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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Denifle, Pater Meiß und das evangelische iLhnstentum

denen man sich vorstellt, daß sie Erzeugnisse des antikatholischen Geistes seien
(falschlich vorstellt: Kopernikus, Cartesius, Pascal, Galvani, Volta. Ampere,
Fresnel, Frauenhofer, Foucault sind gläubige Katholiken gewesen; Pasteur soll
ein solcher sein), dann kann auf der Basis dieses Protestantismus, der nur
eine Kulturgemeinschaft, nicht eine Religion oder Konfession ist, überhaupt keine
Diskussion über religiöse Dinge geführt werden. Der von Vertretern dieses
Protestantismus augegriffue Katholik hat das Recht, zu sagen: ich antworte
nicht eher, als bis einer von den zehn oder hundert Leuten, die auf mich ein¬
stürmen, die aber untereinander uneins sind, die ganz verschiedne, ja entgegen¬
gesetzte Dinge behaupten, als der allein bevollmächtigte Wortführer aller
übrigen feierlich anerkannt wird. Dieser verzwickten Lage kann, meine ich, nur
dadurch abgeholfen werden, daß man die Bezeichnung Protestantismus, die doch
nur noch historische Bedeutung und als bloße Negation einen schlechten Bei¬
geschmack hat, ganz fallen läßt, und daß die evangelischen Christen, die wirklich
noch Christen sind, nur von evangelischem Christentum und evangelischer Kirche
sprechen. Wollen die Vertreter der atheistischen Wissenschaft, die der modernen
Technik und die des modernen Mmnmonismus für ihr Konsortium einen ge¬
meinsamen Namen haben, so mögen sie einen solche" aus einem andern als
dem kirchengeschichtlichen Fache wähle". Der Begriff, deu dieser Name dann
bezeichnet, "mfaßt auch viele Millionen Katholiken, u. a. die ganze zurzeit in
Frankreich herrschende politische Partei.

Des Verfassers Lutherpsychologie füllt natürlich nicht gerade schmeichelhaft
aus, ist aber auch kein Zerrbild. Ein kurzes Zitat mag seine Weise andeuten.
"Zu einem Gemütsmenschen hatte er die schönsten Anlagen, wie man überall
herausfühlt. Tiefe zwar und Innerlichkeit waren ihm versagt. Beides sucht
auch niemand bei einem, der seine Zunge so wenig meistern kann. Stille
Wasser gründen tief, wer aber das Herz auf der Zunge hat, bei dem muß der
Brustkasten leer stehen. Die gemütliche Seite des Charakters dagegen war
Luther in reichlichem Maße gegeben, und nie konnte er diese ganz verleugnen.
Das ist auch einer der Gründe dafür, daß er die Menschen so leicht für sich
gewann. Selbst wo er poltert, macht mau sich im allgemeinen nicht viel
daraus. Luther war einer von jenen Charakteren, halb gutmütig, halb zorn¬
mütig, die von Zeit zu Zeit mit dem Dreschflegel ans andre losschlagen müsse",
bald um ihre Weichheit zu verbergen, bald, weil sie sich nicht ruhig der Gefahr
der Ausbeutung durch andre erwehren können, oder weil sie keinen andern Weg
finden, den sinkenden Respekt vor sich zu retten, bald um ihrer Übeln Laune
Lust zu machen. Er selbst sagt, daß er des Zornes bedurft habe, um sein
Gemüt zu erfrischen, seinen Verstand zu schärfen, unlustige Gedanken und An¬
fechtungen zu vertreiben, ja sogar, wenn er dichten, schreiben, beten oder
Predigen wollte." Dieses ganze Hauptkapitel des Buches Satz für Satz durch¬
zuprüfen, ist Sache der Lutherforscher. Ich glaube, sie werden nicht alles darin
verwerflich finden und manchen Gewinn daraus ziehn. Professor Heinrich


