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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Heimatsehnsucht
Jassy Torrund Novelle von
(Fortsetzung)

>es begreife Recklinghans nicht, sagte Heinrich beim Nnchhausegehn.
Hast du das Lied verstanden, was er zuletzt sang? Die Komposition
an sich ist ein kleines Meisterwerk -- aber der Text, dieser gottes¬
lästerliche Text! Heidentum und Christentum, Christus und-- Eros
in einem Atem -- die Lippe sträubt sich fast, das auszusprechen.
>Wie kann ein Christ, ein Katholik so sündhafte Worte singen! Und
erst gar noch komponieren!

Maria hing an ihres Mannes Arm, ihr war das Herz so voll und weich --
langsam kam ihre Seele aus weiter, weiter Vergangenheit zurück. Sie hatte ihn
an das Damals erinnern "vollen, an jenen Abend, wo sie das Lied der Sehnsucht
zum erstenmal gehört -- die seligsüße Weise, die "in mailichter Nacht so eros-
süß, so jesusbang" in ihrer beider Herzen fortgeklungen war als ein Hoheslied
der Liebe.

Sie hatte -- damals wie heute -- den Text über der Melodie vergessen --
nur das Lied, das Lied hatte es ihr angetan. Sein harter Tadel schloß ihr die
Lippen, drängte alles zurück, was in ihrem Herzen zitternd wach geworden. Schweigend
ging sie an seiner Seite.

Du sagst jn gar nichts, drängte er geärgert. In deinen Augen ists wohl schon
ein Verbrechen, an Hans Recklinghaus Kritik zu üben.

Du übst ja keine Kritik an ihn,, dein Tadel trifft weniger den Komponisten
als den Dichter.

Was geht der mich an? Du weißt, wie ich über die modernen Dichter denke.
Aber daß mein Freund, ein katholischer Christ, sich dazu hergibt, ein solches Mach¬
werk zu komponieren, das Göttliches und Gemeines, das Heiligste und das Symbol
der tiefsten sittlichen Erniedrigung des Altertums in frivoler Weise miteinander ver¬
quickt, alle Grenzen zwischen Heidentum und Christentum skrupellos verwischt --
das ists, was mich empört!

Und wie hat sich seine Seele hinein vertieft, daß es ihm gelang, das selt-
same Lied, das wie eine Mär aus uralten Tagen anhebt und sagenhafte Ver¬
gangenheit und traumholde Gegenwart in eins verschmilzt, so zu verloren! Jede
feinste Nuance herausgearbeitet -- und das Lied der Sehnsucht, das durch die
Jahrtausende klingt und alle Saiten des Menschenherzens erzittern macht, ange¬
stimmt! dachte Maria. Hörst du es denn nicht? willst du es nicht hören? bist dn
allein taub und stumpf geblieben?

Laut sagte sie: Dann müßten auch die alten Meister deinem Bannspruch ver¬
fallen! Denk nur an Rubens, an Tizian! Ich meine, die Kunst steht über
allem und adelt alles. Wenigstens haben so die Päpste aller Jahrhunderte gedacht,
als sie die Kunstschätze des heidnischen Altertums in ihren Palästen sammelten.




Heimatsehnsucht
Jassy Torrund Novelle von
(Fortsetzung)

>es begreife Recklinghans nicht, sagte Heinrich beim Nnchhausegehn.
Hast du das Lied verstanden, was er zuletzt sang? Die Komposition
an sich ist ein kleines Meisterwerk — aber der Text, dieser gottes¬
lästerliche Text! Heidentum und Christentum, Christus und— Eros
in einem Atem — die Lippe sträubt sich fast, das auszusprechen.
>Wie kann ein Christ, ein Katholik so sündhafte Worte singen! Und
erst gar noch komponieren!

Maria hing an ihres Mannes Arm, ihr war das Herz so voll und weich —
langsam kam ihre Seele aus weiter, weiter Vergangenheit zurück. Sie hatte ihn
an das Damals erinnern »vollen, an jenen Abend, wo sie das Lied der Sehnsucht
zum erstenmal gehört — die seligsüße Weise, die „in mailichter Nacht so eros-
süß, so jesusbang" in ihrer beider Herzen fortgeklungen war als ein Hoheslied
der Liebe.

Sie hatte — damals wie heute — den Text über der Melodie vergessen —
nur das Lied, das Lied hatte es ihr angetan. Sein harter Tadel schloß ihr die
Lippen, drängte alles zurück, was in ihrem Herzen zitternd wach geworden. Schweigend
ging sie an seiner Seite.

Du sagst jn gar nichts, drängte er geärgert. In deinen Augen ists wohl schon
ein Verbrechen, an Hans Recklinghaus Kritik zu üben.

Du übst ja keine Kritik an ihn,, dein Tadel trifft weniger den Komponisten
als den Dichter.

Was geht der mich an? Du weißt, wie ich über die modernen Dichter denke.
Aber daß mein Freund, ein katholischer Christ, sich dazu hergibt, ein solches Mach¬
werk zu komponieren, das Göttliches und Gemeines, das Heiligste und das Symbol
der tiefsten sittlichen Erniedrigung des Altertums in frivoler Weise miteinander ver¬
quickt, alle Grenzen zwischen Heidentum und Christentum skrupellos verwischt —
das ists, was mich empört!

Und wie hat sich seine Seele hinein vertieft, daß es ihm gelang, das selt-
same Lied, das wie eine Mär aus uralten Tagen anhebt und sagenhafte Ver¬
gangenheit und traumholde Gegenwart in eins verschmilzt, so zu verloren! Jede
feinste Nuance herausgearbeitet — und das Lied der Sehnsucht, das durch die
Jahrtausende klingt und alle Saiten des Menschenherzens erzittern macht, ange¬
stimmt! dachte Maria. Hörst du es denn nicht? willst du es nicht hören? bist dn
allein taub und stumpf geblieben?

Laut sagte sie: Dann müßten auch die alten Meister deinem Bannspruch ver¬
fallen! Denk nur an Rubens, an Tizian! Ich meine, die Kunst steht über
allem und adelt alles. Wenigstens haben so die Päpste aller Jahrhunderte gedacht,
als sie die Kunstschätze des heidnischen Altertums in ihren Palästen sammelten.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/498>, abgerufen am 29.04.2024.