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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

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Die Haselnuß

kleine Tal im lichten Soimmschein, Wir schauten oft zurück, bis es nicht
mehr zu sehen war.

Die Gegend, die nun vor uns lag, war aber nicht weniger reizvoll. Das
Tal von Chevreuse windet sich zwischen grünen Hügeln hin. Damals zogen
sich die Abhänge leuchtendgelb zu den Wiesen, Feldern und Dörfern herab,
denn die großen Goldginsterbüsche standen in Blüte. Über der Landschaft lag
Festtagsstille. Ich entsinne mich zweier alter Bauernhöfe mit hohen, dicht-
nmrankten Steinwällen und mächtigen xiAsoiimors. Lautlos und verträumt
standen sie da, feudal und geheimnisvoll wie Dornröschens Märchenschlosz.
Auch in den Ortschaften ruhte die Arbeit. Saint-Lambert-les-Bois war die
erste, die sich unsern Blicken darbot. Kirche und Schloß liegen auf einem vor¬
gelagerten Hügel, als wollten sie das Tal hüten. Nach einem vergnügten
Picknick im Buchenwald wurde dieser Hügel "genommen". Dann ging es
durch das Dorf hinunter ins Tal. Im Sommer mag es dort etwas heiß
sein, aber für einen heitern, frischen Frühlingstag ist dieser Ausflug wie ge¬
schaffen. Zwei Pfüffleiu, die uns im Winde entgegensegelten, bekamen deutsche
Wanderlieder zu hören, und die Nachmittagssonne sah uns ein Stück hinter
Mikon-la-Chapelle lang im "hohen, grünen" Grase liegen wie lyrische Dichter.
Als sie aber etwas später ihre Strahlen in der Geißblattlaube des Hotels
von Saint-Remy-les-Chevreuse tanzen ließ, merkte sie, daß wir sehr normale
Menschen waren, denn sie sah da alle Blicke beseligt um einer umfangreichen
Karaffe hängen. Mit großen Wiesenstränßen beladen, kehrten wir gegen Abend
zurück, und beim Erzählen durchlebten wir den genußreichen Tag noch ein¬
mal. Ernste Erinnerungen, verwoben mit heiterer Gegenwart, hatten der
Wanderung einen eignen Zauber verliehen.




Die Haselnuß
Julius R. Haarhaus iLiu Leipziger Märchen von
(Schluß)

u der Stunde, wo die launenhafte Glücksgöttin Herrn Raue und dem
^ Goldenen Kranich den Rücken wandte, machte der Advokat Schrödter
seinen gewohnten Mittagsspaziergang "ums Tor". Er konnte sich
i das erlauben, denn der Andrang der Klienten hielt sich bei ihm in
! so bescheidnen Grenzen, daß weder er noch sein Burecmvvrstnnd recht
! wußten, wie sie die Langeweile, die ini Wartezimmer alle Stühle
besetzt hielt, im Bureau unter den hohen schwarzgestrichnen Stehpulten hockte,
hinter den verschossenen grünen Portieren lauerte und ans den leeren Fächern des
Aktenschrankes grinste, wirksam bekämpfen sollten.

Denn Schrödters Gesetzeskenntnis, Gewandtheit und Rednergabe hatten bisher
durchaus noch nicht die Beachtung und Anerkennung gefunden, die sie doch eigentlich


Die Haselnuß

kleine Tal im lichten Soimmschein, Wir schauten oft zurück, bis es nicht
mehr zu sehen war.

Die Gegend, die nun vor uns lag, war aber nicht weniger reizvoll. Das
Tal von Chevreuse windet sich zwischen grünen Hügeln hin. Damals zogen
sich die Abhänge leuchtendgelb zu den Wiesen, Feldern und Dörfern herab,
denn die großen Goldginsterbüsche standen in Blüte. Über der Landschaft lag
Festtagsstille. Ich entsinne mich zweier alter Bauernhöfe mit hohen, dicht-
nmrankten Steinwällen und mächtigen xiAsoiimors. Lautlos und verträumt
standen sie da, feudal und geheimnisvoll wie Dornröschens Märchenschlosz.
Auch in den Ortschaften ruhte die Arbeit. Saint-Lambert-les-Bois war die
erste, die sich unsern Blicken darbot. Kirche und Schloß liegen auf einem vor¬
gelagerten Hügel, als wollten sie das Tal hüten. Nach einem vergnügten
Picknick im Buchenwald wurde dieser Hügel „genommen". Dann ging es
durch das Dorf hinunter ins Tal. Im Sommer mag es dort etwas heiß
sein, aber für einen heitern, frischen Frühlingstag ist dieser Ausflug wie ge¬
schaffen. Zwei Pfüffleiu, die uns im Winde entgegensegelten, bekamen deutsche
Wanderlieder zu hören, und die Nachmittagssonne sah uns ein Stück hinter
Mikon-la-Chapelle lang im „hohen, grünen" Grase liegen wie lyrische Dichter.
Als sie aber etwas später ihre Strahlen in der Geißblattlaube des Hotels
von Saint-Remy-les-Chevreuse tanzen ließ, merkte sie, daß wir sehr normale
Menschen waren, denn sie sah da alle Blicke beseligt um einer umfangreichen
Karaffe hängen. Mit großen Wiesenstränßen beladen, kehrten wir gegen Abend
zurück, und beim Erzählen durchlebten wir den genußreichen Tag noch ein¬
mal. Ernste Erinnerungen, verwoben mit heiterer Gegenwart, hatten der
Wanderung einen eignen Zauber verliehen.




