert sich Hartmann wieder dem christlichen Glauben, dessen
wesentlichste zwei Stücke freilich: den persönlichen Gott und die ewige Seligkeit
der Menschenseelen, er auch in seinem letzten Buche — uur stillschweigend als
selbstverständlich — ablehnt. Durch diese Ablehnung wird eben der Pessimismus
unvermeidlich. Wir sind schon zufrieden damit und erkennen es als ein un¬
sterbliches Verdienst des dahingeschiednen großen Philosophen an, daß er der
Sturmflut des Materialismus ohne Wanken standgehalten, dessen antiethischen
Folgerungen seinen ethischen Idealismus entgegengesetzt, zur Widerlegung des
Darwinismus und der Haeckelei den richtigen Weg gezeigt und die Nichtigkeit
der biologischen Trugbilder enthüllt hat, die dreißig Jahre lang dem gläubigen
Publikum als Ergebnisse der exakten Forschung aufgeschwatzt worden sind.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/416>, abgerufen am 15.05.2024.