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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Jena
i

le Katastrophe, die der Schlachttag von Jena und Auerstedt über
5 den preußischen Staat gebracht hat, gehört zu den Seltenheiten
in der Geschichte. Zwanzig Jahre nach dem Tode des Großen
Königs, noch im Sonnenschein seines Ruhmes, brach das Heer
!und mit ihm der Staat zusammen, dem es sein hohes Ansehen
erfochten und bis zu jenem Tage behauptet hatte. Jahrzehnte hindurch ist der
Zusammenbruch vou Jena dem .Heere und seinen Führern aufgebürdet worden,
dem Heere, das auf den Lorbeeren Friedrichs des Großen eingeschlafen gewesen
sei, den Führern, die zu alt und zu bequem gewesen seien und weder ihre Zeit
noch den Feind verstanden hätten. Manches daran ist richtig. Die Armee war
veraltet, achtzigjährige Generale, siebzigjährige Negiinentskvimnandeure, sechzig¬
jährige Bataillonskommandeure waren nicht die Führer, die man Napoleon und
seinen Truppen entgegensetzen durfte. Aber der größere Teil der Schuld füllt
nach allen neuern Forschungen doch weniger der Armee als der Politik zu,
der sie als Werkzeug dienen sollte, und deren Planlosigkeit das Heer schon er¬
legen war, ehe es das Schlachtfeld betrat. Der Politik entsprach die Strategie,
die völlig verfehlt war einem Feldherrn gegenüber, der zu nichts weniger ge¬
neigt war als zu halben Maßregeln, und der den Krieg in jeder Hinsicht mit
jener Rücksichtslosigkeit des Nevolutionszeitalters führte, die die preußische Armee
überhaupt niemals erlernt hat.

Bis zum Tode Friedrichs des Großen war der preußische Staat durch
ein einziges Genie regiert worden. Die Lücke, die durch sein Hinscheiden ent¬
stand, hatten seine Nachfolger nicht auszufüllen vermocht. In der Politik wie
im Heerwesen fehlte es nicht ein tüchtigen Männern, wohl aber an einem über¬
ragenden Geiste, der die richtigen Personen an die richtigen Platze zu setzen
verstand und die Summe ihrer Wirksamkeit einheitlich zum Heile des Ganzen
zusammenzufassen vermochte. So kam es, daß man in der alten Überlieferung


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Jena
i

le Katastrophe, die der Schlachttag von Jena und Auerstedt über
5 den preußischen Staat gebracht hat, gehört zu den Seltenheiten
in der Geschichte. Zwanzig Jahre nach dem Tode des Großen
Königs, noch im Sonnenschein seines Ruhmes, brach das Heer
!und mit ihm der Staat zusammen, dem es sein hohes Ansehen
erfochten und bis zu jenem Tage behauptet hatte. Jahrzehnte hindurch ist der
Zusammenbruch vou Jena dem .Heere und seinen Führern aufgebürdet worden,
dem Heere, das auf den Lorbeeren Friedrichs des Großen eingeschlafen gewesen
sei, den Führern, die zu alt und zu bequem gewesen seien und weder ihre Zeit
noch den Feind verstanden hätten. Manches daran ist richtig. Die Armee war
veraltet, achtzigjährige Generale, siebzigjährige Negiinentskvimnandeure, sechzig¬
jährige Bataillonskommandeure waren nicht die Führer, die man Napoleon und
seinen Truppen entgegensetzen durfte. Aber der größere Teil der Schuld füllt
nach allen neuern Forschungen doch weniger der Armee als der Politik zu,
der sie als Werkzeug dienen sollte, und deren Planlosigkeit das Heer schon er¬
legen war, ehe es das Schlachtfeld betrat. Der Politik entsprach die Strategie,
die völlig verfehlt war einem Feldherrn gegenüber, der zu nichts weniger ge¬
neigt war als zu halben Maßregeln, und der den Krieg in jeder Hinsicht mit
jener Rücksichtslosigkeit des Nevolutionszeitalters führte, die die preußische Armee
überhaupt niemals erlernt hat.

Bis zum Tode Friedrichs des Großen war der preußische Staat durch
ein einziges Genie regiert worden. Die Lücke, die durch sein Hinscheiden ent¬
stand, hatten seine Nachfolger nicht auszufüllen vermocht. In der Politik wie
im Heerwesen fehlte es nicht ein tüchtigen Männern, wohl aber an einem über¬
ragenden Geiste, der die richtigen Personen an die richtigen Platze zu setzen
verstand und die Summe ihrer Wirksamkeit einheitlich zum Heile des Ganzen
zusammenzufassen vermochte. So kam es, daß man in der alten Überlieferung


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[0073] [Abbildung] Jena i le Katastrophe, die der Schlachttag von Jena und Auerstedt über 5 den preußischen Staat gebracht hat, gehört zu den Seltenheiten in der Geschichte. Zwanzig Jahre nach dem Tode des Großen Königs, noch im Sonnenschein seines Ruhmes, brach das Heer !und mit ihm der Staat zusammen, dem es sein hohes Ansehen erfochten und bis zu jenem Tage behauptet hatte. Jahrzehnte hindurch ist der Zusammenbruch vou Jena dem .Heere und seinen Führern aufgebürdet worden, dem Heere, das auf den Lorbeeren Friedrichs des Großen eingeschlafen gewesen sei, den Führern, die zu alt und zu bequem gewesen seien und weder ihre Zeit noch den Feind verstanden hätten. Manches daran ist richtig. Die Armee war veraltet, achtzigjährige Generale, siebzigjährige Negiinentskvimnandeure, sechzig¬ jährige Bataillonskommandeure waren nicht die Führer, die man Napoleon und seinen Truppen entgegensetzen durfte. Aber der größere Teil der Schuld füllt nach allen neuern Forschungen doch weniger der Armee als der Politik zu, der sie als Werkzeug dienen sollte, und deren Planlosigkeit das Heer schon er¬ legen war, ehe es das Schlachtfeld betrat. Der Politik entsprach die Strategie, die völlig verfehlt war einem Feldherrn gegenüber, der zu nichts weniger ge¬ neigt war als zu halben Maßregeln, und der den Krieg in jeder Hinsicht mit jener Rücksichtslosigkeit des Nevolutionszeitalters führte, die die preußische Armee überhaupt niemals erlernt hat. Bis zum Tode Friedrichs des Großen war der preußische Staat durch ein einziges Genie regiert worden. Die Lücke, die durch sein Hinscheiden ent¬ stand, hatten seine Nachfolger nicht auszufüllen vermocht. In der Politik wie im Heerwesen fehlte es nicht ein tüchtigen Männern, wohl aber an einem über¬ ragenden Geiste, der die richtigen Personen an die richtigen Platze zu setzen verstand und die Summe ihrer Wirksamkeit einheitlich zum Heile des Ganzen zusammenzufassen vermochte. So kam es, daß man in der alten Überlieferung Gvcnzboten lV 190« 9

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/73>, abgerufen am 29.04.2024.