Denifle, Pater Meiß und das evangelische iLhnstentum

denen man sich vorstellt, daß sie Erzeugnisse des antikatholischen Geistes seien
(falschlich vorstellt: Kopernikus, Cartesius, Pascal, Galvani, Volta. Ampere,
Fresnel, Frauenhofer, Foucault sind gläubige Katholiken gewesen; Pasteur soll
ein solcher sein), dann kann auf der Basis dieses Protestantismus, der nur
eine Kulturgemeinschaft, nicht eine Religion oder Konfession ist, überhaupt keine
Diskussion über religiöse Dinge geführt werden. Der von Vertretern dieses
Protestantismus augegriffue Katholik hat das Recht, zu sagen: ich antworte
nicht eher, als bis einer von den zehn oder hundert Leuten, die auf mich ein¬
stürmen, die aber untereinander uneins sind, die ganz verschiedne, ja entgegen¬
gesetzte Dinge behaupten, als der allein bevollmächtigte Wortführer aller
übrigen feierlich anerkannt wird. Dieser verzwickten Lage kann, meine ich, nur
dadurch abgeholfen werden, daß man die Bezeichnung Protestantismus, die doch
nur noch historische Bedeutung und als bloße Negation einen schlechten Bei¬
geschmack hat, ganz fallen läßt, und daß die evangelischen Christen, die wirklich
noch Christen sind, nur von evangelischem Christentum und evangelischer Kirche
sprechen. Wollen die Vertreter der atheistischen Wissenschaft, die der modernen
Technik und die des modernen Mmnmonismus für ihr Konsortium einen ge¬
meinsamen Namen haben, so mögen sie einen solche» aus einem andern als
dem kirchengeschichtlichen Fache wähle». Der Begriff, deu dieser Name dann
bezeichnet, »mfaßt auch viele Millionen Katholiken, u. a. die ganze zurzeit in
Frankreich herrschende politische Partei.

Des Verfassers Lutherpsychologie füllt natürlich nicht gerade schmeichelhaft
aus, ist aber auch kein Zerrbild. Ein kurzes Zitat mag seine Weise andeuten.
„Zu einem Gemütsmenschen hatte er die schönsten Anlagen, wie man überall
herausfühlt. Tiefe zwar und Innerlichkeit waren ihm versagt. Beides sucht
auch niemand bei einem, der seine Zunge so wenig meistern kann. Stille
Wasser gründen tief, wer aber das Herz auf der Zunge hat, bei dem muß der
Brustkasten leer stehen. Die gemütliche Seite des Charakters dagegen war
Luther in reichlichem Maße gegeben, und nie konnte er diese ganz verleugnen.
Das ist auch einer der Gründe dafür, daß er die Menschen so leicht für sich
gewann. Selbst wo er poltert, macht mau sich im allgemeinen nicht viel
daraus. Luther war einer von jenen Charakteren, halb gutmütig, halb zorn¬
mütig, die von Zeit zu Zeit mit dem Dreschflegel ans andre losschlagen müsse»,
bald um ihre Weichheit zu verbergen, bald, weil sie sich nicht ruhig der Gefahr
der Ausbeutung durch andre erwehren können, oder weil sie keinen andern Weg
finden, den sinkenden Respekt vor sich zu retten, bald um ihrer Übeln Laune
Lust zu machen. Er selbst sagt, daß er des Zornes bedurft habe, um sein
Gemüt zu erfrischen, seinen Verstand zu schärfen, unlustige Gedanken und An¬
fechtungen zu vertreiben, ja sogar, wenn er dichten, schreiben, beten oder
Predigen wollte." Dieses ganze Hauptkapitel des Buches Satz für Satz durch¬
zuprüfen, ist Sache der Lutherforscher. Ich glaube, sie werden nicht alles darin
verwerflich finden und manchen Gewinn daraus ziehn. Professor Heinrich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/99>, abgerufen am 22.05.2024.