Die Haselnuß
Julius R. Haarhaus iLiu Leipziger Märchen von
(Schluß)

u der Stunde, wo die launenhafte Glücksgöttin Herrn Raue und dem
^ Goldenen Kranich den Rücken wandte, machte der Advokat Schrödter
seinen gewohnten Mittagsspaziergang „ums Tor". Er konnte sich
i das erlauben, denn der Andrang der Klienten hielt sich bei ihm in
! so bescheidnen Grenzen, daß weder er noch sein Burecmvvrstnnd recht
! wußten, wie sie die Langeweile, die ini Wartezimmer alle Stühle
besetzt hielt, im Bureau unter den hohen schwarzgestrichnen Stehpulten hockte,
hinter den verschossenen grünen Portieren lauerte und ans den leeren Fächern des
Aktenschrankes grinste, wirksam bekämpfen sollten.

Denn Schrödters Gesetzeskenntnis, Gewandtheit und Rednergabe hatten bisher
durchaus noch nicht die Beachtung und Anerkennung gefunden, die sie doch eigentlich


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[0314] Die Haselnuß kleine Tal im lichten Soimmschein, Wir schauten oft zurück, bis es nicht mehr zu sehen war. Die Gegend, die nun vor uns lag, war aber nicht weniger reizvoll. Das Tal von Chevreuse windet sich zwischen grünen Hügeln hin. Damals zogen sich die Abhänge leuchtendgelb zu den Wiesen, Feldern und Dörfern herab, denn die großen Goldginsterbüsche standen in Blüte. Über der Landschaft lag Festtagsstille. Ich entsinne mich zweier alter Bauernhöfe mit hohen, dicht- nmrankten Steinwällen und mächtigen xiAsoiimors. Lautlos und verträumt standen sie da, feudal und geheimnisvoll wie Dornröschens Märchenschlosz. Auch in den Ortschaften ruhte die Arbeit. Saint-Lambert-les-Bois war die erste, die sich unsern Blicken darbot. Kirche und Schloß liegen auf einem vor¬ gelagerten Hügel, als wollten sie das Tal hüten. Nach einem vergnügten Picknick im Buchenwald wurde dieser Hügel „genommen". Dann ging es durch das Dorf hinunter ins Tal. Im Sommer mag es dort etwas heiß sein, aber für einen heitern, frischen Frühlingstag ist dieser Ausflug wie ge¬ schaffen. Zwei Pfüffleiu, die uns im Winde entgegensegelten, bekamen deutsche Wanderlieder zu hören, und die Nachmittagssonne sah uns ein Stück hinter Mikon-la-Chapelle lang im „hohen, grünen" Grase liegen wie lyrische Dichter. Als sie aber etwas später ihre Strahlen in der Geißblattlaube des Hotels von Saint-Remy-les-Chevreuse tanzen ließ, merkte sie, daß wir sehr normale Menschen waren, denn sie sah da alle Blicke beseligt um einer umfangreichen Karaffe hängen. Mit großen Wiesenstränßen beladen, kehrten wir gegen Abend zurück, und beim Erzählen durchlebten wir den genußreichen Tag noch ein¬ mal. Ernste Erinnerungen, verwoben mit heiterer Gegenwart, hatten der Wanderung einen eignen Zauber verliehen. Die Haselnuß Julius R. Haarhaus iLiu Leipziger Märchen von (Schluß) u der Stunde, wo die launenhafte Glücksgöttin Herrn Raue und dem ^ Goldenen Kranich den Rücken wandte, machte der Advokat Schrödter seinen gewohnten Mittagsspaziergang „ums Tor". Er konnte sich i das erlauben, denn der Andrang der Klienten hielt sich bei ihm in ! so bescheidnen Grenzen, daß weder er noch sein Burecmvvrstnnd recht ! wußten, wie sie die Langeweile, die ini Wartezimmer alle Stühle besetzt hielt, im Bureau unter den hohen schwarzgestrichnen Stehpulten hockte, hinter den verschossenen grünen Portieren lauerte und ans den leeren Fächern des Aktenschrankes grinste, wirksam bekämpfen sollten. Denn Schrödters Gesetzeskenntnis, Gewandtheit und Rednergabe hatten bisher durchaus noch nicht die Beachtung und Anerkennung gefunden, die sie doch eigentlich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/314>, abgerufen am 02.05.2024.