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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

empfangen; wie hätte sich einer, der ganz in Religion lebte und dabei an die
Gnadenmittel glaubte, die beiden gewaltigsten Gnadenmittel entgehn lassen können:
die Priesterweihe und die durch sie verliehene Vollmacht, täglich das Meßopfer
darbringen zu können. Und wie unhierarchisch -- sogar unapostolisch, findet
Schnürer -- ist das Widerstreben gegen eine feste klösterliche Organisation seiner
Jünger! Daß sich Franz seines Gegensatzes zum offiziellen Kirchentume nicht be¬
wußt wurde, ist nicht zu verwundern. Verstandesmäßige Behandlung der Dogmen
hat ihm, dem verzückten "Idioten" -- einen Idioten nannte er sich selbst, und
zwar, sofern man mit dem Worte keinen gehässig verächtlichen Sinn verbindet, mit
Recht --, ganz fern gelegen. Wie hätte er dazu kommen sollen, Dogmen, gelehrten
Spitzfindigkeiten zu widersprechen, die gar nicht in seinen Gesichtskreis traten? Die
Stigmata werden, soviel wir sehen können, jetzt anch von den protestantischen
Historikern als nicht zu bestreitende Tatsache hingenommen. Schnürer hält natür¬
lich auch an ihrem Wundercharakter fest. Er zitiert folgenden Satz aus einer
Muclo nMioals von Th. Colette: II no nous rssw äouo xlus, avonous-Is t,roh
Immvlomout, on xrssönos <lo dans que la, seivueo us pourra Mvais oxpliquor,
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glauben noch, das Wunder, durch Autosuggestion, natürlich erklären zu können.
Unter den lieblichen und rührenden Anekdoten, die Schnürer aus dem Leben des
liebenswürdigen Heiligen erzählt, sind zwei, die wir noch nicht kannten, und die
wir mitteilen wolle", weil wir sie besonders schön finden. "Eines Tages jul seiner
letzten Krcmkheits rief Franz einen der Brüder zu sich, von dem er wußte, daß er
einst Guitarre gespielt hatte, und bat ihn: "Bruder, wolltest du dir nicht heimlich
eine Guitarre leihen und mir damit ein frommes Lied begleiten, das du erfinden
könntest. Meinem Bruder Körper, der soviel zu dulden hat, würdest dn damit
einigen Trost bereiten." Der Bruder hatte das Bedenken, die die Musik hörten,
könnten es übel auslegen, und Franz erwiderte: "Also lassen wir es, Bruder;
denn es ist gut, vieles zu unterlassen, damit die Leute nicht Anstoß nehmen." Aber
Franz wurde für dieses Opfer mehr als entschädigt. In der Nacht darauf horte
er eine wunderbare Musik, die ihn so erquickte, daß er meinte, er sei schon im
Himmel. Öfters saug er französische Heldenlieder, um sich zu neuer Treue für
deu Herrn zu begeistern. Dabei nahm er wohl ein Stück Holz vom Boden auf,
legte es wie eine Fiedel auf seinen linken Arm, strich darauf mit einem Stäbe und
begleitete, wie ein Kind, mit solchem mimischen Spiel sein Lied."




VZscsen
eknupken
oncZOi'H.
Ärztlicherseits vielfach als ideales Schimpfen Mittel bezeuch"^
Wirkuns, frappant.




Maßgebliches und Unmaßgebliches

empfangen; wie hätte sich einer, der ganz in Religion lebte und dabei an die
Gnadenmittel glaubte, die beiden gewaltigsten Gnadenmittel entgehn lassen können:
die Priesterweihe und die durch sie verliehene Vollmacht, täglich das Meßopfer
darbringen zu können. Und wie unhierarchisch — sogar unapostolisch, findet
Schnürer — ist das Widerstreben gegen eine feste klösterliche Organisation seiner
Jünger! Daß sich Franz seines Gegensatzes zum offiziellen Kirchentume nicht be¬
wußt wurde, ist nicht zu verwundern. Verstandesmäßige Behandlung der Dogmen
hat ihm, dem verzückten „Idioten" — einen Idioten nannte er sich selbst, und
zwar, sofern man mit dem Worte keinen gehässig verächtlichen Sinn verbindet, mit
Recht —, ganz fern gelegen. Wie hätte er dazu kommen sollen, Dogmen, gelehrten
Spitzfindigkeiten zu widersprechen, die gar nicht in seinen Gesichtskreis traten? Die
Stigmata werden, soviel wir sehen können, jetzt anch von den protestantischen
Historikern als nicht zu bestreitende Tatsache hingenommen. Schnürer hält natür¬
lich auch an ihrem Wundercharakter fest. Er zitiert folgenden Satz aus einer
Muclo nMioals von Th. Colette: II no nous rssw äouo xlus, avonous-Is t,roh
Immvlomout, on xrssönos <lo dans que la, seivueo us pourra Mvais oxpliquor,
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glauben noch, das Wunder, durch Autosuggestion, natürlich erklären zu können.
Unter den lieblichen und rührenden Anekdoten, die Schnürer aus dem Leben des
liebenswürdigen Heiligen erzählt, sind zwei, die wir noch nicht kannten, und die
wir mitteilen wolle», weil wir sie besonders schön finden. „Eines Tages jul seiner
letzten Krcmkheits rief Franz einen der Brüder zu sich, von dem er wußte, daß er
einst Guitarre gespielt hatte, und bat ihn: »Bruder, wolltest du dir nicht heimlich
eine Guitarre leihen und mir damit ein frommes Lied begleiten, das du erfinden
könntest. Meinem Bruder Körper, der soviel zu dulden hat, würdest dn damit
einigen Trost bereiten.« Der Bruder hatte das Bedenken, die die Musik hörten,
könnten es übel auslegen, und Franz erwiderte: »Also lassen wir es, Bruder;
denn es ist gut, vieles zu unterlassen, damit die Leute nicht Anstoß nehmen.« Aber
Franz wurde für dieses Opfer mehr als entschädigt. In der Nacht darauf horte
er eine wunderbare Musik, die ihn so erquickte, daß er meinte, er sei schon im
Himmel. Öfters saug er französische Heldenlieder, um sich zu neuer Treue für
deu Herrn zu begeistern. Dabei nahm er wohl ein Stück Holz vom Boden auf,
legte es wie eine Fiedel auf seinen linken Arm, strich darauf mit einem Stäbe und
begleitete, wie ein Kind, mit solchem mimischen Spiel sein Lied."




