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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Aufforderung zum Kampf gegen die unechten Farben
ol', Paul Rrais Lin offner Brief a" das Publikum vonin
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> cum wir größere Einkäufe machen wollen, ist es rätlich, daß wir
vorgehen wie jeder geschäftliche Einkäufer, indem wir uns Muster
!von einem oder mehrerei? Geschäften kommen lassen und diese
prüfen. In unserm Falle brauchen wir dazu weiter nichts als
unsre Augen und geschickte Finger und an Werkzeugen und
sonstigen Hilfsmitteln eine Stecknadel, ein paar Streichhölzer, ein weißes
Taschentuch und allenfalls ein wenig warmes Wasser und Seife. Außerdem
aber müssen wir wissen, auf was wir prüfen sollen.

Was wir zu allererst wissen müssen, ist, aus was für Spinnmaterial unser
Muster besteht, das heißt, was seine Faser ist. Wir ziehen ein Fädchen aus
<2 bis 3 Zentimeter genügen), feuchten das Ende, das wir nachher zwischen
den Fingern behalten, an (damit wir uns nicht verbrennen, wenn der Faden
rasch abbrennen sollte) und zünden dann das trockne Ende an und beobachten.
Brennt der Faden rasch ab und brennt er weiter bis zu der befeuchteten Stelle, so
liegt Pflanzenfaser vor, also Baumwolle, Leinen, Hanf, Flachs, Ramle (China¬
gras) oder Jute. Es könnte auch Kunstseide sein, die sich aber durch ihren sogar
die Seide übertreffenden Glanz leicht unterscheiden läßt. Außerdem wird Kunst¬
seide durch Befeuchten so weich, daß sie beim leisesten Ziehen bricht, auch wenn man
mehrere Fäden zusammen nimmt. Hierdurch unterscheidet sich die künstliche Seide,
auch Glanzstoff genannt, sehr zu ihrem Nachteil von den natürlichen Fasern.

Über die Asche, die etwa nach dem Verbrennen der pflanzlichen Faser
zurückbleibt, sprechen wir später; die ungefärbter und gebleichten Fasern hinter¬
lassen jedoch so gut wie keine Asche. Beim Verbrennen können wir zugleich
deu charakteristischen Geruch nach verbranntem Papier, das ja auch aus Pflanzen¬
faser besteht, bemerken.

Brennt unser Faden nur schlecht an und will nicht weiter brennen,
sondern bildet am angebrannten Ende ein schwarzes Kügelchen, und tritt
zugleich ein Geruch nach angebrannten Haaren oder Leim auf, so haben
wir Tierfaser vor uns, also Wolle, Mohair, Kamelhaar usw. oder Seide.
Das Kügelchen läßt sich nach dem Erkalten leicht zerdrücken, es besteht aus
Kohle, die durch die entwickelten Gase schwammig aufgebläht worden ist. Der
Unterschied zwischen Wolle und Seide liegt ja meist auf der Hand, sollten wir
aber doch einmal im Zweifel sein, ob ein Tierhaar oder eine Kokonfaser vor-




Aufforderung zum Kampf gegen die unechten Farben
ol', Paul Rrais Lin offner Brief a» das Publikum vonin
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> cum wir größere Einkäufe machen wollen, ist es rätlich, daß wir
vorgehen wie jeder geschäftliche Einkäufer, indem wir uns Muster
!von einem oder mehrerei? Geschäften kommen lassen und diese
prüfen. In unserm Falle brauchen wir dazu weiter nichts als
unsre Augen und geschickte Finger und an Werkzeugen und
sonstigen Hilfsmitteln eine Stecknadel, ein paar Streichhölzer, ein weißes
Taschentuch und allenfalls ein wenig warmes Wasser und Seife. Außerdem
aber müssen wir wissen, auf was wir prüfen sollen.

Was wir zu allererst wissen müssen, ist, aus was für Spinnmaterial unser
Muster besteht, das heißt, was seine Faser ist. Wir ziehen ein Fädchen aus
<2 bis 3 Zentimeter genügen), feuchten das Ende, das wir nachher zwischen
den Fingern behalten, an (damit wir uns nicht verbrennen, wenn der Faden
rasch abbrennen sollte) und zünden dann das trockne Ende an und beobachten.
Brennt der Faden rasch ab und brennt er weiter bis zu der befeuchteten Stelle, so
liegt Pflanzenfaser vor, also Baumwolle, Leinen, Hanf, Flachs, Ramle (China¬
gras) oder Jute. Es könnte auch Kunstseide sein, die sich aber durch ihren sogar
die Seide übertreffenden Glanz leicht unterscheiden läßt. Außerdem wird Kunst¬
seide durch Befeuchten so weich, daß sie beim leisesten Ziehen bricht, auch wenn man
mehrere Fäden zusammen nimmt. Hierdurch unterscheidet sich die künstliche Seide,
auch Glanzstoff genannt, sehr zu ihrem Nachteil von den natürlichen Fasern.

