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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Miliz Friedrich der Große und der Baron warkotsch

Böhmer gesteht in seinem vortrefflichen Büchlein: Luther im Lichte der
neueren Forschung (Leipzig, V. G. Teubner, 1906), daß in diesem Lichte
so manches Luthergeschichtchen als Legende erkannt wird; auch Denifle, der
übrigens mit Humor abgefertigt wird, habe zur Erkenntnis des wirklichen
Luthers einiges beigetragen. Daß ein Ordensgenosse der Patres Sprenger und
Heinrich Jnstitoris Luthers Werk rein psychologisch erklärt und dabei des
Teufels auch nicht ein klein wenig bedarf, ist ein gewaltiger Fortschritt, ein
Fortschritt, der gefährliche dogmatische Konsequenzen haben wird -- gefährliche
vom orthodoxen Standpunkt aus gesehen. Mögen sie dem Pater Weiß vor¬
läufig verborgen bleiben, damit er nicht, durch sie erschreckt, auf dem ein¬
L. I> geschlagnen Wege vernünftiger Forschung zurückweiche.




König Friedrich der Große und der Baron Warkotsch
W. Berg von1

ach der Ankunft in dem dnrch die Beschießung von 1760 ver¬
wüsteten Stadtschlosse zu Breslau klagte der große König am
10. Dezember 1761 über seine traurige Lage: "Jedes Bündel
Stroh, jeder Schub Rekruten, jede Sendung Geld, alles, was
an mich gelangt, ist oder wird eine Gunst meiner Feinde oder
ein Beweis für ihre Nachlässigkeit, da sie eigentlich alles wegnehmen können.
In Sachsen sind die Österreicher Meister der Berge, Thüringen beherrschen
die Kreistrnppen, die Franzosen sind bis Mühlhausen vorgerückt. Alles das
schnürt uns so ein und gibt unsern Feinden so große Vorteile, daß ich, wenn
sie auch nur mit halber Kraft handeln, nicht absehe, wie wir unsern Unter¬
gang noch hinausschieben können. Hier in Schlesien sind alle Festungen den
Unternehmungen des Feindes ausgesetzt, Stettin, Küstrin und selbst Berlin
sind dem Belieben der Russen preisgegeben, in Sachsen ist mein Bruder sozu¬
sagen bei der ersten Bewegung Dauns über die Elbe zurückgeworfen. Alles
das ist sehr reell, es sind nicht etwa Voraussagungen eines hypochondrischen
und misanthropischen Sinnes, sondern unglücklicherweise notwendige Wirkungen
der von unsern Feinden wohl vorbereiteten Ursachen." Der schwerste Schlag
für ihn war der Fall der Festung Schweidnitz gewesen, die Laudon in kühnem
Sturm um 1. Oktober genommen hatte. Man habe ihm, so schreibt Friedrich,
eine Festung in zwei Stunden wegnehmen können, während er nur einen
Tagemarsch weit von ihr gestanden hätte, künftig werde er für jede Festung
eine Armee brauchen. Seine Pläne für einen Einmarsch nach Oberschlesien,
Mähren oder Böhmen waren vereitelt. Er konnte nur noch daran denken,


Miliz Friedrich der Große und der Baron warkotsch

Böhmer gesteht in seinem vortrefflichen Büchlein: Luther im Lichte der
neueren Forschung (Leipzig, V. G. Teubner, 1906), daß in diesem Lichte
so manches Luthergeschichtchen als Legende erkannt wird; auch Denifle, der
übrigens mit Humor abgefertigt wird, habe zur Erkenntnis des wirklichen
Luthers einiges beigetragen. Daß ein Ordensgenosse der Patres Sprenger und
Heinrich Jnstitoris Luthers Werk rein psychologisch erklärt und dabei des
Teufels auch nicht ein klein wenig bedarf, ist ein gewaltiger Fortschritt, ein
Fortschritt, der gefährliche dogmatische Konsequenzen haben wird — gefährliche
vom orthodoxen Standpunkt aus gesehen. Mögen sie dem Pater Weiß vor¬
läufig verborgen bleiben, damit er nicht, durch sie erschreckt, auf dem ein¬
L. I> geschlagnen Wege vernünftiger Forschung zurückweiche.




König Friedrich der Große und der Baron Warkotsch
W. Berg von1

ach der Ankunft in dem dnrch die Beschießung von 1760 ver¬
wüsteten Stadtschlosse zu Breslau klagte der große König am
10. Dezember 1761 über seine traurige Lage: „Jedes Bündel
Stroh, jeder Schub Rekruten, jede Sendung Geld, alles, was
an mich gelangt, ist oder wird eine Gunst meiner Feinde oder
ein Beweis für ihre Nachlässigkeit, da sie eigentlich alles wegnehmen können.
In Sachsen sind die Österreicher Meister der Berge, Thüringen beherrschen
die Kreistrnppen, die Franzosen sind bis Mühlhausen vorgerückt. Alles das
schnürt uns so ein und gibt unsern Feinden so große Vorteile, daß ich, wenn
sie auch nur mit halber Kraft handeln, nicht absehe, wie wir unsern Unter¬
gang noch hinausschieben können. Hier in Schlesien sind alle Festungen den
Unternehmungen des Feindes ausgesetzt, Stettin, Küstrin und selbst Berlin
sind dem Belieben der Russen preisgegeben, in Sachsen ist mein Bruder sozu¬
sagen bei der ersten Bewegung Dauns über die Elbe zurückgeworfen. Alles
das ist sehr reell, es sind nicht etwa Voraussagungen eines hypochondrischen
und misanthropischen Sinnes, sondern unglücklicherweise notwendige Wirkungen
der von unsern Feinden wohl vorbereiteten Ursachen." Der schwerste Schlag
für ihn war der Fall der Festung Schweidnitz gewesen, die Laudon in kühnem
Sturm um 1. Oktober genommen hatte. Man habe ihm, so schreibt Friedrich,
eine Festung in zwei Stunden wegnehmen können, während er nur einen
Tagemarsch weit von ihr gestanden hätte, künftig werde er für jede Festung
eine Armee brauchen. Seine Pläne für einen Einmarsch nach Oberschlesien,
Mähren oder Böhmen waren vereitelt. Er konnte nur noch daran denken,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/100>, abgerufen am 02.05.2024.