VZscsen
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Ärztlicherseits vielfach als ideales Schimpfen Mittel bezeuch"^
Wirkuns, frappant.




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[0456] Maßgebliches und Unmaßgebliches empfangen; wie hätte sich einer, der ganz in Religion lebte und dabei an die Gnadenmittel glaubte, die beiden gewaltigsten Gnadenmittel entgehn lassen können: die Priesterweihe und die durch sie verliehene Vollmacht, täglich das Meßopfer darbringen zu können. Und wie unhierarchisch — sogar unapostolisch, findet Schnürer — ist das Widerstreben gegen eine feste klösterliche Organisation seiner Jünger! Daß sich Franz seines Gegensatzes zum offiziellen Kirchentume nicht be¬ wußt wurde, ist nicht zu verwundern. Verstandesmäßige Behandlung der Dogmen hat ihm, dem verzückten „Idioten" — einen Idioten nannte er sich selbst, und zwar, sofern man mit dem Worte keinen gehässig verächtlichen Sinn verbindet, mit Recht —, ganz fern gelegen. Wie hätte er dazu kommen sollen, Dogmen, gelehrten Spitzfindigkeiten zu widersprechen, die gar nicht in seinen Gesichtskreis traten? Die Stigmata werden, soviel wir sehen können, jetzt anch von den protestantischen Historikern als nicht zu bestreitende Tatsache hingenommen. Schnürer hält natür¬ lich auch an ihrem Wundercharakter fest. Er zitiert folgenden Satz aus einer Muclo nMioals von Th. Colette: II no nous rssw äouo xlus, avonous-Is t,roh Immvlomout, on xrssönos <lo dans que la, seivueo us pourra Mvais oxpliquor, am'-i, revounaZtl'v I'intervontion ä'um Ä^vnd surus-durst ot äivin, Deutsche Arzte glauben noch, das Wunder, durch Autosuggestion, natürlich erklären zu können. Unter den lieblichen und rührenden Anekdoten, die Schnürer aus dem Leben des liebenswürdigen Heiligen erzählt, sind zwei, die wir noch nicht kannten, und die wir mitteilen wolle», weil wir sie besonders schön finden. „Eines Tages jul seiner letzten Krcmkheits rief Franz einen der Brüder zu sich, von dem er wußte, daß er einst Guitarre gespielt hatte, und bat ihn: »Bruder, wolltest du dir nicht heimlich eine Guitarre leihen und mir damit ein frommes Lied begleiten, das du erfinden könntest. Meinem Bruder Körper, der soviel zu dulden hat, würdest dn damit einigen Trost bereiten.« Der Bruder hatte das Bedenken, die die Musik hörten, könnten es übel auslegen, und Franz erwiderte: »Also lassen wir es, Bruder; denn es ist gut, vieles zu unterlassen, damit die Leute nicht Anstoß nehmen.« Aber Franz wurde für dieses Opfer mehr als entschädigt. In der Nacht darauf horte er eine wunderbare Musik, die ihn so erquickte, daß er meinte, er sei schon im Himmel. Öfters saug er französische Heldenlieder, um sich zu neuer Treue für deu Herrn zu begeistern. Dabei nahm er wohl ein Stück Holz vom Boden auf, legte es wie eine Fiedel auf seinen linken Arm, strich darauf mit einem Stäbe und begleitete, wie ein Kind, mit solchem mimischen Spiel sein Lied." VZscsen eknupken oncZOi'H. Ärztlicherseits vielfach als ideales Schimpfen Mittel bezeuch"^ Wirkuns, frappant.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/456>, abgerufen am 29.04.2024.