Über die Asche, die etwa nach dem Verbrennen der pflanzlichen Faser
zurückbleibt, sprechen wir später; die ungefärbter und gebleichten Fasern hinter¬
lassen jedoch so gut wie keine Asche. Beim Verbrennen können wir zugleich
deu charakteristischen Geruch nach verbranntem Papier, das ja auch aus Pflanzen¬
faser besteht, bemerken.

Brennt unser Faden nur schlecht an und will nicht weiter brennen,
sondern bildet am angebrannten Ende ein schwarzes Kügelchen, und tritt
zugleich ein Geruch nach angebrannten Haaren oder Leim auf, so haben
wir Tierfaser vor uns, also Wolle, Mohair, Kamelhaar usw. oder Seide.
Das Kügelchen läßt sich nach dem Erkalten leicht zerdrücken, es besteht aus
Kohle, die durch die entwickelten Gase schwammig aufgebläht worden ist. Der
Unterschied zwischen Wolle und Seide liegt ja meist auf der Hand, sollten wir
aber doch einmal im Zweifel sein, ob ein Tierhaar oder eine Kokonfaser vor-


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[0574] [Abbildung] Aufforderung zum Kampf gegen die unechten Farben ol', Paul Rrais Lin offner Brief a» das Publikum vonin 4 > cum wir größere Einkäufe machen wollen, ist es rätlich, daß wir vorgehen wie jeder geschäftliche Einkäufer, indem wir uns Muster !von einem oder mehrerei? Geschäften kommen lassen und diese prüfen. In unserm Falle brauchen wir dazu weiter nichts als unsre Augen und geschickte Finger und an Werkzeugen und sonstigen Hilfsmitteln eine Stecknadel, ein paar Streichhölzer, ein weißes Taschentuch und allenfalls ein wenig warmes Wasser und Seife. Außerdem aber müssen wir wissen, auf was wir prüfen sollen. Was wir zu allererst wissen müssen, ist, aus was für Spinnmaterial unser Muster besteht, das heißt, was seine Faser ist. Wir ziehen ein Fädchen aus <2 bis 3 Zentimeter genügen), feuchten das Ende, das wir nachher zwischen den Fingern behalten, an (damit wir uns nicht verbrennen, wenn der Faden rasch abbrennen sollte) und zünden dann das trockne Ende an und beobachten. Brennt der Faden rasch ab und brennt er weiter bis zu der befeuchteten Stelle, so liegt Pflanzenfaser vor, also Baumwolle, Leinen, Hanf, Flachs, Ramle (China¬ gras) oder Jute. Es könnte auch Kunstseide sein, die sich aber durch ihren sogar die Seide übertreffenden Glanz leicht unterscheiden läßt. Außerdem wird Kunst¬ seide durch Befeuchten so weich, daß sie beim leisesten Ziehen bricht, auch wenn man mehrere Fäden zusammen nimmt. Hierdurch unterscheidet sich die künstliche Seide, auch Glanzstoff genannt, sehr zu ihrem Nachteil von den natürlichen Fasern. Über die Asche, die etwa nach dem Verbrennen der pflanzlichen Faser zurückbleibt, sprechen wir später; die ungefärbter und gebleichten Fasern hinter¬ lassen jedoch so gut wie keine Asche. Beim Verbrennen können wir zugleich deu charakteristischen Geruch nach verbranntem Papier, das ja auch aus Pflanzen¬ faser besteht, bemerken. Brennt unser Faden nur schlecht an und will nicht weiter brennen, sondern bildet am angebrannten Ende ein schwarzes Kügelchen, und tritt zugleich ein Geruch nach angebrannten Haaren oder Leim auf, so haben wir Tierfaser vor uns, also Wolle, Mohair, Kamelhaar usw. oder Seide. Das Kügelchen läßt sich nach dem Erkalten leicht zerdrücken, es besteht aus Kohle, die durch die entwickelten Gase schwammig aufgebläht worden ist. Der Unterschied zwischen Wolle und Seide liegt ja meist auf der Hand, sollten wir aber doch einmal im Zweifel sein, ob ein Tierhaar oder eine Kokonfaser vor-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/574>, abgerufen am 02.05.2024.