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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Wundes Geschichte der musischen Uünste

es sich angelegen sein lassen, Organisation, Bewaffnung und Ausbildung ihrer
Armeen zu verbessern und die Wehrkraft nach jeder Richtung hin zu stärken.
Der Befestigung sowohl des Schlachtfeldes wie des Operationsfeldes wird eine
erhöhte Bedeutung zugemessen, und jede einzelne Macht ist bestrebt gewesen,
sich die Vorteile der Initiative und Überraschung zu sichern. Wenn so die
einzelnen Mächte ziemlich mit den gleichen Kampfmitteln ausgerüstet einander
gegenübertreten werden, so wird die Angriffsmethode und Kriegführung doch
nur von den Charaktereigenschaften des Feldherrn abhängig bleiben und von
ihnen das eigentliche Gepräge erhalten. Nur das eine wird man als be¬
stimmt voraussehen dürfen, daß von so schnellen und überraschenden Erfolgen,
wie sie im Jahre 1870/71 von der deutschen Armee errungen wurden, in
künftigen Kriegen keine Rede mehr wird sein können. Nicht nur die mannig¬
fachen starken Befestigungsanlagen werden ein Hindernis bilden und einen
Aufenthalt notwendig machen, auch die Ansammlung der großen Heeresmassen
und die Schwierigkeiten ihrer Verpflegung werden ihnen ebenfalls viel von
ihrer frühern Beweglichkeit nehmen. Dadurch werden aber an die Führung
wie an die Truppe gleich hohe Anforderungen herantreten, und die hohen
Erwartungen an beide werden sich nur durch ein harmonisches Zusammen¬
wirken erfüllen lassen.




Wundes Geschichte der musischen Künste

^ - U>le Anfänge der musischen Künste sind schwieriger zu erforsche"
als die der bildenden, weil jene, als Selbstdarstellungen des
Künstlers, sich erst auf einer sehr hohen Stufe der Kulturent¬
wicklung in bleibenden Werken: Schriftdenkmälern, Noten, Musik-
!instrnmenten, Abbildungen tanzender und mimender Menschen,
objektivieren. Wir sind also für die Erforschung der Anfänge auf das Studium
der Naturvölker angewiesen, die den Anfängen näher stehn als die Kultur¬
völker, und deren Treiben ziemlich sichere Schlüsse auf noch frühere Stufen er¬
möglicht. Da sehen wir denn zunächst, daß ein Streit um die Priorität unter
diesen Künsten keinen Sinn haben würde. Sie müssen alle zugleich entstanden
sein. Der von Affekten ergriffne Naturmensch hüpft, gestikuliert, schreit, lärmt,
saßt die mit dem Affekt verbundnen Vorstellungen in Worte, und aus diesen
urwüchsigen Ausdrucksbewegungen sind die einzelnen musischen Künste hervor¬
gegangen. Auch der heutige Naturmensch trennt diese noch nicht voneinander. Er
tanzt nicht, ohne zu singen und zu musizieren, und er singt nicht, ohne sich
rhythmisch zu bewegen; was er singt, das ist gewöhnlich seine eigne, der augen¬
blicklichen Lage und Stimmung angemessene Improvisation, z. B. "Oh, oh!
Der weiße Mann geht nach Hause, oh, oh, er geht nach Hause, oh, oh, nach
Hause, in das glückliche Eiland, wo es Perlen gibt in Menge." Singen,


Wundes Geschichte der musischen Uünste

es sich angelegen sein lassen, Organisation, Bewaffnung und Ausbildung ihrer
Armeen zu verbessern und die Wehrkraft nach jeder Richtung hin zu stärken.
Der Befestigung sowohl des Schlachtfeldes wie des Operationsfeldes wird eine
erhöhte Bedeutung zugemessen, und jede einzelne Macht ist bestrebt gewesen,
sich die Vorteile der Initiative und Überraschung zu sichern. Wenn so die
einzelnen Mächte ziemlich mit den gleichen Kampfmitteln ausgerüstet einander
gegenübertreten werden, so wird die Angriffsmethode und Kriegführung doch
nur von den Charaktereigenschaften des Feldherrn abhängig bleiben und von
ihnen das eigentliche Gepräge erhalten. Nur das eine wird man als be¬
stimmt voraussehen dürfen, daß von so schnellen und überraschenden Erfolgen,
wie sie im Jahre 1870/71 von der deutschen Armee errungen wurden, in
künftigen Kriegen keine Rede mehr wird sein können. Nicht nur die mannig¬
fachen starken Befestigungsanlagen werden ein Hindernis bilden und einen
Aufenthalt notwendig machen, auch die Ansammlung der großen Heeresmassen
und die Schwierigkeiten ihrer Verpflegung werden ihnen ebenfalls viel von
ihrer frühern Beweglichkeit nehmen. Dadurch werden aber an die Führung
wie an die Truppe gleich hohe Anforderungen herantreten, und die hohen
Erwartungen an beide werden sich nur durch ein harmonisches Zusammen¬
wirken erfüllen lassen.




Wundes Geschichte der musischen Künste

^ - U>le Anfänge der musischen Künste sind schwieriger zu erforsche»
als die der bildenden, weil jene, als Selbstdarstellungen des
Künstlers, sich erst auf einer sehr hohen Stufe der Kulturent¬
wicklung in bleibenden Werken: Schriftdenkmälern, Noten, Musik-
!instrnmenten, Abbildungen tanzender und mimender Menschen,
objektivieren. Wir sind also für die Erforschung der Anfänge auf das Studium
der Naturvölker angewiesen, die den Anfängen näher stehn als die Kultur¬
völker, und deren Treiben ziemlich sichere Schlüsse auf noch frühere Stufen er¬
möglicht. Da sehen wir denn zunächst, daß ein Streit um die Priorität unter
diesen Künsten keinen Sinn haben würde. Sie müssen alle zugleich entstanden
sein. Der von Affekten ergriffne Naturmensch hüpft, gestikuliert, schreit, lärmt,
saßt die mit dem Affekt verbundnen Vorstellungen in Worte, und aus diesen
urwüchsigen Ausdrucksbewegungen sind die einzelnen musischen Künste hervor¬
gegangen. Auch der heutige Naturmensch trennt diese noch nicht voneinander. Er
tanzt nicht, ohne zu singen und zu musizieren, und er singt nicht, ohne sich
rhythmisch zu bewegen; was er singt, das ist gewöhnlich seine eigne, der augen¬
blicklichen Lage und Stimmung angemessene Improvisation, z. B. „Oh, oh!
Der weiße Mann geht nach Hause, oh, oh, er geht nach Hause, oh, oh, nach
Hause, in das glückliche Eiland, wo es Perlen gibt in Menge." Singen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/702>, abgerufen am 29.04.2024.