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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Der Friede von Altranstädt

der Malerei hat uns besonders der Abschnitt über die Entstehung der Land¬
schaftsmalerei angesprochen. Es heißt da unter anderen: "Die Erkenntnis, daß
die Landschaft als solche der reinste und darum wirkmigsreichste Ausdruck des
menschlichen Gemüts, seiner gehobnen wie der schwermntvollen Stimmungen sein
könne, ist wohl eine der größten künstlerischen Entdeckungen aller Zeiten. Als
subjektives Ausdrucksmittel menschlicher Affekte und Stimmungen nimmt in der
Tat die Landschaftsmalerei unter den bildenden Künsten eine ähnliche Stellung
ein wie die reine, von Gesang und Tanz losgelöste Musik unter den musischen.
Aber jene Entdeckung wäre ohne die vorangegangne Bestimmung der Land¬
schaft, als wirksamer Hintergrund menschlichen Lebens zu dienen, ebensowenig
möglich gewesen, wie es eine rein musikalische Kunst geben würde, wenn dieser
nicht die uralte Verbindung der Musik mit Tanz und Gesang vorausgegangen
wäre. In dem Maße, als die Landschaftskunst den Sinn für die Natur geweckt
und geübt hatte, wurde dann auch die Natur selbst ein Gegenstand ästhetischer
Genüsse." Aus dem oben angedeuteten Zusammenhange der Kunst mit der
Religion ergibt sich am Schlüsse dieser Geschichte der bildenden Künste ein Hin¬
weis auf den Gegenstand, dem der Verfasser zustrebt: Kunst und Religion ent¬
wickeln sich in Wechselwirkung miteinander; die Grenze zwischen niedrer und
Jdealkunst falle annähernd mit der zwischen Mythus und Religion zusammen.
Dazu kann man ja und nein sagen; es ist ein sehr verwickeltes Thema; aber
wir wollen darauf erst eingehn, wenn Wundt im weitern Verlaufe seines Werkes
seinem Versprechen gemäß die Frage beantwortet haben wird: wodurch unter¬
scheidet sich die Religion vom Mythus? Bemerkt werden mag noch, daß nach
Wundes Meinung (die angezweifelt werden darf) die griechische Idealform des
menschlichen Antlitzes entstanden ist "zunächst wohl unabsichtlich, wahrscheinlich
nicht deshalb, weil sie im alten Griechenland verbreiteter gewesen wäre als in
dein heutigen, sondern weil bei ihr die plastische Gestaltung desselben und seiner
Hauptteile, Nase, Augen, Mund und Kinn, auf das deutlichste und zugleich voll¬
kommen ausgeglichen sich darstellte".




Der Friede von Altranstädt
Ronrad Stnrmhoefel Von

unglaublich ist die Behandlung einer so wichtigen diplomatischen
Sache durch König August, wenn man seiner eignen, auch in
die damaligen Zeitungen lancierten Versicherung Glauben schenken
darf: "Da Se. Majestät der König ohnedem niemanden in
Eile bei Sich gehabt, alles in richtiger Form aufsetzen und
I extendieren zu lassen, als hätte er aus großem Vertrauen dem
von Pfingsten so viele Ämrtss ti-me-Kes zugestellt, als nötig gewesen, das
Werk auszumachen, auf welche hernach der ihm nicht völlig bekannt gemachte
Friede und dessen Ratifikation ins Reine gebracht und ausgefertigt- worden."


Der Friede von Altranstädt

der Malerei hat uns besonders der Abschnitt über die Entstehung der Land¬
schaftsmalerei angesprochen. Es heißt da unter anderen: „Die Erkenntnis, daß
die Landschaft als solche der reinste und darum wirkmigsreichste Ausdruck des
menschlichen Gemüts, seiner gehobnen wie der schwermntvollen Stimmungen sein
könne, ist wohl eine der größten künstlerischen Entdeckungen aller Zeiten. Als
subjektives Ausdrucksmittel menschlicher Affekte und Stimmungen nimmt in der
Tat die Landschaftsmalerei unter den bildenden Künsten eine ähnliche Stellung
ein wie die reine, von Gesang und Tanz losgelöste Musik unter den musischen.
Aber jene Entdeckung wäre ohne die vorangegangne Bestimmung der Land¬
schaft, als wirksamer Hintergrund menschlichen Lebens zu dienen, ebensowenig
möglich gewesen, wie es eine rein musikalische Kunst geben würde, wenn dieser
nicht die uralte Verbindung der Musik mit Tanz und Gesang vorausgegangen
wäre. In dem Maße, als die Landschaftskunst den Sinn für die Natur geweckt
und geübt hatte, wurde dann auch die Natur selbst ein Gegenstand ästhetischer
Genüsse." Aus dem oben angedeuteten Zusammenhange der Kunst mit der
Religion ergibt sich am Schlüsse dieser Geschichte der bildenden Künste ein Hin¬
weis auf den Gegenstand, dem der Verfasser zustrebt: Kunst und Religion ent¬
wickeln sich in Wechselwirkung miteinander; die Grenze zwischen niedrer und
Jdealkunst falle annähernd mit der zwischen Mythus und Religion zusammen.
Dazu kann man ja und nein sagen; es ist ein sehr verwickeltes Thema; aber
wir wollen darauf erst eingehn, wenn Wundt im weitern Verlaufe seines Werkes
seinem Versprechen gemäß die Frage beantwortet haben wird: wodurch unter¬
scheidet sich die Religion vom Mythus? Bemerkt werden mag noch, daß nach
Wundes Meinung (die angezweifelt werden darf) die griechische Idealform des
menschlichen Antlitzes entstanden ist „zunächst wohl unabsichtlich, wahrscheinlich
nicht deshalb, weil sie im alten Griechenland verbreiteter gewesen wäre als in
dein heutigen, sondern weil bei ihr die plastische Gestaltung desselben und seiner
Hauptteile, Nase, Augen, Mund und Kinn, auf das deutlichste und zugleich voll¬
kommen ausgeglichen sich darstellte".




Der Friede von Altranstädt
Ronrad Stnrmhoefel Von

unglaublich ist die Behandlung einer so wichtigen diplomatischen
Sache durch König August, wenn man seiner eignen, auch in
die damaligen Zeitungen lancierten Versicherung Glauben schenken
darf: „Da Se. Majestät der König ohnedem niemanden in
Eile bei Sich gehabt, alles in richtiger Form aufsetzen und
I extendieren zu lassen, als hätte er aus großem Vertrauen dem
von Pfingsten so viele Ämrtss ti-me-Kes zugestellt, als nötig gewesen, das
Werk auszumachen, auf welche hernach der ihm nicht völlig bekannt gemachte
Friede und dessen Ratifikation ins Reine gebracht und ausgefertigt- worden."


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[0490] Der Friede von Altranstädt der Malerei hat uns besonders der Abschnitt über die Entstehung der Land¬ schaftsmalerei angesprochen. Es heißt da unter anderen: „Die Erkenntnis, daß die Landschaft als solche der reinste und darum wirkmigsreichste Ausdruck des menschlichen Gemüts, seiner gehobnen wie der schwermntvollen Stimmungen sein könne, ist wohl eine der größten künstlerischen Entdeckungen aller Zeiten. Als subjektives Ausdrucksmittel menschlicher Affekte und Stimmungen nimmt in der Tat die Landschaftsmalerei unter den bildenden Künsten eine ähnliche Stellung ein wie die reine, von Gesang und Tanz losgelöste Musik unter den musischen. Aber jene Entdeckung wäre ohne die vorangegangne Bestimmung der Land¬ schaft, als wirksamer Hintergrund menschlichen Lebens zu dienen, ebensowenig möglich gewesen, wie es eine rein musikalische Kunst geben würde, wenn dieser nicht die uralte Verbindung der Musik mit Tanz und Gesang vorausgegangen wäre. In dem Maße, als die Landschaftskunst den Sinn für die Natur geweckt und geübt hatte, wurde dann auch die Natur selbst ein Gegenstand ästhetischer Genüsse." Aus dem oben angedeuteten Zusammenhange der Kunst mit der Religion ergibt sich am Schlüsse dieser Geschichte der bildenden Künste ein Hin¬ weis auf den Gegenstand, dem der Verfasser zustrebt: Kunst und Religion ent¬ wickeln sich in Wechselwirkung miteinander; die Grenze zwischen niedrer und Jdealkunst falle annähernd mit der zwischen Mythus und Religion zusammen. Dazu kann man ja und nein sagen; es ist ein sehr verwickeltes Thema; aber wir wollen darauf erst eingehn, wenn Wundt im weitern Verlaufe seines Werkes seinem Versprechen gemäß die Frage beantwortet haben wird: wodurch unter¬ scheidet sich die Religion vom Mythus? Bemerkt werden mag noch, daß nach Wundes Meinung (die angezweifelt werden darf) die griechische Idealform des menschlichen Antlitzes entstanden ist „zunächst wohl unabsichtlich, wahrscheinlich nicht deshalb, weil sie im alten Griechenland verbreiteter gewesen wäre als in dein heutigen, sondern weil bei ihr die plastische Gestaltung desselben und seiner Hauptteile, Nase, Augen, Mund und Kinn, auf das deutlichste und zugleich voll¬ kommen ausgeglichen sich darstellte". Der Friede von Altranstädt Ronrad Stnrmhoefel Von unglaublich ist die Behandlung einer so wichtigen diplomatischen Sache durch König August, wenn man seiner eignen, auch in die damaligen Zeitungen lancierten Versicherung Glauben schenken darf: „Da Se. Majestät der König ohnedem niemanden in Eile bei Sich gehabt, alles in richtiger Form aufsetzen und I extendieren zu lassen, als hätte er aus großem Vertrauen dem von Pfingsten so viele Ämrtss ti-me-Kes zugestellt, als nötig gewesen, das Werk auszumachen, auf welche hernach der ihm nicht völlig bekannt gemachte Friede und dessen Ratifikation ins Reine gebracht und ausgefertigt- worden."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/490>, abgerufen am 29.04.2024.